Michael Weichert: Das Zauberwort heißt Vernetzung der Verkehrsmittel

Redebausteine des Abgeordneten Michael Weichert zur Aktuellen Debatte "Autoland Sachsen – Motor für Beschäftigung und Wachstum"
94. Sitzung des Sächsischen Landtages, 10. April 2014, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Automobilbranche gehört zu den wichtigsten Brachen Sachsens – die Zahlen wurden bereits mehrfach genannt.
Wir haben Unternehmen der gesamten Zulieferpyramide in Sachsen – vom Automobilhersteller über die Systemlieferanten bis zu zahlreichen Modullieferanten.
Die Ansiedlung der Automobilproduzenten hat sich auf die gesamte Branche positiv ausgewirkt, das Werben des Freistaats um diese Investitionen und auch die Förderung haben sich ausgezahlt.

Es gehört im Wahlkampf wohl dazu, dass sich eine Regierung mit den erfolgreichen Unternehmen ihres Landes brüstet, angemessen ist das aber nicht, sie schmücken sich mit fremden Federn.

Allein die Probleme unserer Zulieferer wären eine eigene Debatte wert, z. B. die Einkaufspraktiken der Chefzulieferer (OEMs). Fast jeder Neuauftrag braucht Neuinvestitionen. Eine vertragliche Sicherheit für die Abnahme von Mindestmengen oder die Sicherheit vor einem Abzug des Auftrags wird in der Regel verweigert.
Die Kalkulation des Angebotspreises muss mitgeliefert werden. In der Folge werden die billigsten Kostenkomponenten der einzelnen Anbieter zu einem neuen Zielpreis addiert, der dann in weiteren Angebotsrunden weiter abgekocht wird. Hierbei sind i.d.R. bereits keine Vollkostendeckungen mehr möglich.
Internetbieterauktionen werden nur zur Preisreduktion genutzt, ohne für den Käufer bindend zu werden.
Teilweise werden Lieferanten für Rohmaterial und Zukaufteile durch den OEM inkl. des zu zahlenden Preises vorgegeben, so dass bei diesen Preiskomponenten keinerlei Marge mehr generiert werden kann.
Die Akzeptanz von neu entstehenden Forderungen für kostenfreie Produktänderungen, Sonderkosten und ähnliches bei laufendem Geschäft werden an die Berücksichtigung bei der "Ausschreibung" neuer Aufträge geknüpft.

Der Erfolg der sächsischen Automobilindustrie hängt nicht von den guten Ratschlägen der Staatsregierung ab, sondern davon, ob es den Kleinen gelingt, mit Innovationen ihre Stellung am Markt zu verbessern.
Den OEMs muss es gelingen, Trends aufzugreifen oder – noch besser – Trends zu setzen,
Die Anforderungen an ihr Produkt – das Automobil – sind im Wandel begriffen, die Märkte ebenfalls, Zuwachs auf den Exportmärkten, vor allem in Asien/Stagnation in Europa inkl. Deutschland.
Was heißt das für die Zukunft des Autos und damit des Standortes? Wie werden wir uns in Zukunft fortbewegen?
Mobil zu sein, bleibt ein Muss in modernen Gesellschaften, doch Mobilität von heute ist teuer erkauft: Umweltbelastungen, Klimaerwärmung, Verkehrsinfarkt, Lärm, Schmutz, Unfälle.
Das Auto ist für viele nicht mehr Statussymbol, sondern notwendiges Übel, für immer mehr Menschen nicht einmal mehr das: Gerade bei der jungen Generation geht der Trend zur "Demotorisierung",dazu kommt:
Erdöl als fossiler Brennstoff ist nicht unbegrenzt vorhanden; der weltweite Verbrauch steigt stetig. Die- Ölförderung hat ihren Höhepunkt erreicht; Ölquellen sind immer schwieriger zu erschließen. Egal, ob die Vorräte 2050, 2070 oder 2100 zur Neige gehen: Bei sinkender Fördermenge steigen die Ölpreise derart, dass günstigere Alternativen gesucht werden müssen. Das betrifft vor allem die Mobilität: Der Anteil des Verkehrssektors am weltweiten Ölverbrauch lag laut Greenpeace Mitte 2012 bei circa 70 Prozent.
Fazit: Das Auto von morgen muss weitestgehend ohne Öl auskommen! Den Herstellern ist dies bewusst, doch DAS Auto der Zukunft hat noch keiner erfunden. Die Automobilbranche sei »zunehmend verunsichert«, lautete der zentrale Befund des Beratungsunternehmens KPMG, das 200 der größten Unternehmen der Fahrzeugbranche nach dem »Auto der Zukunft« befragte. Bei der Antriebstechnik herrscht Konfusion, Experten sind sich einig, dass die ferne Zukunft der Elektromobilität gehört, doch welche Technologie die Autos in naher Zukunft antreiben soll, darüber gehen die Meinungen auseinander.
Weitermachen wie bisher führt in Sackgasse.
Dieter Zetsche, Vorstandschef der Daimler AG, ist überzeugt: »In 50 Jahren wird es ganz sicher keine Verbrennungsmotoren mehr geben.« Trotzdem: 99 Prozent der Autos heute tanken Benzin – wie der Benz-Patent-Motorwagen von 1886. Die Hersteller verfolgen eine »Fächerstrategie«, d.h., forschen in mehrere Richtungen – es kommt zur:
a) Diversifizierung der Antriebssysteme (Hybrid, Wasserstoff, Strom, Biogas usw.)
b) Diversifizierung der verwendeten Materialien
Nutzung leichterer Materialien zur Gewichts- und Energieeinsparung,
Kombination neuer Materialien wie z.B. Aluminium, Magnesium oder kohlefaserverstärkte Kunststoffe.
c) Diversifizierung der Modellpalette mit neuen Variationen der Karosserietypen und neuen Klein(st)fahrzeugen.
d) Diversifizierung der Wertschöpfung der OEM von einem reinen Anbieter von Produkten (d.h. Fahrzeugen) zu einem Anbieter von Produkten und Mobilitätsdienstleistungen wie z.B. Carsharing.
Und spätestens an dieser Stelle sind die Unternehmen dem Mobilitätsverständnis der Staatsregierung meilenweit voraus.
Morlok auf Kleine Anfrage (5/1083):
Also: ich kann als Carsharing-Nutzer zwischen großen und kleinen Fahrzeugen auswählen. Carsharing basiert auf der Idee »Nutzen statt besitzen«. Obwohl Carsharing seit 20 Jahren als Mobilitätsoption bekannt ist, erlebt es erst seit knapp 5 Jahren ein starkes Wachstum: 2011 gab es über 250.000 Carsharing-Nutzer, die Zahl der Nutzer hat sich damit innerhalb von 4 Jahren verdoppelt (Wachstumsrate ca. 20 Prozent).
Automobilhersteller nehmen dies ernst und reagieren, z. B.:
1. Peugeot mit "My by"

  • Mietservice für Fahrzeuge, Scooter, Fahrräder oder Zubehör,
  • Angefangen 2010 in Berlin, inzwischen gibt es das Carsharing-Angebot in 13 deutschen Städten,
  • auch international nutzbar (vertreten in 23 Ländern)

2. DRIVENOW (BMX, MINI, SIXT)

  • in Berlin, Hamburg, München, Köln und Düsseldorf,
  • Autosuche und Wahl per App –> stationsunabhängig
  • überall im Geschäftsgebiet verteilt, weit über 2.000 Fahrzeuge im Einsatz

Aber: Mobilität bedeutet nicht nur Autofahren. Die Vernetzung mit modernem ÖPNV ist notwendig. Verkehrswissenschaftler empfehlen, leichtere Übergänge zwischen den verschiedenen Verkehrsmitteln zu schaffen. Die Vision: Man leiht sich spontan ein Fahrrad, fährt damit zur Bahn, sucht sich während der Bahnfahrt per Handy einen Mietwagen am Zielbahnhof aus, mit dem man zum Ziel fährt – und am Ende des Monats werden die zurückgelegten Kilometer mit dem persönlichen Mobilitätskonto abgeglichen, auf das man sich jederzeit gegen Bezahlung Punkte laden kann.
Die Vorstellung der Staatsregierung vom Autoland Sachsen sind dagegen auf dem Stand von 1886 – es muss puffen und stinken, wenn das Öl alle ist, greifen wir zum Dampfantrieb – Hauptsache jeder hat ein fossil betriebenes Vehikel und kann damit auf autobahngleichen Straßen durch Sachsen rauschen.
Ende März erhielt Ministerpräsident Tillich die rote Karte der Deutschen Umwelthilfe für seinen Dienstwagen. Im Fuhrpark der Landesverwaltung sind aktuell über 4.500 Dienstwagen, die nicht viel besser abschneiden. Die Staatsregierung könnte Innovationen durch Anschaffung umweltfreundlicher Dienstwagen unterstützen (statt nur zu reden): In Sachsen produziert VW bekanntlich den Golf. Der VW Golf Blue Motion steht auf der Umweltliste des VCD auf Platz 5 der Gesamtwertung, mit einem durchschnittlichen CO2-Ausstoß von 92g/km erreicht er schon heute das Ziel der EU-Kommission für das Jahr 2020.
Die Debatte über die wirtschaftliche Bedeutung der Autoindustrie ist schön, das nächste Mal reden wir über die Wirtschaftskraft von Bahn und Bus, allein die Unternehmen der Bahntechnik beschäftigen in Sachsen 13.000 Mitarbeiter und haben einen jährlichen Umsatz von eine Mrd. Euro.
Für beide Branchen habe Sie die Förderung ihrer Verbundinitiativen gekappt – ihre aktuelle Debatte kann schon deshalb nicht ehrlich gemeint sein.