Landesbeauftragtengesetz − Meier: Menschen müssen sich in der Geschichtsschreibung und Geschichtsdarstellung mit ihrer eigenen erlebten Geschichte wiederfinden
Rede der Abgeordneten Katja Meier (GRÜNE) zur zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ‚Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Rechtsstellung des Sächsischen Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Landesbeauftragtengesetz) und zur Änderung weiterer Gesetze‘
41. Sitzung des Sächsischen Landtags, 28. September 2016, TOP 3, Drs. 6/6517
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
Sehr geehrte Damen und Herren,
Wie passend, dass wir heute – kurz vor dem Tag der Deutschen Einheit, 26 Jahre nach der Wiedervereinigung – die Novellierung des Landesbeauftragtengesetzes zur abschließenden Lesung und Abstimmung auf der Tagesordnung des Landtages stehen haben.
Dem Tag der Deutschen Einheit gingen Monate voraus, die vielen in der einzigen freigewählten Volkskammer der DDR, einiges abverlangte. Ihre Aufgabe war klar definiert: Die Schaffung der gesetzlichen Grundlagen für die Demokratisierung eines Staates.
Die Abgeordneten der Volkskammer haben auf den Weg gebracht, dass die Menschen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ein unabhängiges Leben in Würde, Freiheit und Gleichberechtigung führen können. Diese Errungenschaft gilt es zu stärken, zu schützen und für zukünftige Generationen weiterzuentwickeln!
Die heutigen Schülerinnen und Schüler, aber auch die meisten Studierenden sind in der Mehrzahl in einer Demokratie geboren und sozialisiert worden. Menschen- und Bürgerrechte sind ihnen so selbstverständlich, dass sie ihnen zumeist gar nicht bewusst sind. Aber gerade heute – in Zeiten wo sich einige unsicher fühlen – muss die Demokratie immer wieder aufs Neue verteidigt werden. Es reicht nicht aus, ihren Wert an sich hochzuhalten. Die Demokratie muss mit Leben gefüllt werden, erlebbar sein.
Der Instrumentenkasten unserer Demokratie gibt uns die Möglichkeit, uns nicht Feinden gegenüber zu wissen, sondern politischen Gegnern, mit denen wir Auseinandersetzungen oder Streit über zentrale Fragen führen können. Genau das war aber in der DDR-Diktatur nicht möglich. Menschen die sich für Meinungs-, Wahl- und Pressefreiheit einsetzten, für die freie Ausübung ihrer Religion, für eine saubere Umwelt oder einfach Menschen, die Fragen stellten, wurden zu Feinden des Systems erklärt. Der Staat verhinderte eine demokratische Willensbildung, marginalisierte individuelle Freiheit und unterdrückte weite Teile der Bevölkerung mit Hilfe eines Überwachungsapparates.
Wir müssen uns dieses Wissen bewahren. Dieses Wissen über das perfide System der DDR. Nur mit einer Kultur der Erinnerung, die Interesse weckt, kann verdeutlicht werden, welch hohen Wert Freiheit und Demokratie heute haben.
Wir haben in Sachsen beispielhafte Erinnerungsorte, Aufarbeitungsinstitutionen, Forschungs- und Dokumentationsprojekte und Bildungsangeboten, die sich alle der Aufgabe stellen, einem all zu bereiten Vergessenwollen und einem all zu schnellen Vergessenwerden entgegenzuwirken.
Dazu brauchen wir aber auch einen Landesbeauftragen zur Aufarbeitung der Diktatur.
Die Grundlage für das Wirken des sächsischen Landesbeauftragen war bisher das Gesetz über die Rechtsstellung des sächsischen Landesbeauftragen für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Doch das 1992 verabschiedete Gesetz setzte Grenzen. Im Fokus lag die Offenlegung der bis dahin verdeckten Arbeit des Staatssicherheitsdienstes. Im Mittelpunkt seiner Arbeit stand die Beratung, Hilfe und Rehabilitation der Opfer. Heute 24 Jahre nach der Verabschiedung des ersten Landesbeauftragtengesetzes braucht es einen Blick über die Grenzen der Stasi hinaus. Nur so lässt sich das Ausmaß systematischen Unrechts erkenntlich machen.
Ich sagte es bereits bei der Einbringung des Gesetzentwurfs – wir hätten die Novellierung bereits vor zwei Jahren auf den Weg bringen können, als die GRÜNE Fraktion einen ähnlich lautenden Gesetzentwurf vorgelegt hat. Nun freue ich mich aber, dass es gelungen ist, einen mit CDU und SPD gemeinsam erarbeiteten Entwurf zur Abstimmung zu stellen.
Uns ging es einerseits darum, den Blick auf das Gesamtsystem der Diktatur in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR zu richten und anderseits um eine Fortschreibung und Konkretisierung dessen, was der Landesbeauftragte bisher getan hat. In der Sachverständigenanhörung waren sich alle Anwesenden einig, dass die Neuausrichtung des Landesbeauftragtengesetzes der richtige Weg ist. Gleichwohl haben aber alle Sachverständigen auch Kritik geübt und konkrete Änderungen vorgeschlagen. In einem nicht immer einfachen, aber immer konstruktiven Miteinander ist es uns gelungen, uns auf Konkretisierungen und Änderungen zu einigen.
Uns GRÜNEN ist bewusst, dass wir mit den vorgenommenen Änderungen nicht allen geäußerten KritikerInnen gerecht geworden sind. Gleichwohl denke ich, dass wir wesentliche Kritikpunkte aufgegriffen haben. So haben wir, und das war auch mir besonders wichtig, die Alltagserfahrungen und Lebenswirklichkeiten einerseits und die Rolle der Opposition und des Widerstandes anderseits im Bildungsauftrag verankert.
All zu oft wird der Alltag in der DDR heute verklärt. Der Landesbeauftragte kann mit seinem guten Netzwerk aus bestehenden Erinnerungsorten, den Forschungs- und Dokumentationsstellen und nicht zuletzt den ZeitzeugInnen zu einer reflektierten Auseinandersetzung und Bewusstwerdung, was Diktatur und Leben in einer Diktatur bedeutet und wo die Unterschiede zwischen Diktatur und Demokratie liegen, beitragen.
Frau Poppe, die Landesbeauftragte aus Brandenburg, hat das sehr plastisch in der Anhörung dargestellt. Die ¬. Dazu gehört das Alltagsleben aber auch die Veranschaulichung, wie sich diese Diktatur auf die Menschen ausgewirkt hat und wie die Menschen darauf reagiert haben. Wie haben sie reagieren können? Welche Spielräume gab es für sie? Woher haben diejenigen, die es geschafft haben, sich dem Zugriff durch das System zu entziehen, die Kraft genommen?
Genau diesen Anspruch haben wir in der Zielsetzung des Gesetzes formuliert und damit bin ich wieder beim Anfang meiner Rede: warum es sich lohnt, auch heute für die Demokratie einzustehen. Menschen, die sich gewehrt und schließlich die Diktatur zu Fall gebracht haben, sollten beispielgebend für die heutigen jungen Generationen sein, weil das eine wichtige Voraussetzung dafür ist, diese Demokratie zu verteidigen und nicht als etwas Selbstverständliches zu sehen, sondern auch dafür zu sorgen, dass sie erhalten bleibt.
Für uns alle ist und sollte klar sein, ein Schlussstrich kann und darf nicht gezogen werden. Dem Vergessen muss entgegengewirkt und das Erfahrene erfahrbar gemacht werden. Das kann aber nicht allein Aufgabe der Institutionen sein – es ist auch unser aller Aufgabe.
Ich danke allen, die daran mitgewirkt haben, dass wir den vorliegenden Gesetzentwurf heute beschließen können – allen voran natürlich Hanka Kliese und Martin Modschiedler, aber selbstverständlich auch Karl-Heinz Gerstenberg, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und nicht zuletzt den Sachverständigen.