Karl-Heinz Gerstenberg zum Sächsischen Bibliotheksgesetz
Sachsen hat bereits die rote Laterne bei der Grundfinanzierung pro Studierenden. Sie soll jetzt noch heller leuchten
Redebeitrag des Abgeordneten Karl-Heinz Gerstenberg zur 2. Lesung des Entwurfs zum Sächsischen Bibliotheksgesetz (GRÜNE) in der 53. Sitzung des Sächsischen Landtages, 03.04., TOP 4
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Braucht Sachsen ein Bibliotheksgesetz? Diese Frage hat unsere Fraktion seit 2007 beschäftigt. Wir haben eine Bibliothekskonzeption der Staatsregierung gefordert, uns mit Bibliotheksentwicklungsplänen beschäftigt und als Schlussfolgerung daraus in einem intensivem Arbeitsprozess den Gesetzentwurf erarbeitet, der heute zur abschließenden Beratung ansteht. Ich möchte an dieser Stelle dem Landesverband Sachsen des Deutschen Bibliotheksverbandes, der Landesfachstelle sowie vielen Bibliothekarinnen und Bibliothekaren, Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern für die wichtigen Anregungen und die gute Zusammenarbeit danken.
Wenn wir über die deutschen Grenzen hinaussehen, dann ist ein solches Gesetz ein Stück Normalität. In zwei Dritteln der EU-Länder existieren Bibliotheksgesetze. Und es ist wohl kein Zufall, dass die PISA-Spitzenländer über die besten gesetzlichen Grundlagen für ihre Bibliotheken verfügen, das zeigen vor allem Finnland und Schweden.
Es war auch unter diesem Gesichtspunkt folgerichtig, dass die Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" des Deutschen Bundestages in ihrem Abschlussbericht den Ländern empfohlen hat, Bibliotheksgesetze zu erlassen und dadurch die Bibliotheken auch rechtlich aufzuwerten. Thüringen, Sachsen-Anhalt und Hessen sind dem bisher nachgekommen.
Der hier für Sachsen vorgelegte Gesetzentwurf stärkt die Bibliotheken nicht nur als Kultur-, sondern vor allem als Bildungseinrichtungen. Bibliotheken spielen eine zentrale Rolle bei der frühen Leseförderung, beim lebenslangen Lernen und bei der Vermittlung von Medienkompetenz an Kinder und Jugendliche, aber auch an ältere Generationen. Der Gesetzentwurf sichert ein leistungsstarkes und flächendeckendes Bibliothekssystem im gesamten Freistaat Sachsen, also auch im ländlichen Raum. Unabhängig von Wohnort und finanzieller Situation soll auf diese Weise weitgehende Chancengleichheit für Bildung und Information hergestellt werden.
In seinem Kern schreibt der Gesetzentwurf Mindeststandards für die öffentlichen Bibliotheken vor und nimmt bei deren Erfüllung den Freistaat in die Pflicht, sich an der Finanzierung der Personalkosten und des kommunalen Erwerbungsetats für neue Bücher und Medien zu beteiligen. Darüber hinaus fördert der Freistaat auf gesetzlicher Grundlage Programme zur Lesefrühförderung, den Aufbau einer landesweiten virtuellen Bibliothek, regt Bibliotheksnetzwerke an und unterstützt innovative Projekte sowie deren Nachnutzung. Auf diese Weise motiviert und unterstützt das Land, entlässt aber die Kommunen nicht aus ihrer Eigenverantwortung.
Die Qualitätsstandards, die im Gesetzentwurf aufgestellt sind, haben wir in enger Zusammenarbeit mit dem Deutschen Bibliotheksverband erarbeitet. Dazu gehören eine zeitgemäße Raumausstattung, eine IT-Ausstattung, die den Anforderungen des digitalen Zeitalters gerecht wird, die fachliche Qualifikation des Personals, bedarfsgerechte Öffnungszeiten sowie nicht zuletzt eine kontinuierliche Erneuerung des Buch- und Medienbestandes, da die Aktualität eines Bestandes in unmittelbarem Zusammenhang mit den Nutzerzahlen steht. Frau Hisslinger, Leiterin der Stadtbibliothek Lichtenstein, hielt als Frau der Praxis in der Anhörung diese Mindeststandards für völlig nachvollziehbar und fand es gut, dass sie so konkret im Gesetz stehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
natürlich kann ein Gesetz nicht alle Probleme der Bibliotheken lösen. Prof. Flemming, Landesvorsitzender des Deutschen Bibliotheksverbandes und Leiter der Städtischen Bibliotheken Dresden, hat als Sachverständiger sehr anschaulich auf den guten Stand der Bibliotheken in den Gemeinden und die Zunahme von Bibliotheksentwicklungsplänen verwiesen. Ebenso hat er die positive Rolle der regionalen Kulturpolitik auf Grundlage des Kulturraumgesetzes gewürdigt. Er hat aber auch deutlich gemacht, dass die dritte Säule, nämlich das landespolitische Engagement für ein Bildungsland Sachsen, komplett fehlt und die sächsischen Bibliotheken in einer Zuständigkeitsfalle sitzen. Deshalb sieht er diesen Gesetzentwurf als nahezu alternativlos an.
An dieser Stelle stellt sich die Frage, was überhaupt gegen ein Bibliotheksgesetz sprechen könnte. Im Ausschuss, wie vielleicht auch nachfolgend in der Debatte, wurden von Seiten der Koalition im wesentlichen drei Gründe aufgeführt:
Erstes Argument: Wir brauchen kein Gesetz, denn Sachsens Bibliotheken sind bundesweit Spitze und eine eventuell notwendige Förderung ließe sich auch über Richtlinien regeln.
Ja, es ist so, in den bundesweiten Bibliotheken-Rankings schneiden vor allem die sächsischen Großstadtbibliotheken, insbesondere Chemnitz und Dresden, meist sehr gut ab. Aber wir können uns doch nicht auf diesen Erfolgen ausruhen, sondern müssen etwas dafür tun, dass das so bleibt! Zugleich können diese hervorragenden Ergebnisse nicht darüber hinweg täuschen, dass öffentliche Bibliotheken seit Jahren empfindliche Einschnitte hinnehmen müssen und die Qualität der einzelnen Bibliotheken im Freistaat extrem unterschiedlich ist.
Zudem wird wohl niemand bestreiten, dass wir in einer Wissens- und Informationsgesellschaft leben, in der Bibliotheken unverzichtbare Einrichtungen sind. Dr. Steinhauer hat als Jurist in der Anhörung überzeugend hergeleitet, dass Bibliotheken die eigentlichen öffentlichen Institutionen sind, die sowohl von ihrem inhaltlichen Angebot her als auch als Bildungspartner für Medien- und Informationskompetenz die Voraussetzungen für eine mündige und angemessene Grundrechtsausübung gewährleisten können. Aus Gründen der Wesentlichkeit bedürfen sie deshalb einer gesetzlichen Absicherung.
Zweites Gegenargument: Wir brauchen in Sachsen kein Bibliotheksgesetz, denn wir haben das Kulturraumgesetz.
Das Kulturraumgesetz leistet in der Tat einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Bibliotheken, allerdings sieht das von Kulturraum zu Kulturraum sehr unterschiedlich aus. Dabei stehen jedoch stets Bibliotheken als Kultureinrichtungen im Mittelpunkt. Ihrer Rolle als Bildungseinrichtung kann das Kulturraumgesetz nicht Geltung verschaffen, ebensowenig kann es die effiziente Nutzung der Infrastruktur und die Qualität der Angebote sichern. Hinzu kommt, dass sich nach Ihrer Kürzung der Kulturraummmittel, meine Damen und Herren von der schwarz-gelben Koalition, der ständige Wettbewerb zu anderen Kultureinrichtungen wie Theatern und Museen verschärft hat. Das Bibliotheksgesetz steht also nicht in Konkurrenz zum Kulturraumgesetz, sondern es ist eine sachgerechte und passgenaue Ergänzung.
Drittes Gegenargument: Mit diesem Gesetz wird eine neue kommunale Pflichtaufgabe begründet, für die nach dem Konnexitätsprinzip eine höhere Finanzierung erforderlich wäre als vorgesehen.
Ich hoffe sehr, dass wir diese Argumentation heute im Plenum nicht noch einmal zu hören bekommen, denn sie ist schlichtweg Unfug. Die Stärke unseres Gesetzentwurfes besteht gerade darin, dass wir nicht, wie etwa der Musterentwurf des Deutschen Bibliotheksverbandes, der Versuchung erlegen sind, eine neue kommunale Pflichtaufgabe zu begründen, sondern auf innovative Art Anreize für die Entwicklung der Bibliotheken setzen. Das macht Ihnen die Begründung der Ablehnung offensichtlich nicht ganz leicht. Trotzdem sollten Sie nach Argumenten suchen und nicht auf eine Ausrede wie "Pflichtaufgabe" verfallen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
um die Eingangs gestellte Frage zurückzukommen: Ja, Sachsen braucht ein Bibliotheksgesetz. Vor Ihnen liegt ein Gesetzentwurf, der nach unserer Überzeugung dafür eine hervorragende Grundlage bietet.
Wir können damit auch an eine ausgeprägte sächsische Bibliothekstradition anknüpfen. Auf dem Gebiet des heutigen Sachsen entstand mit der Gründung des ersten sächsischen Benediktinerklosters 1091/96 in Pegau auch die erste Büchersammlung. Die Ratsschulbibliothek Zwickau existierte bereits vor 1500 und gilt damit als die älteste wissenschaftliche Bibliothek Sachsens. Die Geschichte der öffentlichen Bibliotheken schließlich begann 1828 im sächsischen Großenhain. Nach dem Vorbild der dortigen Volksbücherei wurden später in ganz Deutschland Stadt- und Gemeindebibliotheken errichtet.
Aufbauend auf dieser Tradition kann ein sächsisches Bibliotheksgesetz nicht nur die sächsische Bildungslandschaft zukunftssicher machen, sondern auch über die sächsischen Grenzen hinaus wirken. Es war Prof. Hacker, Prorektor für Bildung der HTWK Leipzig, der in der Anhörung mit dem Satz an uns Abgeordnete appellierte: «Beachten Sie, dass mit dem heute zu diskutierenden Gesetzentwurf eine Option vorliegt, das derzeit beste Bibliotheksgesetz Deutschlands zu verabschieden,…»
Nach dem bisherigen Verlauf der parlamentarischen Beratung muss ich annehmen, dass Sie von der CDU und FDP diese Chance verspielen werden. Aber auch wenn Sie unseren Gesetzentwurf heute ablehnen werden, kann ich Ihnen versichern: Bibliotheken als eigenständige und kooperierende Bildungseinrichtungen, als Partner und Lotsen in der Informationsgesellschaft, als moderne Orte des Lernens – diese Themen sind so wichtig und aktuell, die bleiben auf der Tagesordnung.