Lichdi: Akzeptieren Sie endlich die Risiken der Freiheit und beerdigen Sie möglichst schnell diesen schädlichen Gesetzentwurf!

Das Versammlungsgesetz ist symbolische Gesetzgebung, die nicht erreicht, was sie vorgibt, aber Tür und Tor für willkürliche Verbote öffnet. Sie ist ein Zeugnis für die schwache Verankerung demokratischer Grundwerte 20 Jahre nach der friedlichen Revolution.
Redebeitrag des Abgeordneten Johannes Lichdi zum Antrag „Ja zur Versammlungsfreiheit – Nein zu einem ‚Sächsischen Versammlungsrecht‘!“ in der 4. Sitzung des Sächsischen Landtages am 12. November 2009 zum TOP 6
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Präsident,
Meine Damen und Herren,
der Antrag der Linksfraktion erzwingt hier im Hohen Hause eine Debatte, die die schwarz-gelbe Koalition durch eine Änderung der Geschäftsordnung vermeiden wollte.
Die Koalition hat sich eine Ermächtigung geschaffen, Gesetzentwürfe nicht ins Plenum einbringen zu müssen, sondern gleich in die Ausschüsse verweisen zu lassen. Schwarz-Gelb enthebt sich so seiner Pflicht, ihren Gesetzentwurf vor dem Landtag und der Öffentlichkeit zu begründen. Die Koalition hat am letzten Mittwoch die Anhörung zum Gesetzentwurf gegen die Stimmen der Opposition auf den 25.11. 2009 festgelegt, also keine vier Wochen nach Einbringung: In dieser Zeit ist es der Opposition kaum möglich, Sachverständige zu gewinnen.
 
Was als „Beschleunigung“ des Verfahrens daherkommt, ist die bewusste Verschleierung eines Anschlags auf die Freiheitlichkeit unserer Verfassung.  
Dass die vorgebliche Rechtsstaatspartei FDP dazu ihre Hand reicht, zeigt, dass ihr Macht und Pöstchen wichtiger als ihre angeblichen Werte sind. Und ich füge hinzu: die Unterstützung dieses Gesetzes beschmutzt den Ruf des neuen Justizministers Dr. Martens, der noch in diesem Jahr in diesem Hause die Absichten zur Einschränkung des Versammlungsgrundrechts zu Recht gegeißelt hatte.
Der Gesetzentwurf gibt vor, die Menschenwürde insbesondere der Opfer des Nationalsozialismus und der kommunistischen Gewaltherrschaft schützen zu wollen. Wer wollte die „Menschenwürde“ in diesem Hause denn nicht schützen? – außer der NPD natürlich.
Aber die Vorantragung der Menschenwürde als Gesetzeszweck ist die alte verlogene Kommunikationsstrategie zur Abschaffung der Freiheit, wie wir sie seit Jahrzehnten kennen: Man nehme einen unbestrittenen Wert wie die Menschenwürde und male eine besonders abscheuliche Gefahr wie Terrorismus oder Kinderpornographie mehr oder weniger berechtigt an die Wand und verspreche Abhilfe mit der Einführung neuer Verbote und Überwachungsmethoden. Die „Schäubles“ dieser Welt hoffen so die Aufmerksamkeit des besorgten Publikums zu täuschen.
Denn auch der Gesetzentwurf von Schwarz-Gelb leidet unter vielen verfassungsrechtlichen Mängeln. Was aber besonders empört ist der offene Ungehorsam gegenüber dem Bundesverfassungsgericht. „Karlsruhe“ hat seit Jahren klargestellt, dass Versammlungen nicht wegen Meinungsäußerungen verboten werden dürfen, die strafrechtlich erlaubt sind.
1. Ich frage Sie meine Damen und Herren, kennen sie eine Strafvorschrift, die die Befürwortung des SED-Regimes unter Strafe stellt? Ich kenne Sie nicht. Dieser Gesetzentwurf möchte aber die Grundlage schaffen, entsprechende Versammlungen zu verbieten. Was soll das? – Mir ist noch keine Kundgebung ehemaliger Stasi-Angehöriger vor dem Stasi-Knast in Bautzen bekannt geworden. Offensichtlich haben sich hier die Ideologen der Extremismustheorie durchgesetzt, die es nicht ertragen, nur ein Gesetz gegen extrem rechte Meinungen zu machen.
Dass wir uns richtig verstehen: Ich würde eine solche Versammlung ebenso wie Nazidemos politisch aufs schärftste verurteilen. Aber in einer freiheitlichen Demokratie müssen wir schamlose und provokative Versammlungen ertragen, wenn wir nicht den Ast absägen wollen, auf dem wir selbst sitzen.  
2. Was soll denn das Verbot einer „Verharmlosung“ der „Folgen des 2. Weltkriegs“? – Was ist damit gemeint? Soll etwa eine „Verharmlosung“ der Vertreibung der Deutschen aus dem Osten oder der Teilung Deutschlands – sicher „Folgen des Weltkriegs“ – verboten werden? Oder möchte sich die Staatsregierung der Ansicht einiger unverbesserlicher Alt-Stalinisten anschließen, die den Mauerbau als Folge der Teilung Europas in zwei Blöcke rechtfertigen? – Diese Beispiele mögen genügen, um zu illustrieren, in welche Sinnlosigkeiten sich der Gesetzentwurf aufgrund seiner extremismusideologischen Prägungen und unbestimmten Voraussetzungen verstrickt.
   
3. Aber kommen wir doch auf des Pudels Kern: Bringt das Gesetz etwas für ein Versammlungsverbot gegen die Nazidemos um den 13. Februar in Dresden? Zunächst muss daran erinnert werden, dass die Stadt Dresden seit Jahren eine großflächige Demonstrationsverbotszone in der Dresdner Innenstadt mit Allgemeinverfügung durchsetzt. Leider haben die sächsischen Verwaltungsgerichte nicht gewagt, diese pauschalen Innenstadtverbote im Lichte des Art.8 GG in Frage zu stellen, sondern stets die polizeilichen Gefahrenprognosen abgesegnet.
Ihr jahrelanger politischer Druck hat schon ausgereicht, um die Versammlungsfreiheit in Dresden erheblich zu beschränken. Das neue Versammlungsgesetz kann auch nicht mehr erreichen. Denn selbst sie können das Grundrecht der Versammlungsfreiheit in der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts nicht ganz aushebeln – und das ist auch gut so!
4. Staatliche Symbolgebung
Dieses Gesetz bedeutet eine Grenzüberschreitung: Die Koalition möchte die Bedeutung eines Symbols, nämlich das, wofür die Rekonstruktion der Frauenkirche stehen soll, gesetzlich festschreiben und alle anderen Deutungen repressiv unterdrücken. Ein Erinnerungsort lässt sich in seiner „Bedeutung“, seinem Symbolgehalt, eben weder aktuell noch für die Zukunft eindeutig festlegen. Der Staat mischt sich so mit repressiven Mitteln in den öffentlichen Meinungskampf ein, der grundsätzlich frei von staatlicher Einflussnahme zu sein hat. Diese Grenzüberschreitung des Staates ist kennzeichnend für ideologische Staatssysteme, die vorschreiben und kontrollieren wollen, was ihre Bürgerinnen und Bürger zu denken und zu fühlen haben. Sie ist angesichts der Flüchtigkeit von Symbolgehalten nutzlos und einer freiheitlichen Demokratie unwürdig.
Nein, meine Damen und Herren, dieses Gesetz ist eine schädliche symbolische Gesetzgebung, die nicht erreicht, was sie vorgibt, aber Tür und Tor für willkürliche Verbote öffnet. Sie ist ein Zeugnis dafür, dass diese Koalition abweichende Meinungen nicht ertragen möchte, sondern lieber kriminalisiert. Sie ist ein Zeugnis für die schwache Verankerung demokratischer Grundwerte 20 Jahre nach der friedlichen Revolution.
Akzeptieren Sie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Akzeptieren Sie endlich die Risiken der Freiheit und beerdigen Sie möglichst schnell diesen schädlichen Gesetzentwurf!