Kommunalwahlrecht für Nicht-EU-Ausländerinnen und -Ausländer: Wer Ja zur Integration sagt, muss auch Ja zur politischen Teilhabe sagen

Rede der Abgeordneten Petra Zais zur ersten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion GRÜNE: "Gesetz zur Einführung des Kommunalwahlrechts für dauerhaft in Deutschland lebende Ausländerinnen und Ausländer aus Nicht-EU-Staaten" (Drs. 6/13351)
73. Sitzung des Sächsischen Landtags, 31. Mai, TOP 6
– Es gilt das gesprochene Wort –  

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren,

Dieses hohe Haus hat gestern über Integration und Teilhabe in Sachsen diskutiert. Bei allem Positiven – hinsichtlich der politische Teilhabe wurden wenige Fortschritte erreicht. Ein Umstand, den der Dachverband sächsischer Migrantenorganisationen diese Woche deutlich kritisiert hat. Nach wie vor ist die Situation in Sachsen so, dass ein nicht kleiner Teil der Bevölkerung von der politischen Repräsentation ausgeschlossen ist – und wenn es nach dem Willen von CDU und AfD geht – auch weiterhin ausgeschlossen bleiben sollen.

Wir reden über die Gruppe der dauerhaft in Sachsen lebenden Drittstaatsangehörigen, die – anders als UnionsbürgerInnen – bei Kommunalwahlen nicht ihre Stimme abgeben oder sich zur Wahl stellen dürfen. Damit bleibt ihnen das wichtigste demokratische Mittel für die direkte Mitgestaltung des Zusammenlebens in den Gemeinden vorenthalten.

Wer aber schon seit vielen Jahren in den Städten und Gemeinden Sachsens lebt, arbeitet, Steuern zahlt und Familien gründet und damit zum Gemeinwesen beiträgt, soll auch das Recht haben, mit zu entscheiden. Es passt nicht zu einer lebendigen Demokratie, einerseits Integrationsbemühungen einzufordern und andererseits politische Teilhabe zu verweigern. Vielmehr gehören Integration und Partizipation, mit dem Ziel, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und das Leben in der Gemeinde zu gestalten, untrennbar zusammen.
Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf wollen wir im Freistaat Sachsen die Rechtsgrundlage für die aktive und passive Teilnahme von dauerhaft im Freistaat Sachsen lebenden Nicht-EU-Ausländerinnen und -Ausländern an den Kommunalwahlen schaffen.

Dabei vertreten wir die Rechtsauffassung, dass die Einführung des Kommunalwahlrechts für Nicht-EU-Ausländerinnen und Ausländer ohne vorherige Änderung von Artikel 28 Abs. 1 GG zulässig ist und folgen damit dem Urteil des Staatsgerichtshofes der Freien Hansestadt Bremen vom 31. Januar 2014 beigefügtem Sondervotum der Richterin am Staatsgerichtshof Prof. Dr. Ute Sacksofsky.
Dauerhaft in Sachsen lebenden Ausländerinnen und Ausländern das aktive und passive Wahlrecht für die Kommunalwahlen einzuräumen ist "demokratisch geboten und integrationspolitisch absolut notwendig", wie der Sachverständigenrat Deutscher Stiftungen Migration und Integration feststellt.

Wir möchten, dass auch sie mit entscheiden können, wo die neue Schule und die neue Kita eröffnet wird, welcher Gehweg saniert werden muss, ob und wo neue Radwege und welche neuen Parkanlagen entstehen sollen. Denn auch sie sind, wie wir alle hier im Saal, von diesen Entscheidungen der Kommunalparlamente betroffen.

Diese Forderung ist nicht etwa ein grünes Hirngespinst!
In mehr als der Hälfte der 28 EU-Mitgliedstaaten ist das Kommunalwahlrecht für Drittstaatsangehörige gängige Praxis. Schweden im Jahr 1975, Dänemark 1981, Niederlande 1985 und Finnland 1991.
1992 verabschiedete der Europarat das Übereinkommen über die Beteiligung von Ausländern am kommunalen öffentlichen Leben. Deutschland hat das Übereinkommen aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken immer noch nicht unterzeichnet.
Schließlich hat auch die parlamentarische Versammlung des Europarates im Jahr 2001 in einer Empfehlung dazu aufgerufen, allen Ausländerinnen und Ausländern mit legalem Aufenthaltsstatus nach drei Jahren unabhängig von der Nationalität das uneingeschränkte passive und aktive Wahlrecht auf kommunaler Ebene einzuräumen.

Auch in Deutschland gab es schon Ende der 1980er Jahre bis hinein in die jüngste Vergangenheit Debatten über mehr Bürgerrechte für ausländische Einwohnerinnen und Einwohner.
Am 14. Februar 1989 führte der Landtag in Schleswig Holstein das Kommunalwahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer ein. Zur gleichen Zeit brachte der Stadtstaat Hamburg eine ähnliche Gesetzesinitiative auf den Weg. Schließlich war es das Bundesverfassungsgericht, das diesen Vorhaben einen Riegel vorschob, indem es die Ausweitung des Wahlrechts als nicht mit dem Grundgesetz vereinbar hielt.

Die Rechtsprechung des BVerfG wird seither kontrovers diskutiert.
So wies Felix Hanschmann vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg in einer Stellungnahme für die Anhörung des Innenausschusses im Bundestag darauf hin, dass die Einführung des kommunalen Ausländerwahlrechts durch eine Änderung des Grundgesetzes verfassungsrechtlich zulässig sei. "Insbesondere die Einführung des aktiven und passiven Kommunalwahlrechts für Unionsbürger und das aktive und passive Wahlrecht bei Wahlen zum Europaparlament haben den vom Bundesverfassungsgericht behaupteten Zusammenhang von Volkssouveränität, Staatsangehörigkeit und Staatsbürgerschaft widerlegt", so der Sachverständige.

Trotz der BVerfG-Urteile rangen progressive VertreterInnen in der Länderkammer, im Bundestag und in den Landtagen weiter für die Wahlbeteiligung von AusländerInnen in den Kommunen. (Bundestag: Gesetzentwürfe der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD und Anträge der Fraktion DIE LINKE in der 16. und 17. Wahlperiode; Landesebene: Gesetzentwurf Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Berliner Abgeordnetenhaus 2011, Gesetzentwurf Bremer Bürgerschaft 2012, Gesetzentwürfe Landtag NRW 2013 und 2016 von Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Piraten, Landtag Sachsen Antrag der SPD Fraktion Drs 5/12358).

Und nicht nur dort. Migrantenselbstorganisationen, Städte, Gemeinden und Gewerkschaften machten sich stark für die Repräsentation aller Bürgerinnen und Bürger in den Kommunalparlamenten.
Mehr als 100 Städte und Gemeinden verabschiedeten Resolutionen mit dem Ziel, die Einbeziehung auch der ausländischen Bevölkerung bei den Kommunalwahlen zu erreichen. Dazu zählen auch ostdeutsche Städte wie Halle und Rostock. Die Gewerkschaft ver.di führte im September 2013 eine Kampagne für das Wahlrecht von DrittstaatlerInnen in den Kommunen durch. Das Landesnetzwerk Migrantenorganisationen Sachsen Anhalt (LAMSA) und der Migrantenbeirat der Stadt Leipzig beteiligen sich an der Bundeskampagne "Hier lebe ich, hier wähle ich".
Es ist an der Zeit, auch hier in Sachsen die Debatte neu zu führen, denn wer Ja zur Integration sagt, muss auch ja zur politischen Teilhabe sagen. Betrachten Sie unseren Gesetzentwurf als guten Anlass dafür.

Welche konkreten Regelungen treffen wir in den einzelnen Artikeln unseres Gesetzentwurfes?
In Artikel 1 nehmen wir eine klarstellende Regelung des Artikel 86 der Sächsischen Verfassung vor, die ausdrücklich vorsieht, dass neben deutschen Staatsangehörigen und Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern auch Angehörige anderer Staaten vom Gesetzgeber zur Bürgerinnen und Bürgern erklärt werden können.
Konsequent folgen dann in Artikel 2 und 3 die Änderung der Sächsischen Gemeindeordnung und der Sächsischen Landkreisordnung mit der ergänzenden Passage zur Bestimmung des Begriffs "Bürger der Gemeinde bzw. des Landkreises ist – jeder Deutsche im Sinne des Artikels 116 des GG, jeder Staatsangehörige eines anderen Mitgliedsstaates der Europäischen Union auch jeder Ausländer, der im Besitz eines unbefristeten Aufenthaltsrechts ist". Und in Artikel 4 die daraus resultierenden Änderungen des Kommunalwahlgesetzes.

Eine abschließende Bemerkung noch zum Punkt unbefristeter Aufenthaltstitel.
Die Anknüpfung des Kommunalwahlrechts an ein unbefristetes Aufenthaltsrecht erachten wir als integrationspolitisch naheliegend. Damit sollen regelmäßig ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache und Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung sichergestellt werden. Zudem erscheint die Annahme plausibel, dass Ausländerinnen und Ausländer mit einem unbefristeten Aufenthaltstitel mit einer ähnlichen Wahrscheinlichkeit wie Unionsbürgerinnen und Unionsbürger ihren Wohnsitz aufrechterhalten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
seien Sie mutig und sorgen Sie dafür, dass im Freistaat Sachsen die Teilhabe von Ausländerinnen und Ausländern in den Kommunalparlamenten endlich Wirklichkeit wird.

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