Kohledebatte − Lippold: Der Kohle-Ausstieg kommt! Die Vorschläge der GRÜNEN für die Strukturentwicklung liegen vor. Die Vorarbeiten der sächsischen Staatsregierung fehlen.
Redebeitrag des Abgeordneten Gerd Lippold zur Aktuellen Debatte der Fraktionen CDU und SPD zum Thema:
"Zukunft für die Braunkohlereviere in Sachsen – Ausstieg braucht Perspektiven für die Menschen", 27. September, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
was im Titel der Aktuellen Debatte wie schräger Satzbau wirkt, liebe Koalition, ist natürlich Absicht. Denn Sie wollen damit ausdrücken, dass der Kohleausstieg von Konditionen abhänge, die Sie definieren.
Der Kohleausstieg steht aber seit Jahren fest. Was von Ihnen abhängt ist, unter welchen Bedingungen er stattfindet. Um also den Titel der aktuellen Debatte vom Kopf auf die Füße zu stellen: Nein, nicht der Ausstieg braucht Perspektiven für die Menschen, sondern die Menschen brauchen Perspektiven für den Ausstieg!
Denn der Ausstieg kommt. Den können Sie nicht konditionieren, meine Damen und Herren von der Koalition, indem Sie Perspektiven fordern, die von außen geliefert werden sollen. Ja, die Menschen in Sachsen, auch und vor allem in der Lausitz brauchen Perspektiven! Aber Sie sind dafür verantwortlich, denn Sie stellen hier die Regierung!
Doch Sie haben diese Perspektiven nicht entwickelt, Sie fordern sie. Sie fordern nicht nur milliardenschwere Förderung für regionale Strukturentwicklung, was durchaus sinnvoll ist und was wir GRÜNEN auch tun, sie fordern Perspektiven. Weil Sie selbst keine entwickelt haben.
Dennoch wird es diese Perspektiven geben, denn es gibt in Politik und Gesellschaft Menschen, die verantwortungsvoller mit der Zukunft umgehen als Sie das tun. Und wenn es dieser Staatsregierung, RWE und weiteren Interessierten nicht doch noch gelingt, die Arbeitsfähigkeit der Kohlekommission zu torpedieren, dann wird es noch in diesem Jahr dazu auch erste Infrastruktur-, Ansiedlungs- und Entwicklungsprojekt-Ankündigungen geben. Und Sie werden dann diese stolz als Ihre Trophäen nach Hause tragen.
Der Kohlekommission liegen heute tatsächlich umfangreiche Papiere zu Perspektiven für die Kohlereviere und zu Förderkonzepten für den Strukturwandel vor. Was darin nicht zitiert wird, das sind Vorarbeiten der sächsischen Staatsregierung. Denn es gab ja keine. Was hingegen sehr wohl zitiert und wiedergegeben wird, das sind Ideen und Konzepte, die neben engagierten Menschen aus der Zivilgesellschaft auch wir sächsischen Grünen zum Teil bereits vor Jahren erarbeitet haben.
Wenn Sie bereits heute und noch verstärkt in den nächsten Monaten von Vorschlägen aus Kohlekommission, Bund, Ländern und großen Unternehmen von Projekten und Konzepten zur Zukunft der Lausitz hören und lesen werden, liebe Kolleginnen und Kollegen, so dürfte jenen vieles seltsam bekannt vorkommen, die zwischen 2015 und 2017 mal in Impulspapiere, Landesbeschlüsse und Schlüsselprojektvorschläge der sächsischen Grünen und der eng kooperierenden Brandenburger Grünen geschaut haben.
Ich möchte nur mal einige dieser Punkte herausgreifen, die sie genau dort bereits seit Längerem nachlesen können:
– Das ist ein Konzept einer Lausitzstiftung, die auch wirtschaftlich agieren und etwa als Beteiligungsgeber für regionale mittelständische Wirtschaft und Start-Ups auftreten könnte
– Vorschläge zur Kulturhauptstadtregion
– ein Post-Mining-Kompetenzzentrum im Verbund der Lausitzer Hochschulen, aus Geschäftsmodelle und Ausgründungen für internationale nachgefragte Umwelttechnologien hervorgehen können
– ein Speicherinstitut
– die großskalige Power-to-Gas-Pilotierung in der Lausitz und die Nutzung der erheblichen Synergien mit CO2-neutralen Technologien und Verfahren in der chemischen Industrie
– konkrete Ideen zur Bahninfrastruktur im regionalen, nationalen und grenzüberschreitenden Verkehr
– Modellregion für intelligente Netze und für virtuelle Kraftwerke der nächsten Generation
– ein Industriecluster Elektromobilität, Speicher und Leichtbau − in jüngerer Zeit ist das noch erweitert und konkretisiert worden
Sie finden in diesen Vorschlägen natürlich nicht nur industrie- und verkehrspolitische Impulse, sondern auch Ideen zu einem bottom-up-Leitbildprozess und viele weitere Ideen für mehr Attraktivität und Lebensqualität.
Über solche Schlüsselprojekte haben wir GRÜNEN übrigens zu einer Zeit viele Gespräche geführt und gründlich nachgedacht, als Sie es als Erfolg gefeiert haben, dass die Kohlekommission im Klimaschutzplan auf Ihr Betreiben hin nicht mehr Kohlekommission genannt werden sollte.
Nun ist es natürlich doch eine Kohlekommission. Und die Ziele des Klimaschutzplans werden im nächsten Jahr zum Bundesgesetz. Und es wird jetzt sehr konkret und durchaus dringend. Wer jetzt durchdachte Entwicklungsziele und fertige Projekte in der Schublade hat, der ist klar im Vorteil.
Wissen Sie was? Wenn ein beliebiger Vorstand eines beliebigen großen Unternehmens klare Zeichen an der Wand, die dringend und unausweichlich eigenes Handeln zu Strategieanpassung und Zukunftssicherung fordern, in einer solchen Weise missachtet, wie Sie, Herr Ministerpräsident und Ihre Koalition das in den letzten Jahren getan haben und sich dann hinstellt, und weil er keinen Plan hat meint, jemand aus der bösen Welt da draußen solle ihm einen auf den Tisch legen, dann wird er wegen grober Sorgfaltspflichtverletzung gefeuert.
[Ende des ersten Redebeitrags.]Jetzt mehr Zeit zu fordern, weil man durch jahrelanges, trotziges Nichthandeln Zeit verplempert hat, das kann man schon als dreist bezeichnen.
Ein politisches Spiel mit dem Feuer ist es hingegen, nun in Berlin auch noch mit Rechtspopulisten zu drohen, um die Debatte über den Kohleausstieg zu stoppen.
Sie haben das getan, zusammen mit der Brandenburger Landesregierung und in den letzten Jahren ganz bewusst ein gesellschaftliches Trauma erneut adressiert. Ein bei etwa 150.000 Menschen und ihren Familien tief sitzendes, aus dem Zusammenbruch der DDR-Kohlewirtschaft stammendes Trauma.
Sie haben das getan, um bei vielen Menschen Ablehnung und Angst vor einer Zukunft zu wecken, in der sowas angeblich wieder bevorstünde.
Sie haben das getan, obwohl Sie ganz genau wussten, dass die heutigen Strukturdaten in den Revieren Annahmen solcher Szenarien nicht mal ansatzweise rechtfertigen. Denn auch Sie wissen, dass in der Lausitz in der Summe aller direkten, indirekten und induzierten Arbeitsplätze noch etwa drei von 100 aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von der Braunkohle abhängig sind. Im mitteldeutschen Revier übrigens etwa fünf von 1000.
Sie wissen, dass das Auslaufen eines Braunkohlestandorts ein jahrelanger Prozess ist. Sie wissen weiter, dass bereits in den nächsten 15 Jahren in der Lausitz etwa 100.000 Erwerbsfähige fehlen. Sie wissen, dass etwa zwei Drittel der in der deutschen Braunkohlewirtschaft Beschäftigten in diesem Zeitraum das Rentenalter erreichen. All dieses Wissen hat Sie nicht davon abgehalten, dumpfe Ängste zu wecken. Das hat schon Trump’sche Qualitäten.
Sie haben mit verantwortungslosen Strukturbruch-Drohungen Zukunftsängste geschürt, um breite Unterstützung für Druck gegen Berlin und Brüssel zu erzeugen. Und sie waren erfolgreich damit, meine Damen und Herren.
Doch den Lohn der Zukunftsangst, meine Damen und Herren insbesondere von der CDU, den ernten nicht Sie. Den ernten jetzt andere. Die sind Profis im Umgang mit Ängsten. Und die erscheinen viel glaubwürdiger als Sie, wenn es um Schuldzuweisungen an den Bund und die Kanzlerin geht.
Es sind Ihre Wahlkreise, meine Damen und Herren, die Sie mit Angst vor Veränderung vergiftet, statt mit Mut zum Anpacken befruchtet haben. Auch den, den Sie verloren haben, Herr Ministerpräsident.
Deshalb ist es dringend an der Zeit, die Kurve zu kriegen!