Michael Weichert: Das Erinnern an die Vertreibung sollte im Dialog mit unseren Nachbarländern gestaltet werden

Redebeitrag des Abgeordneten Michael Weichert zum CDU/FDP-Antrag:
"Sächsischer Gedenktag für Heimatvertriebene" (Drs. 5/13651)
98. Sitzung des Sächsischen Landtages, 18. Juni 2014, TOP 4

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
der vorliegende Antrag wirft schwierige Fragen auf, die im Rahmen einer Landtagsdebatte kaum abschließend beantwortet werden können. Das ist der Grund, warum eine vertiefende Behandlung in den Ausschüssen sinnvoll wäre. Um eines klarzustellen: Das Schicksal der gegen Ende bzw. nach dem Zweiten Weltkrieg aus ihrer damaligen Heimat Vertriebenen sollte Gegenstand eines verantwortlich gestalteten Gedenkens sein. Damit stehen wir aber erst am Anfang einer schwierigen Debatte.
Die Koalitionsfraktionen machen es sich zu leicht, wenn sie einfach die Beispiele der Ministerpräsidenten Bayerns und Hessens
nachahmen, die 2013 per Proklamation jeweils einen entsprechenden Gedenktag in ihren Ländern eingeführt haben. Die Ausrufung eines Gedenktages allein sagt noch nichts über die Gestaltung des Gedenkens aus. Hier beginnen die Probleme erst.
Da ist zuerst die angemessene Würdigung des historischen Kontexts zu nennen, auf die ich noch gesondert eingehen möchte. Die bloße Festlegung eines Gedenktages ist noch lange keine Garantie dafür, dass das Schicksal der Betroffenen angemessen gewürdigt wird. Im Gegenteil: Nichts deutet darauf hin, dass das bloße Vorhandensein eines Gedenktages ein echtes Gedenken in der Gesellschaft befördert.
Wir können es doch am 17. Juni beobachten. Dieser ist tatsächlich ein Gedenktag. Und gerade in diesen Tagen wird offenbar, dass das beispielsweise der FDP nicht ausreicht. Sie hält es für erforderlich, den Buß- und Bettag abzuschaffen, damit der 17. Juni in Sachsen ein Feiertag werden kann. Aber auch das würde noch kein echtes Gedenken garantieren. Es ist bekannt, dass in der alten Bundesrepublik das Gedenken an diesem damaligen Feiertag immer mehr zugunsten normaler Freizeitgestaltung in den Hintergrund gerückt ist. Auf der anderen Seite ist ein bloßes Datum vor Missbrauch nicht sicher, was sich gestern mal wieder anhand der in Dresden stattgefundenen Nazi-Demonstration – ebenfalls anlässlich des 17. Juni – gezeigt hat. Natürlich bestünde dieses Problem in ganz besonderem Maße auch für einen Vertriebenen-Gedenktag!
Deshalb wäre es wichtig, zu wissen, nach welchem Konzept ein Gedenktag zu gestalten wäre. Noch wichtiger wäre es aber, zu klären, wie der Umgang mit der Vergangenheit nicht nur an diesem einen Tag aussieht: Wie helfen wir denn Menschen, die immer noch mit den durch Vertreibung erlittenen Traumatisierungen zu kämpfen haben? Mit welchen Maßnahmen vermitteln wir denn das historische Bewusstsein um die Ereignisse und ihre Hintergründe an jüngere Menschen? Ein Gedenktag allein wird dafür nicht ausreichen.
Vor allem aber bleibt die Frage, wie wir die Ereignisse richtig historisch einordnen. Es geht zum Beispiel nicht an, dass Nationalsozialismus, Stalinismus und Krieg in einem Atemzug als Ursachen genannt werden. Nicht alle flohen vor dem Krieg. Nicht alle wurden von Stalinisten vertrieben. Und der Nationalsozialismus ist als Ursache natürlich anzuführen, aber das kann ja nicht heißen, die Vertriebenen auch noch pauschal als Opfer des Nationalsozialismus zu betrachten. Es gehört zur Wahrheit nun mal dazu, dass manche Opfer zuvor auch Täter gewesen sein konnten. Wenn man aus der – Zitat – "leidvollen Geschichte" Deutschlands eine besondere Verantwortung ableitet, muss man sehr aufpassen, hier keine einseitige Opferrolle zu konstruieren.
In der Begründung wird zum einen betont, dass die Vertriebenen Heimat und Wurzeln verloren haben, zum anderen wird die Historisierung der Ereignisse angesprochen. Die Wahrheit ist, dass die Vertiefung der europäischen Einheit und lebendige Beziehungen zu unseren Nachbarn die Chance bieten, verlorene Heimat wiederzuentdecken, ohne Territorialansprüche zu stellen, und uns die Vergangenheit im Dialog zu vergegenwärtigen. Der vorliegende Antrag übersieht völlig, dass deshalb das Erinnern an die Vertreibung im Dialog mit unseren Nachbarländern gestaltet werden sollte, die vor der Vertreibung von Deutschen dem nationalsozialistischen Angriffskrieg zum Opfer gefallen sind. Da dieser Aspekt nicht berücksichtigt wurde, und weil der Antrag notwendige Differenzierungen unterlässt, können die Mitglieder meiner Fraktion ihm nicht zustimmen.