Michael Weichert: „Alles gut in Bullerbü?!“
Redebeitrag des Abgeordneten Michael Weichert zur Regierungserklärung "Das neue Entwicklungsprogramm für den ländlichen Raum – verlässliche Politik für Sachsen"
94. Sitzung des Sächsischen Landtages, 9. April 2014, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
in letzter Zeit ist unser Landwirtschaftsminister Frank Kupfer durch die sächsischen Landkreise getingelt, um sich Ideen zur Entwicklung des ländlichen Raums abzulauschen. Danach band die Staatsregierung in ihren "Leitlinien für die Entwicklung des ländlichen Raums" einen bunten Strauß von Maßnahmen zusammen. Er ist ein fantastisches "Wünsch-dir-was", das den Menschen Aktivität vorgaukeln soll. Aus dem Mund der Staatsregierung klingen manche der Floskeln ungewollt komisch, z. B. die:
a) "Alternativen zum Individualverkehr auf dem Land schaffen"
Meine Damen und Herren, was meinen Sie damit? Haben Sie statt eines funktionierenden ÖPNV-Netzes nicht vielmehr das Ziel, möglichst jeden Ort an eine Autobahn anzubinden?
Die CDU-geführte Regierung ist überzeugt, dass die Bahn das Erschließungsmittel für die städtischen Ballungsräume sei und für die Bevölkerung der ländlichen Räume Bus und Auto ausreichen müssten. Jüngstes Beispiel ist die Abbestellung der Eisenbahn zwischen Meißen und Döbeln. Dabei will dieselbe Staatsregierung im Zuge ihrer Verwaltungsreform den Landesrechnungshof zwingen, nach Döbeln umzuziehen.
Aber Sie haben für solche Widersprüchlichkeiten am Ende ja immer eine Lösung und sei es nur auf dem Papier. Da träumen Sie schon gern einmal von Anruf-Sammel-Taxis und Bürgerbussen zur Absicherung der Daseinsvorsorge. Wenn sie sich auch nur ansatzweise mit der Materie beschäftigen würde, wüsste die Staatsregierung, dass für einen funktionierenden Bürgerbus ca. 20 Freiwillige nötig sind. Als meine Fraktion im vergangenen Jahr einen Gesetzentwurf (Sächsisches Landesgemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz) einbrachte, in dem derartige neue Mobilitätsformen aus dem Bundestopf für kommunale Verkehrsinfrastruktur erstmals gefördert werden sollten, wurde er von der schwarz-gelben Regierungskoalition niedergestimmt.
Wie die CDU nun Bürgerbusse anschieben will, bleibt ein Rätsel. Während in Nordrhein-Westfalen – auch aufgrund entsprechender Förderungen des Landes – bereits rund 80 Bürgerbus-Vereine existieren, gibt in Sachsen genau einen! Bis Ende 2012 verkehrte außerdem ein Anrufbus im Raum Löbau. Das von Landrat Bernd Lange (CDU) geführte Landratsamt stellte dieses Angebot jedoch ein – mit der Begründung, einer zu starken Inanspruchnahme und daraus resultierenden Kostenexplosion. Sie sehen, es macht einen Unterschied, ob man gefällige Textbausteine in Masterpläne kopiert oder man bei der realen Förderpolitik bereit ist, neue Wege zu gehen.
Aber, Meine Damen und Herren, meckern zählt nicht. Wer die Studie "Ländliche Lebensverhältnisse in Sachsen" (im Auftrag des Sächsischen Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG)) gelesen hat, weiß (ich zitiere aus der Zusammenfassung):
"Insgesamt ist der ländliche Raum in Sachsen jedoch von einer hohen Zufriedenheit seiner Bewohner mit ihrem Leben insgesamt, ihrer Stadt bzw. Gemeinde und ihrem unmittelbaren Wohnumfeld geprägt. […] Negative Aspekte wie fehlende Arbeitsplätze und Lehrstellen, schlechte ärztliche Versorgung oder Landflucht spielen bei der Bewertung des ländlichen Raums eine eher untergeordnete Rolle."
Na, wer sagt’s denn – alles gut in Bullerbü, oder? Dass gerade die unter 30-Jährigen den ländlichen Raum in Sachsen deutlich häufiger mit fehlenden Ausbildungsplätzen, Langeweile und Landflucht in Verbindung bringen, steht nur im Subtext. Dabei müssen wir gerade jungen Menschen Perspektiven eröffnen, die ein Leben auf dem Dorf oder in der Kleinstadt attraktiv machen. Auch dafür hat die Staatsregierung eine gute Idee in petto:
b) "Bildungsnetz von den Grundschulen bis zur akademischen Aus- und Weiterbildung erhalten und ausbauen"
Ja, hätten Sie sich das nicht schon vor 15 Jahren auf die Fahne schreiben können?! Nämlich bevor Sie es geschafft haben, das Schulnetz so löchrig wie einen Schweizer Käse zu machen. Jetzt den Ausbau und Erhalt des Schulnetzes zu fordern, ist schlichtweg Wählertäuschung!
Täuschungen sind noch andere Politikvorschläge für den ländlichen Raum. Vieles sind Ideen, die nicht von Ihnen stammen und die durch die Politik der Staatsregierung von vornherein konterkariert werden. "Hofladenstrukturen vor Einzelhandels- und Supermärkten aufbauen" oder "Image des Erzieherberufs verbessern" sind zwei dieser Beispiele.
Jetzt zum Entwicklungsprogramm für den ländlichen Raum (EPLR).
"Der vorliegende Entwurf ist eine gute Grundlage für die Förderung von Land- und Forstwirtschaft, des Naturschutzes sowie für die Entwicklung unserer ländlichen Gebiete", meinte Staatsminister Kupfer in einer Pressemitteilung. Das stimmt zumindest in Bezug auf die Fördermittel, die Sachsen zwischen 2014 und 2020 von der EU erhält und verteilen darf. Eine andere Frage ist, ob dieses Geld tatsächlich sinnvoll eingesetzt wird bzw. werden kann. Unserer Meinung nach ist das nur teilweise der Fall.
Grundsätzlich begrüßen wir es, dass die Verantwortung für den Einsatz der Fördermittel auch weiterhin in den Regionen bleiben soll. Dazu steht mit 40 Prozent der EPLR-Mittel viel Geld zur Verfügung. Das soll künftig noch freier vergeben werden. Die Staatsregierung will es sich in Zukunft verkneifen, einen thematischen Förderrahmen vorzuschreiben. Lokale Entscheidungsgremien müssen dann aber auch so besetzt werden, dass verschiedene Interessen repräsentiert werden und nicht nur Bürgermeister das Sagen haben, die ihre Dorfstraßen ausbauen wollen. Es ist verlockend, den Ausbau von zwei, drei Straßen mit der höchstmöglichen Förderquote durchzuwinken, zur Einweihung ein paar Bändchen durchzuschneiden und sich anschließend loben zu lassen, wie schnell und effektiv das Regionalbudget verwandt wurde. Gerade Projekte in den Bereichen Umwelt- und Naturschutz würden dann auf der Strecke bleiben, da deren Lobby oft nicht so stark ist.
Laut Vorgaben der EU soll ein weiterer Schwerpunkt der Förderung auf der Finanzierung von Agrar-, Umwelt- und Klimamaßnahmen liegen. Die geplanten Fördermittel für Naturschutzmaßnahmen sollen sich im Vergleich zur vorangegangenen Förderperiode nahezu verdoppeln. Ein Blick auf die Details macht jedoch deutlich, dass in ihnen oft der sprichwörtliche Teufel steckt.
So beendet die Staatsregierung mit Beginn der neuen Förderperiode die Umstellungsförderung für den ökologischen Landbau. Bisher erhielten Landwirte, die ihre Produktion umstellten, eine besondere Zuwendung. Diese machte durchaus Sinn, denn in den ersten drei Jahren produzieren die Neueinsteiger zwar bereits nach den Kriterien des Ökolandbaus, dürfen ihre Produkte jedoch noch nicht als Ökoprodukte vermarkten. Außerdem benötigt der Umsteller gerade in den Anfangsjahren neue Technik zur Bodenbearbeitung, Tierhaltung, Produktverarbeitung, Lagerung usw. Es entstehen also zusätzliche Kosten, ohne dass diese durch bessere Preise amortisiert werden können. Wer an dieser Stelle die Unterstützung zurückfährt, meint es mit der Förderung der ökologischen Landwirtschaft nicht ernst. Der Ökolandbau ist die nachhaltigste Form der Landbewirtschaftung. Sie zu unterstützen bedeutet, tatsächlich etwas für Natur- und Umweltschutz zu tun. In Sachsen werden nur rund vier Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche ökologisch bewirtschaftet. Bricht die Umstellungsförderung weg, wird sich diese Zahl nicht signifikant erhöhen.
Meine Damen und Herren, der Wegfall der Umstellungsförderung zeigt, was das Wort von Staatsminister Kupfer wert ist. Noch 2012 versprach er (ich zitiere):
"Wir wollen die positive Entwicklung der ökologischen Landwirtschaft weiter unterstützen und werden deshalb auch in Zukunft an der Förderung festhalten. Planungssicherheit brauchen vor allem die Landwirte, die mit ihren Betrieben auf eine ökologische Bewirtschaftung umsteigen wollen."
Meine Damen und Herren, wer so handelt, braucht über "China-Bio" nicht zu schimpfen. Die derzeitige Zahl der Betriebe in Sachsen kann den hiesigen Bedarf an ökologisch erzeugten Lebensmitteln bei Weitem nicht decken. Was bleibt also anderes übrig als die Waren zu importieren? Dass damit eine große Chance vergeben wird, regionale Wertschöpfung zu erzielen und Arbeitsplätze im ländlichen Raum zu schaffen, geht damit einher. In unserem Entschließungsantrag fordern wir deshalb, die erhöhte Umstellungsprämie für den ökologischen Landbau beizubehalten.
Mindestens genauso wichtig wäre es, dafür zu sorgen, dass konventionelle Betriebe nicht weiter "Agrarumweltmaßnahmen" gefördert bekommen, die eigentlich gute fachliche Praxis sein müssten. Es kann nicht sein, dass aufgrund dieser Förderpraxis konventionell wirtschaftende Unternehmen mehr Geld einstreichen, als ein Ökobetrieb bekommt, für den diese Maßnahmen in der täglichen Arbeit selbstverständlich sind. Ein Beispiel für diese verquere Logik ist die Förderung einer klima- und gewässerschonenden Düngung. Sollte die nicht selbstverständlich sein? Von Vertretern des Bauernverbandes wurde mir mehrfach versichert, dass (schon aus betriebswirtschaftlichen Gründen) kein Landwirt in Sachsen so viel dünge, dass Grund- oder Oberflächenwasser Schaden nehmen könnten. Zwar konnte man mir nicht sagen, warum 33 von insgesamt 70 Grundwasserkörpern in Sachsen einen chemisch schlechten Zustand aufweisen, weil sie mit zu viel Nitrat und Ammonium belastet sind – aber das ist nur eine Randnotiz.
Ich frage Sie: Wenn Sachsens Landwirte alles richtig machen, warum braucht es dann öffentliches Geld? So werden Mitnahmeeffekte provoziert. Sollte die gewässerschonende Düngung nicht eher Voraussetzung für die Genehmigung von Fördermitteln sein?
Meine Damen und Herren, obwohl die Staatsregierung verlauten lässt, den Verzicht auf Pflanzenschutz- und Düngemittel oder die Schaffung von Lebensräumen für Wildpflanzen und Vögel fördern zu wollen, subventioniert sie weiter den Einsatz glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel über die Agrarumweltflächenförderung. Dass Glyphosat negative Auswirkungen auf die Agrarökosysteme, Grundwasser und Gesundheit von Mensch und Tier hat, ist doch mittlerweile hinreichend bekannt. Die konservierende Bodenbearbeitung (also pfluglos) hat dazu geführt, dass der Einsatz von Herbiziden in der Landwirtschaft massiv zugenommen hat. Das Verfahren hat sich längst als ökonomisch rentables Standardverfahren etabliert. Es wird daher über die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (GAK) auf Bundesebene nicht mehr gefördert. Warum man die konservierende Bodenbearbeitung in Sachsen nach wie vor eine "Agrarumweltmaßnahme" nennt, ist mir ein Rätsel. Sie auch noch zu bezuschussen, ist ein typischer Fall einer "schmutzigen Subvention". Der Erosionsgefahr auf landwirtschaftlichen Flächen sollte stattdessen durch Heckenpflanzungen, Untersaaten und Zwischenfruchtanbau begegnet werden. Auch bodenschonende mechanische Unkrautbekämpfung mit Eggen wäre eine bessere Alternative.
Meine Damen und Herren, umzudenken scheint die Staatsregierung – zumindest auf dem Papier – bei der Förderung von Investitionen in der Landwirtschaft. Die Unterstützung artgerechterer Tierhaltung spielte bisher kaum eine Rolle. Laut Antwort der Staatsregierung auf meine Kleine Anfrage vom September vergangenen Jahres (Drs. 5/12709) zur Förderung der Investitionen in Stallanlagen wurden in den Jahren 2012 und 2013 durchschnittlich nur 3,2 Prozent der Fördermittel zur Anpassung der Anlagen an veränderte gesetzliche Rahmenbedingungen ausgereicht. Wie viele Tierhalter freiwillig in artgerechtere Haltungsbedingungen investiert haben, konnte die Staatsregierung leider nicht sagen. Nun sollen sie einen Bonus von 15 Prozent erhalten – wie ich meine ein erster Schritt, der nicht zuletzt dem Druck seitens der Europäischen Union zu verdanken sein dürfte. Deren Vordenker hatten im Vertrag von Lissabon 2009 endlich bemerkt, dass Tiere fühlen können! (Was für eine Erkenntnis …) Daraus folgten Aktivitäten, wie der "Aktionsplan zum Schutz und Wohlbefinden von Tieren", aus denen in absehbarer Zeit Normen abgeleitet werden dürften, die im Interesse des Tierwohls landwirtschaftliche Investitionen nach sich ziehen werden. Tierhalter in diesem Fall zu unterstützen, halten wir für sinnvoll.
Zusammenfassend stelle ich fest: im Entwicklungsprogramm für den ländlichen Raum steckt Potenzial. Konsequent umgesetzt schafft es den Regionen weitreichende Freiheiten bei der Gestaltung regionaler Entwicklungsprozesse. Die Betonung von Umwelt- und Klimaschutz sowie des Tierwohls sind für uns Grüne nicht zuletzt Bestätigung für unsere Arbeit in den vergangenen Jahren. Wir werden die Umsetzung des Programmes aufmerksam und kritisch begleiten, denn Papier ist geduldig. Zunächst hat die Staatsregierung allerdings die Aufgabe, die von mir genannten Schwachstellen zu korrigieren.
Vielen Dank!