Lichdi: Dieses Gesetz atmet einen Geist der Unfreiheit – Die Koalition spricht von Menschenwürde, möchte aber endlich Schluss machen mit Demonstrationen, die ihr nicht passen

Redebeitrag des des Abgeordneten Johannes Lichdi zur 2. Lesung des Gesetzentwurfs „Gesetz über die landesrechtliche Geltung des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge“ in der 7. Sitzung des Sächsischen Landtages am 20. Januar 2010, TOP 6

Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr verehrter Herr Präsident,
Meine Damen und Herren!

I. Was will die Koalition eigentlich mit diesem Versammlungsgesetz?
————————————————————————-
Justizminister Jürgen Martens (FDP) möchte gewalttätige Demonstrationen unterbinden und „Extremisten Grenzen setzen“. Das erste ist unnötig, weil das geltende Recht ausreicht. Das zweite ist schon vom Ziel her verfehlt: Auch Minderheiten, die die Mehrheit gerne als „Extremisten“ bezeichnet, haben demokratische Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit. Dies gilt selbst für Nazis.
Dieses Gesetz ist zutiefst unehrlich, denn es tut so, als ob es etwas regeln müsste, was schon längst geltendes Recht ist. Und dieses Gesetz will regeln, was die Verfassung nicht zulässt und dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit schweren Schaden zufügt.
Herr Justizminister Dr. Martens: dass sie dieses Gesetz unterstützen, ist ihr ganz persönliches Versagen, jedenfalls wenn sie für sich in Anspruch nehmen sollten, rechtsstaatsliberale Grundsätze zu vertreten. Aber Sie ducken sich lieber unter ihrem Chef Holger Zastrow weg, wo sie warnen und Widerstand leisten sollten!
Lässt man die aufwendige Wortakrobatik des Gesetzes weg, bleibt eines übrig: Sie wollen am 13. Februar in Dresden überhaupt keine Demonstrationen. Es geht um eine „Lex 13. Februar“, ein kaum verhülltes Einzelfallgesetz zur symbolischen Demonstration ihrer Tatkraft. Und weil es verfassungsrechtlich kein Einzelfallgesetz sein darf, wird der Anwendungsbereich des Gesetzes unendlich ausgedehnt und unbegrenzbar erweitert.
Dieses Gesetz atmet einen Geist der Unfreiheit. Eigentlich hält man die Versammlungsfreiheit des Grundgesetzes für zu weit geraten. Man möchte mehr Verbote und Einschränkungen – dies ist zwischen den Zeilen die überdeutliche Botschaft an die Versammlungsbehörden.
Dieses Gesetz zeigt mal wieder, wie schwache Wurzeln der Freiheits- und Grundrechtsgedanke in den Köpfen und Herzen der Mitglieder der Koalition geschlagen hat! Wir dürfen froh und dankbar sein, dass wir ein Bundesverfassungsgericht haben, das die Grundrechte gegen diesen Gesetzgeber schützt!

II. Das Konzept des Schutzes der Menschenwürde an historisch herausragenden Orten – Kern ihres gesetzgeberischen Konzepts ist der Schutz der Würde der Opfer an Orten von historisch herausragender Bedeutung
—————————————————————————-
1. Menschenwürde
Auf den ersten Blick kann es nichts Überzeugenderes geben, als am Schutz der Menschenwürde anzuknüpfen. Denn schließlich ist die Menschenwürde der höchste Verfassungswert: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.
Wer sich auf höchste Werte beruft, der hat oft viel Profaneres im Sinn. Dieses Profanere möchte er gerne verbergen und außerhalb der öffentlichen Diskussion stellen. Und so ist es auch hier: Die Koalition spricht von Menschenwürde, möchte aber endlich Schluss machen mit Demonstrationen, die ihr nicht passen.
Es soll um die Würde der Opfer gehen. Nun fallen uns sicher eindeutige Fälle ein, in denen die Würde der Opfer verletzt werden, etwa wenn Nazis in einem Konzentrations- oder Vernichtungslager die SS hochleben lassen. Aber so einfach ist es in den meisten Fällen eben nicht. Auch im Zivilrecht ist der postmortale Ehrenschutz zwar möglich, aber auf die Dauer doch sehr schwierig.
Kann die Menschenwürde für alle Zeiten geschützt werden? Welche Opfergruppen werden dafür nach welchen Kriterien ausgewählt? Wann ist der Punkt erreicht, an dem der Menschenwürdeschutz nur noch der Vorwand für ganz andere Zwecke ist? – Fragen, denen sich die Koalition verweigert.
2. Erinnerungsorte
Die Koalition sieht die Gefahr einer Menschenwürdeverletzung an bestimmten Orten und bestimmten Zeiten, wie insbesondere der Frauenkirche oder dem Völkerschlachtdenkmal.
CDU und FDP verkennen, dass die freie Wahl des Themas, des Ortes und der Zeit einer Versammlung essentieller Bestandteil der Versammlungsfreiheit sind. Das Konzept „verbotener Orte“ widerspricht dem. Die Koalition möchte grundrechtsfreie Räume schaffen und so die Unverbrüchlichkeit der Grundrechtsordnung in Frage stellen. Zudem droht eine Inflation dieser grundsrechtsfreien Räume, denn die Versammlungsbehörden jedes Kreises können in ihrem Territorium eigene „Erinnerungsorte von historisch herausragender Bedeutung“ festlegen. 
3. Insbesondere die Frauenkirche
Dieses Gesetz ist erinnerungspolitisch verhängnisvoll und bedeutet eine unzulässige Grenzüberschreitung, wie sie eigentlich für Diktaturen typisch ist.
Für welches Ereignis und für welche Gruppen ist denn die Frauenkirche ein historisch bedeutsamer Erinnerungsort? Die Begründung zum Gesetz sagt, sie sei ein Symbol der Versöhnung ehemaliger Kriegsgegner. Dies ist sicher die sympathischste Deutung, die die Frauenkirche durch die Aufbauhilfe aus England und Amerika gewonnen hat. Mir scheint aber, dass die Würde der Opfer des Bombenangriffs auf Dresden geschützt werden soll, die sich durch explizit politische Bekundungen gestört fühlen.
Wie jedes historische Ereignis hat das Monument der Frauenkirche viele, vieldeutige und auch widersprüchliche Erinnerungsmöglichkeiten. Die Ruine der Frauenkirche ist der Ort, an dem Helmut Kohl seine Rede vom 19. Dezember 1989 gehalten hat. – Ist sie damit ein Erinnerungsort für Einheit?
Die Ruine ist der Ort, an dem sich zu DDR-Zeiten eine staatsunabhängige Friedensbewegung entzündet hat. – Ist die Frauenkirche ein Symbol eine Mahnung für den sofortigen Abzug auf Afghanistan? – Nach dem Willen der damaligen ersten Akteure könnte sie damit auch ein Erinnerungsort für eine vom Anarchismus geprägte Absage an den Staat sein. – Diese authentischen Erinnerungsorte wurden jedenfalls durch den Wiederaufbau zerstört.
Die unzerstörte Frauenkirche vor 1945 ist das Monument des Selbstbewusstseins der protestantischen Bürgerschaft gegenüber dem katholischen König in der Hofkirche. Sie ist auch ein Symbol des alten Dresden, denken wir an das Gemälde von Kühl. Die Frauenkirche ist aber auch der „Dom der deutschen Christen“ im Nationalsozialismus, von dem Hakenkreuzfahnen geweht haben und in dem an einem sogenannten „entjudeten“ Christentum gearbeitet wurde, Die Frauenkirche ist also auch ein Erinnerungsort an die Täter.
Diese Dimensionen kennt das Gesetz nicht, ja es verdrängt sie geradezu. Das Gesetz versucht, nur eine einzige und dazu historisch sehr neue Deutung durchzusetzen – und das mit Hilfe des staatlichen Gewaltmonopols.
Dies ist ein ebenso nutzloser wie schädlicher Versuch. Denn Geschichte, Erfahrungen und Deutungen lassen sich nicht in eine allein verbindliche Form deformieren!
Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes maßt sich nicht an, über Deutungen historischer Ereignisse zu richten. Dies ist ein Kennzeichen totalitärer Systeme. Ich bin überzeugt, dass die Erkenntnis über diese Zusammenhänge auch bei den heutigen Befürwortern dieses Gesetzes wachsen wird.
Wir lehnen dieses verfassungswidrige und erinnerungspolitisch verhängnisvolle Gesetz ab.
» Änderungsantrag Beschlussempfehlung des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses zum ,,Gesetz über die landesrechtliche Geltung des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge“ (Drs 5/286 – Gesetzentwurf
der CDU-Fraktion und FDP-Fraktion)
(Drs. 5/1086), (Drs. 5/1087), (Drs. 5/1088)