Katja Meier: Um das Ausmaß systematischen Unrechts erkenntlich zu machen, braucht es den Blick über die Grenzen der Stasi hinaus
Redebeitrag der Abgeordneten Katja Meier zum Gesetzentwurf der Fraktionen GRÜNEN, CDU und SPD:
"Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Rechtsstellung des Sächs. Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR" (Drs. 6/4515)
31. Sitzung des Sächsischen Landtags, 17. März 2016, TOP 5
– Es gilt das gesprochene Wort –
Herr Präsident, meine Damen und Herren,
ziemlich genau auf den Tag vor 24 Jahren, am 13. März 1992, fand hier im Landtag – damals noch im Haus der Kirche – die erste Lesung des Landesbeauftragtengesetzes statt. Damals lagen drei Entwürfe vor. Einer der Staatsregierung, einer der SPD und einer von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Es sprachen Martin Böttger für die GRÜNEN, Justizminister Steffen Heitmann, Herr Beyer für die CDU und Herr Richter für die SPD. Bis auf Martin Böttger kenne ich die Herren alle nicht. Ich war damals 12 Jahre alt. Frau Kliese, die gleich für die SPD sprechen wird, war kurz vor ihrem 12. Geburtstag.
Einige von Ihnen mögen jetzt vielleicht denken, dass bei einem Gesetzentwurf, der sowohl die DDR-Vergangenheit berührt als auch deren Auswirkungen auf das Hier und Jetzt, jemand sprechen muss, der die Zeit aktiv erlebt hat und nicht zwei junge Frauen, die sich kaum auf diese vergangene Welt haben einstellen können oder müssen. Einige unterstellen uns vielleicht gar, dass wir, die wir dieses Schicksal, die Repressionen, die so viele in diesem Land – in dieser DDR – erfahren mussten, gar nicht verstehen.
Das mag zum Teil stimmen und trifft noch vielmehr auf jene zu, die nach 1990 geboren wurden. Aber genau deshalb bringen Frau Kliese und ich dieses Gesetz ein. Denn gerade heute ist es wichtig zu vermitteln, wie die SED-Diktatur und ihre Mechanismen funktioniert haben und welche Auswirkungen das auf den Alltag der Menschen hatte. Denn nur im Wissen um die Mechanismen der Unfreiheit können wir, hier und heute, Demokratie gestalten – gerade auch mit Blick auf die Landtagswahlen am vergangenen Sonntag.
Der vorliegende Gesetzentwurf greift genau diesen Gedanken auf. Der Fokus des 1992 verabschiedeten Gesetzes lag in der Offenlegung der bis dahin verdeckten Arbeit des Staatssicherheitsdienstes. Zentral für die Menschen und vor allem auch für die Opfer war die Frage, wie das MfS funktionierte und wie die Strukturen waren. Vor allem aber stand die Beratung, Hilfe und Rehabilitation der Opfer im Mittelpunkt der Arbeit des Landesbeauftragten. Alle bisher in Sachsen tätigen Landesbeauftragten haben eine wichtige Arbeit geleistet, für die ihnen unser aller Dank gebührt.
Doch der gesetzliche Auftrag setzte ihnen auch Grenzen. Richtig ist, dass die Stasi das selbsternannte Schild und Schwert der Partei war. Das MfS war aber nur Teil eines großen Repressionsapparates, zu dem die SED und ihre Funktionäre genauso gehörten wie die Massenorganisationen FDJ und FDGB und nicht zuletzt die Blockparteien.
Um das Ausmaß systematischen Unrechts erkenntlich zu machen, braucht es also den Blick über die Grenzen der Stasi hinaus.
Diesen Weitblick hatten 1992 bereits Martin Böttger und die Bündnisgrüne-Fraktion. In der letzten Legislaturperiode hat Karl-Heinz Gerstenberg von der Grüne-Fraktion 2011 versucht, eine fraktionsübergreifende Novellierung zu initiieren. Vor allem die CDU zeigte sich damals sehr kooperationsbereit. Dennoch kam es zu keiner Einigung, so dass die Grüne-Fraktion 2014 allein einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Landtag einbrachte. In der damaligen Anhörung fanden alle wichtigen inhaltlichen Änderungen am Landesbeauftragtengesetz durch die drei ExpertInnen eine ausdrückliche Unterstützung. Das Scheitern des damaligen Entwurfes lag also nicht am Inhalt des Gesetzes und ich glaube auch nicht an CDU und SPD.
Nun zwei Jahre und eine Koalition später dürfen wir uns heute glücklich schätzen einen Gesetzentwurf vorliegen zu haben, der von einer über Koalitionsgrenzen hinweg getragenen Mehrheit eingebracht wurde.
Grundlage des Entwurfs ist der von uns GRÜNEN formulierten Gesetzentwurf. Zentrale Punkte sind:
- Ausweitung des Arbeitsbereichs des Landesbeauftragten auf das Gesamtsystem der Diktatur in der SBZ und der DDR, also auch auf soziale Prozesse und die Alltagsgeschichte,
- ein ausdrücklich formulierter gesetzlicher Bildungsauftrag,
- eine eigenständige Dokumentationsarbeit und
- eine Zusammenarbeit mit den in Sachsen tätigen Verfolgtenverbänden und Aufarbeitungsinitiativen
- die Ansiedlung des Landesbeauftragten beim Landtag.
Für die konstruktiven Gespräche und das gute Klima danke ich allen Beteiligten, also vor allem Hanka Kliese, Martin Modschiedler, Marco Schiemann und natürlich Karl-Heinz Gerstenberg, ohne dessen Vorarbeit und Unterstützung wir heute das gemeinsame Anliegen nicht voranbringen könnten.
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