Kinderehen − Volkmar Zschocke: AfD benutzt die politische Debatte, um Stimmung gegen den Islam zu machen
Rede des Abgeordneten Volkmar Zschocke zur 2. Aktuellen Debatte der AfD-Fraktion zum Thema ‚Wenn Kinder heiraten (müssen) – 56 Kinderehen in Sachsen‘
40. Sitzung des Sächsischen Landtags, 1. September 2016, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
Herr Präsident,
Meine Damen und Herren,
Ich möchte vorweg schicken: Ganz klar ist – darin teile ich die Auffassung von UNICEF – dass die Kinderehe eine Menschenrechtsverletzung ist, die international gebannt werden muss.
Meine Damen und Herren von der AfD,
Sie benutzen die politische Debatte über Kinderehen aber, um Stimmung gegen den Islam zu machen. Um das Menschenrecht bzw. das Kinderrecht geht es Ihnen nicht, das sagen Sie auch ganz unverhohlen.
>>Sollen doch die Asylbewerber in die Länder reisen, in denen sie nach Scharia-Regeln leben können<<, das sagen Sie, >>da können sie ja die Kinderrechte verletzen.<<
Ich finde die Haltung, die darin zum Ausdruck kommt, schlimm und entlarvend, weil als Kinder verheiratete Mädchen ihres Rechts auf Schutz, auf Entwicklung und Bildung beraubt werden.
Sie werden in die Rolle einer Ehefrau gezwungen und gehen hohe gesundheitliche Risiken ein, vor allem, wenn sie schwanger werden; und es gibt, wenn Sie sich die weltweite Entwicklung anschauen, einen deutlichen Zusammenhang zwischen Frühehen und Armut. Notwendig wäre wirklich einmal eine Debatte über nachhaltige Armutsbekämpfung, über Initiativen und Kampagnen, die die Rechte von Mädchen auf Gleichbehandlung, auf Bildung, auf Nichtdiskriminierung, auf Schutz vor Gewalt und Ausbeutung stärken; denn weltweit werden jährlich Millionen Mädchen viel zu früh verheiratet. Sie rechnen uns lieber falsche Zahlen angeblicher Scharia-Ehen in Sachsen vor, aber für die Ursachen des Problems interessieren Sie sich offensichtlich nicht.
Noch einmal zu Ihren Zahlenspielen, die Sie ja zurückgenommen, aber vorher kräftig durch die Öffentlichkeit getrieben haben: In der Antwort des Staatsministeriums steht, von den 23 in Sachsen lebenden Minderjährigen, die schon im Kinder- und Jugendalter geheiratet haben, sind 22 16 Jahre und älter, und auch drei deutsche Staatsangehörige sind darunter, weil nach deutschem Recht unter bestimmten Voraussetzungen die Ehe eben auch ab 16 Jahren möglich ist.
Ich sage es ganz deutlich: Wenn es um Zwang und Gewalt geht, dann darf es keine Rolle spielen, wo und wie Minderjährige geheiratet haben.
Wenn eine junge Frau ihren Ehemann verlassen oder sich in Schutz bringen will, weil sie Übergriffen oder Gewalt ausgesetzt ist, dann müssen die Beratungs-, Hilfs- und Schutzangebote der Jugendhilfe, auch der Frauenschutzhäuser, ohne Hürden zugänglich sein. Wenn Zwang und Gewalt zu erkennen sind, dann muss eingegriffen werden. Es kann aber auch Fälle geben, in denen die Trennung das Leben der Jugendlichen sogar noch erschwert. Darauf gibt es keine einfachen Antworten.
Sie suchen nicht nach lösungsorientierten Antworten. Sie wollen mit dem Finger darauf zeigen, Sie wollen anprangern, Sie wollen Empörung und Hass schüren, und das gelingt Ihnen auch. Wenn man sich die Reaktionen auf Ihre Kampagne in den sozialen Netzwerken anschaut, dann sage ich Ihnen ganz klar: Ihnen gelingt es, Empörung und Hass zu schüren.
Die Rechtslage ist nicht so eindimensional, wie Sie sich das wünschen. Es existieren verschiedene und miteinander kollidierende Rechtsnormen. Die Gerichte müssen eine Rechtsgüterabwägung im Rahmen der bestehenden Rechtslage vornehmen.
Auch zu der viel zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichts Bamberg, die für öffentliche Empörung gesorgt hat, in der eine Ehe einer minderjährigen Syrierin mit einen 21-jährigen Vetter für gültig erklärt wurde, ist noch nicht das letzte Wort gesprochen worden. Es wurde nämlich Rechtsbeschwerde zugelassen.
Der Bundesgerichtshof wird sich mit dieser Frage befassen. Mehr Rechtsklarheit und Handlungssicherheit im Umgang mit unter 16-Jährigen sind diesbezüglich zu erwarten.
Die Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft ist angesprochen worden. Sie wird der Frage nachgehen müssen, ob die im Ausland von Kindern und Jugendlichen geschlossenen Ehen in Deutschland nicht anerkannt werden, wenn sie zum Beispiel mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts nicht vereinbar sind. Wenn es notwendig sein sollte, werden in der Bundesrepublik dann auch Gesetze angepasst, um die Rechte Minderjähriger besser zu schützen.
Die Suche nach einer rechtsstaatlichen Lösung, meine Damen und Herren von der AfD, wird durch Ihre Skandalkampagne torpediert. Wir kämpfen seit Jahren gegen den Widerstand konservativer Kräfte für die Selbstbestimmung von Mädchen und Frauen.
Es hat lange gedauert, zum Beispiel das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wirklich durchzusetzen. Ich finde es wirklich unerträglich, wenn gerade Rechtskonservative und Rechtspopulisten die Kinder- und Frauenrechte immer dann beschwören, wenn sie möglicherweise von Ausländern verletzt wurden.
Kurzintervention von Volkmar Zschocke auf die AfD-Abgeordnete Frauke Petry:
Frau Dr. Petry, Sie haben mir vorgeworfen, ein Feindbild aufzubauen. Ich möchte Ihnen einmal illustrieren, wie Sie Feindbilder aufbauen: Sie schreiben, dass Sex mit Minderjährigen durch die Hintertür legitimiert werde und eine schleichende Islamisierung unserer Rechtsprechung hingenommen werde.
Dann illustrieren Sie das Ganze noch mit einer Kampagne >>Neues aus Absurdistan: Scharia-Kinder-Ehen auf dem Vormarsch<<, was dem aufgeputschten Nutzer Ihrer Facebook-Seite dazu bringt zu schreiben: >>Das ist der blanke Hass. Ich kann den Dreck nicht mehr sehen, raus aus Deutschland!<<. – So bauen Sie Feindbilder.