Karl-Heinz Gerstenberg zur Großen Anfrage „Freie Software in Sachsen“
Das enorme Sparpotential bei Sachsens IT-Infrastruktur wird auf Kosten des Steuerzahlers nicht genutzt
Redebeitrag des Abgeordneten Dr. Karl-Heinz Gerstenberg zur Großen Anfrage „Freie Software in Sachsen – Einsatz von Free/Libre and Open Source Software (FLOSS) in der Landesverwaltung“ (Drs 5/372) in der 16. Sitzung des Sächsischen Landtages, 20. Mai, TOP 5
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
einige unter Ihnen sind vielleicht versucht, bei diesem Tagesordnungspunkt den Saal zu verlassen, weil sie meinen: „Das verstehe ich ohnehin nicht, das geht mich nichts an“. Doch Sie irren sich: Dieses Thema geht uns alle an, nicht nur politisch, sondern auch persönlich.
Software geht uns alle an, denn jede und jeder unter uns steht beim Kauf eines neuen Notebooks oder PC vor der Entscheidung: Welche Programme sollen darauf laufen? Typischerweise wird uns diese Entscheidung abgenommen, denn als Betriebssystem ist Microsoft Windows schon vorinstalliert, der Internet Explorer ist ohnehin dabei und wenn es um Büroprogramme geht, dann fällt die Entscheidung für Microsoft Office, weil es doch überall installiert, von jeher vertraut und scheinbar ohne Alternative ist.
Es sind solche Vertriebspraktiken und solche Gewohnheiten, die in der Vergangenheit bei Betriebssystemen und Anwendungsprogrammen zu Monopolstellungen und zur Abhängigkeit von Microsoft und einigen wenigen anderen Softwarekonzernen geführt haben.
Doch für unsere persönlichen Entscheidungen gilt wie in der Politik: Es gibt stets Alternativen. In unserem Fall heißt diese Alternative Freie Software.
Freie Software bedeutet, dass der Anwender die Freiheit hat, die Software zu benutzen, zu studieren, zu verändern und zu verbessern sowie in ursprünglicher oder veränderter Form weiterzuverbreiten. Für die Nutzung dieser Freiheiten ist das Offenlegen des Programm-Quellcodes eine notwendige Voraussetzung.
Eine etwas andere Denkrichtung hat deshalb den Namen „Open Source Software“ geprägt. Als Kompromiss wurde der Begriff „Free/Libre and Open Source Software“ (FLOSS) vorgeschlagen, den wir in unserer Großen Anfrage verwendet haben.
Der Freien Software steht die proprietäre oder „unfreie“ Software gegenüber, deren Quellcode streng geheim gehalten wird und die die genannten Freiheiten nicht bietet. Einige dieser proprietären Programme werden kostenlos als „Freeware“ weitergegeben – das wesentliche Unterscheidungsmerkmal ist also nicht der Preis. Es geht um frei wie Freiheit, nicht wie Freibier.
Freie Software führt längst kein Nischendasein mehr. Eine ganze Reihe von Behörden, Kommunen und Bundesministerien nutzt mittlerweile Freie Software. Dazu gehören der Deutsche Bundestag, das Auswärtige Amt, die Polizei in Niedersachsen, die Landeshauptstadt München und das Bistum Würzburg. Bei einem Blick über die Grenzen hinaus finden wir Freie Software in der Stadtverwaltung Wien, bei der französischen Gendarmerie und auch der Staat Kalifornien, ein Mutterland von Mikroelektronik und Software, fördert diese Entwicklung.
Das alles ist kein Zufall, denn es gibt mindestens vier gute Gründe, Freie Software zu nutzen – das sind Kosten, Sicherheit, Benutzerfreundlichkeit und gesellschaftliche Bedeutung.
Mittel- bis langfristig lassen sich erhebliche Kosten einsparen, da keine proprietären Lizenzen von monopolistischen Herstellern wie Microsoft mehr erworben werden müssen. Entwicklungs- und Supportverträge können flexibel vergeben werden, wodurch die kleinen und mittelständischen heimischen IT-Unternehmen gestärkt werden.
Die Software- und Datensicherheit hängt nicht mehr von intransparent arbeitenden Herstellern ab, sondern wird für die staatlichen Verwaltungseinheiten überprüfbar und kann im Bedarfsfall direkt verbessert werden.
Die Abhängigkeit von der Unternehmenspolitik und den Veröffentlichungszyklen proprietärer Software-Unternehmen fällt weg, und die eingesetzte Freie Software ist in ihrer Funktionalität flexibel anpassbar. Die langfristige, nachhaltige Verfügbarkeit der verwendeten Programme ist gesichert.
Vor allem aber liegt die Kontrolle der IT-Infrastruktur nicht mehr in den Händen weniger Hersteller; Einfluss und Macht über Arbeitsabläufe, sensible Kommunikation und Daten werden nicht länger an externe Akteure abgegeben. Durch den Einsatz Freier Software verhindern staatliche Stellen ihre Abhängigkeit von solchen Akteuren und gewinnen an Souveränität und Transparenz. Für eine Gesellschaft, die in starkem Maße auf digitale Kommunikationstechnologie angewiesen ist, gewinnt diese Freiheit der Kommunikationsmittel zunehmend an Bedeutung.
Wie ist der Status Quo in der sächsischen IT-Landschaft?
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat deshalb im November 2009 eine Große Anfrage zum Thema „Freie Software in Sachsen – Einsatz von Free/Libre und Open Source Software (FLOSS) in der Landesverwaltung“ gestellt. Durch die Ergebnisse dieser Großen Anfrage liegen der Öffentlichkeit erstmals Informationen über die Software-Landschaft und die Rolle Freier Software in den sächsischen Ministerien und nachgeordneten Behörden vor, und die Potenziale einer Umstellung auf Freie Software werden deutlich erkennbar.
Uns hat zunächst interessiert: Wie ist der Status Quo in der sächsischen IT-Landschaft?
Die Staatsregierung hat dazu eine Bestandsaufnahme zum Stichtag 15.11.2009 vorgenommen. Das Ergebnis: Ministerien und nachgeordnete Behörden nutzen fast nur proprietäre Software, für die jährlich 9,3 Millionen Euro an Lizenzgebühren ausgegeben werden. Nur 1,7 Prozent der gehaltenen Softwarelizenzen stammen aus dem Bereich der Freien Software und bleiben kostenfrei.
Es kommen vor allem veraltete Microsoft-Produkte zum Einsatz. Das gilt auch für die Server, wo die freien Produkte selbst von der Staatsregierung als wettbewerbsfähig und teilweise überlegen anerkannt werden und in denen für proprietäre Lizenzen besonders hohe Kosten anfallen: So verursachen im Serverbereich nur 16 Prozent aller Lizenzen 58 Prozent der gesamten Lizenzgebühren.
Trotz dieser Tatsachen kommt bei Servern unverständlicherweise so gut wie keine Freie Software (0,8%) zum Einsatz.
Zusätzlich zu den 9,3 Mio. Euro Lizenzgebühren fallen jährlich 4,3 Mio. Euro Kosten für Softwaresupport an, die bei konsequentem Einsatz Freier Software überwiegend mittelständischen sächsischen IT-Unternehmen zugute kommen könnten.
Die Regierung besitzt vor allem keine zeitgemäße IT-Strategie
Ich ziehe daraus das Fazit 1: Die IT- Landschaft der sächsischen Staatsverwaltung ist durch die Monokultur teurer Microsoft-Produkte geprägt. Das enorme Sparpotential bei den Lizenzen wird auf Kosten des Steuerzahlers nicht genutzt. Selbst in Bereichen, in denen Freie Software nachweislich überlegen ist, wird sie kaum angewendet.
Zum zweiten wollte unsere Fraktion wissen, wie die Staatsregierung die Sicherheitsrisiken beurteilt. Informationssicherheit ist für den IT-Einsatz in der staatlichen Verwaltung aus offensichtlichen Gründen von großer Bedeutung: Die ständige Verfügbarkeit und Stabilität der staatlichen Verwaltungs- und Kommunikationsinfrastruktur, aber auch der vertrauliche, datenschutzorientierte Umgang mit Bürger- und Unternehmensdaten erfordern nachweislich sichere Software. Die Staatsregierung ist der Ansicht, dass die Nutzung der Microsoft-Produktkette im Vergleich mit freien Alternativprodukten zu Sicherheitsvorteilen für die Landesverwaltung führt. Sie vertritt damit das Prinzip „Sicherheit durch Geheimhaltung“.
Diese Einschätzung wird jedoch grundsätzlich weder vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) noch von führenden Forschern auf dem Gebiet der IT-Sicherheit geteilt. Laut BSI bietet Freie Software „bedeutende strategische Vorteile“ für die Gewährleistung einer sicheren IT-Infrastruktur. Es stellt ausdrücklich fest: „Die Prüfung von Software auf Sicherheitslücken sollte immer möglich sein. Beim Einsatz von Software kann dies ein K.O.-Kriterium sein. Es steht Vertrauen versus Wissen.“
Das führt zum Fazit 2: Die Staatsregierung ignoriert die Position des BSI sowie grundlegende Erkenntnisse der IT-Sicherheitsforschung. In der Situation Vertrauen versus Wissen hat sie sich für Vertrauensseligkeit statt Wissen entschieden.
Angesichts dieses ernüchternden und alarmierenden Ist-Zustandes interessierte unsere Fraktion zum Dritten, ob im Rahmen der IT-Politik freie Alternativen zur derzeitigen Softwareausstattung geprüft werden. Eine solche Prüfung muss sowohl Kriterien der Machbarkeit und des Aufwandes als auch Kosten- und Sicherheitsaspekte berücksichtigen, vor allem aber eine langfristige, transparente und nachhaltige IT-Strategie im Blick haben.
Es stellte sich heraus, dass die Staatsregierung gegenüber Freier Software eine tendenziell abwartende Haltung einnimmt. Sie begründet dies vor allem mit kurzfristigen Mehrkosten, Umstellungskomplexitäten, fehlenden freien Fachverfahren und mangelnden offenen Standards zum Datenaustausch mit Kommunen, Bund und Ländern.
Kriterien der Nachhaltigkeit und Sicherheit spielen offenbar eine untergeordnete Rolle, ebenso wie mittel- und langfristige Einsparmöglichkeiten. Nicht einmal der Beschluss des Rates der IT-Beauftragten aus dem Jahr 2008 zum Einsatz des Open-Document-Formates in der Bundesverwaltung hat diese Haltung verändert.
Die Regierung besitzt vor allem keine zeitgemäße IT-Strategie. Eine solche Strategie soll zwar entwickelt werden, allerdings auf der Grundlage einer veralteten Migrationsstudie aus dem Jahre 2005. Außerdem trifft die Staatsregierung in Ministerien und nachgeordneten Einrichtungen nahezu keine Maßnahmen, um die Akzeptanz Freier Software unter den Beschäftigten zu fördern und die Fixierung auf Microsoft-Arbeitsumgebungen zu lockern.
Fazit 3: Eine Migration zu Freier Software wird von der Staatsregierung offensichtlich nicht ernsthaft in Betracht gezogen. Die teils widersprüchliche Argumentation deutet darauf hin, dass eine Migration zu Freier Software keineswegs nicht machbar ist, sondern entweder gescheut wird oder schlicht nicht gewollt ist.
Am Rand der Großen Anfrage haben wir schließlich den Blick über die Staatsverwaltung hinaus auf sächsische Schulen gerichtet, denn in den Antworten auf die Fragen, wie Freie Software dort genutzt und gefördert wird und welche Fortbildungsangebote für Lehrer existieren, werden wichtige Weichenstellungen für die Zukunft deutlich.
Das Ergebnis: Freie Produkte kommen gelegentlich aus pragmatischen Erwägungen zum Einsatz, die kategorialen Unterschiede zwischen proprietärer und freier Software werden aber allenfalls am Rande thematisiert. Lehrerfortbildungen zum Thema Freie Software finden nur in begrenztem Rahmen statt.
Unser Fazit hierzu: Freie Software spielt an sächsischen Schulen keine nennenswerte Rolle.
Angesichts dieser Bestandsaufnahme aus den Antworten auf die Große Anfrage stellt sich die Frage, was zu tun ist. Damit meine ich nicht nur den persönlichen Bereich, den ich eingangs angesprochen habe. Um Ihren Fragen zuvor zu kommen: Natürlich habe ich für diese Rede mit Hilfe des Browsers Mozilla Firefox recherchiert, sie mit OpenOffice geschrieben, im OpenDocument-Format gespeichert und mit dem Mailprogramm Thunderbird versandt.
Ich meine vor allem die politischen Schlussfolgerungen für die Informationstechnologie im Freistaat Sachsen. Ich kann da Justizminister Jürgen Martens nur zustimmen, der anlässlich der Berufung des neuen Beauftragten für Informationstechnologie mit dem Satz zitiert wurde: „Es gibt in dem Bereich durchaus Verbesserungspotenzial und Reserven“.
Wir geben uns allerdings nicht mit dieser Feststellung zufrieden, sondern machen eine Reihe von Vorschlägen, die wir auch im vorliegenden Entschließungsantrag festgehalten haben.
Wir wollen eine IT-Strategie, die mittelfristig eine teilweise, langfristig eine möglichst vollständige Migration der sächsischen Staatsverwaltung auf Freie Software zum Ziel hat. Diese Strategie muss einerseits den Kriterien der Sicherheit, Nachhaltigkeit, Herstellerunabhängigkeit und Effizienz genügen, andererseits die absehbaren positiven Effekte einer Migration zu Freier Software für den sächsischen IT-Mittelstand verstärkt berücksichtigen.
Mit Priorität muss die Migration der Server in der sächsischen Staatsverwaltung auf Freie Software durchgeführt werden, da hier besonders hohe Lizenzkosten anfallen und mit geringeren Umstellungskomplexitäten zu rechnen ist.
Bereits im Vorfeld einer solchen Strategie sind jedoch Maßnahmen notwendig, die Sachsen nicht immer tiefer in die Sackgasse proprietärer Softwareanwendungen führen, sondern die Abhängigkeit von einzelnen Herstellern mindern und eine Migration mittelfristig vereinfachen.
Dazu muss sich die Staatsregierung überhaupt erst einmal einen Überblick aller verwendeten Software-Lizenzen in den sächsischen Ministerien und nachgeordneten Behörden verschaffen. Eine neue Studie muss die Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit der Migration zu Freier Software auf Grundlage der aktuellen technischen Möglichkeiten untersuchen.
Bei der Ausschreibung neu zu programmierender Fachverfahren müssen Umsetzung in Freier Software und Nutzung offener Standards zwingend vorgeschrieben werden, um eine zukünftige Migration nicht weiterhin strukturell zu erschweren.
Und schließlich ist es wichtig, gezielt mit Bund, Kommunen und anderen Ländern zusammenzuarbeiten, die beim Einsatz Freier Software teilweise viel weiter sind als Sachsen. Ziele dieser Zusammenarbeit sollte der Austausch über Erfahrungen, Planungen und bestehende Möglichkeiten der Migration auf freie Produkte sein, aber auch die Durchsetzung offener Standards bei Dokumenten- und Dateiformaten sowie Schnittstellen.
Werte Kolleginnen und Kollegen, was wir damit fordern, ist nicht mehr und nicht weniger als die Abkehr von der staatlichen Unterstützung des Microsoft-Monopols!
Mittel, die bisher für proprietäre Lizenzen ausgegeben werden, müssen konsequent in die Neuprogrammierung von IT-Fachverfahren auf Basis Freier Software sowie in den Support investiert werden. Das sind nachhaltige Investitionen, durch die einerseits Kosten eingespart werden können. Andererseits wird die sächsische IT-Branche in ihrer kleinteiligen Struktur dadurch gestärkt und der IT-Standort Sachsen gefestigt.
In der gestrigen Debatte wurde deutlich, dass die Koalition scheinbar nicht so recht weiß, wie die von ihr propagierte Staatsmodernisierung aussehen soll.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, Ihnen kann geholfen werden. Die von mir skizzierte nachhaltige, sichere, und effiziente IT-Strategie auf Basis Freier Software wäre zweifellos ein wichtiger Beitrag dazu!