Leistungen für Asylbewerber – Čagalj Sejdi: Sachleistungen für das physische Existenzminimum, Geld für die gesellschaftliche Teilhabe
Redebeitrag der Abgeordneten Petra Čagalj Sejdi (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktion AfD: „Butterbrot statt Bargeld! Sach- statt Geldleistungen in Sachsens Asyleinrichtungen“ (Drs 7/13866)
76. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 21.09.2023, TOP 7
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kollegen und Kolleginnen,
die von der AfD hier aufgestellte Forderung nach Sachleistungen für Geflüchtete geht in den vergangenen Wochen in der öffentlichen Debatte wieder rauf und runter und das auch bei anderen Parteien. Es wird der Anschein erweckt, man könne mit Sachleistungen Geld einsparen und gleichzeitig auch noch erreichen, dass weniger Menschen nach Sachsen oder Deutschland flüchten würden.
Das Ganze ist jedoch reiner Populismus. Sie erreichen damit weder das eine noch das andere. Ja, natürlich kann man die Versorgung von Geflüchteten auch durch Sachleistungen, Gutscheine, Chipkarten oder ähnliches umsetzen – man muss sich nur im Klaren darüber sein, dass dies wesentlich teurer werden wird als die momentane Versorgung und dass es auch niemanden davon abhalten wird nach Deutschland zu flüchten.
Sie schlagen „Prepaid-Karten“ oder „Chipkarten“ vor. Allein die Einrichtung eines solchen Systems kostet Geld. Dann müssen wir uns überlegen, wie die Verwaltung und Zahlung der Gelder funktionieren soll? Welche Einrichtung soll dazwischen geschaltet werden? Wer überweist 1,39 Euro für die H-Milch an den Discounter? Und das vielleicht gleich 20.000 Mal in der Woche und dann kommen noch mehr Einkäufe dazu – ein ungeheurer Verwaltungsaufwand. Anträge zur Gesundheitsversorgung über Chipkarten konnten bisher aus Kostengründen nicht umgesetzt werden, was meinen Sie wie teuer und aufwendig die „Sachleistungskarte“ wird?
Aber ganz abgesehen von der Unmöglichkeit der Umsetzung, kommt noch hinzu, dass Sie damit gegen unsere Verfassung verstoßen. Ich habe es in einer vergangenen Rede schon einmal erwähnt. Das Bundesverfassungsgericht urteilte bereits am 18. Juli 2012:
„Migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen. Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“
Kurz gesagt: Wer Zuwanderung steuern will, indem er das Existenzminimum einkürzt, steht neben unserer Verfassung.
Aber Sie wollen ja nicht nur vermeintlich Geld sparen, Sie wollen mit ihren „Butterbroten“ auch Menschen von der Flucht abhalten. Da muss ich Ihnen aber leider verraten: Das wird nicht funktionieren, denn Menschen, die, wie sie es behaupten, „wegen des Geldes“ zu uns kommen, die kommen, weil sie aus ihren Ländern vertrieben worden, weil sie dort nicht mehr sicher leben können. Sie suchen den Weg nach Deutschland,
- weil Deutschland ein sicheres Land ist,
- weil wir ein Land sind, in dem es Arbeit gibt,
- weil Deutschland ein Land ist in dem jeder zur Schule gehen darf,
- weil Deutschland ein Land ist in dem jeder eine Wohnung mieten darf.
Menschen, die zu uns flüchten, suchen Schutz, wollen arbeiten, wollen etwas zur Gesellschaft beitragen.
In meiner Zeit als Deutschlehrerin für zugewanderte Jugendliche habe ich vor allem eine Frage gestellt bekommen: „Frau Sejdi, wann können wir hier arbeiten?“ Die wenigen, die bereits arbeiten durften, die haben das vor und nach dem Unterricht getan. Ich hatte zum Beispiel einen Schüler, der jeden Morgen vor dem Unterricht die Zeitung ausgetragen hat und danach seinem Vater bei Paketlieferungen geholfen hat, am Abend und am Wochenende war er Pfandflaschen sammeln. Einen Ausbildungsplatz hat er trotz vieler Bewerbungen nicht bekommen, er wurde nicht mal zum Gespräch eingeladen. Noch heute verteilt er Zeitungen, fährt Pakete und sammelt Flaschen. So sieht der Alltag von Menschen aus, die sie hier als „Sozialschma***“ bezeichnen.
Wir können Geldleistungen abschaffen und teure Systeme zur Auszahlung von Sachleistungen entwickeln. Wir werden damit sicher auch einige Unternehmen, die dann daran verdienen erfreuen. Flucht nach Deutschland werden wir damit aber nicht verhindern.
Aber das spielt ihnen sicher in die Hand, dann können sie weiter hetzen und rechtes Gedankengut verbreiten.
Liebe Kollegen und Kolleginnen,
das Asylbewerberleistungsgesetz sieht im Grundsatz Sachleistungen in Aufnahmeeinrichtungen vor. Beim notwendigen persönlichen Bedarf, also wenn es um gesellschaftliche Teilhabe geht, nur dann, wenn dies mit vertretbarem Verwaltungsaufwand möglich ist. Und so wird es in den sächsischen Aufnahmeeinrichtungen praktiziert: Sachleistungen für das physische Existenzminimum, Geld für die gesellschaftliche Teilhabe.
UND Das ist richtig, weil jeder Mensch individuell ist und individuelle Wünsche und Bedürfnisse hat.
Sie von der AfD schreien ja schon Diktatur, wenn Regierungsvertreter „gendern“ empfehlen. Aber anderen Menschen vorschreiben, dass sie nur noch eine Tasse Kaffee pro Woche trinken dürfen, nur ins Kino aber nicht ins Museum gehen können, nur noch eine Zeitung lesen dürfen. Das ist für sie in Ordnung?
Hören wir auf, den Menschen Steine in den Weg zu legen. Lassen wir Menschen im Asylverfahren, Menschen, die eine Duldung haben, arbeiten, bilden sie aus, geben ihnen die Chance, Teil unserer Gesellschaft zu werden. Wenn Menschen ihren Lebensunterhalt selbst sichern können, müssen wir nicht über die hohen Sozialausgaben debattieren.