Michael Weichert: Die Entwicklung der sächsischen Wirtschaft ist in den letzten Jahren zum Stehen gekommen

Redebeitrag des Abgeordneten Michael Weichert zum GRÜNEN-Antrag
"8-Punkte-Plan zur Stärkung der regionalen Wirtschaftsstruktur im Freistaat Sachsen" (Drs. 5/14595)
101. Sitzung des Sächsischen Landtages, 10. Juli 2014, TOP 9

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Sommerpause naht mit großen Schritten, doch bevor Sie alle ans Buffet entlassen werden, möchte ich mit Ihnen über unseren Antrag zur Stärkung der regionalen Wirtschaftsstruktur im Freistaat sprechen.
Zum einen möchte ich dies tun, weil ich mich von dieser "Bühne" und von Ihnen verabschieden möchte. Zum anderen ist die Entwicklung der sächsischen Wirtschaft in den letzten Jahren zum Stehen gekommen. Die Dynamik der Entwicklung hat sich seit dem Ende der 1990er Jahre deutlich abgeschwächt und die Aufholfortschritte sind im vergangenen Jahrzehnt immer kleiner geworden. Im Jahre 2011 lag das BIP pro Einwohner in Sachsen bei rund 69 Prozent des westdeutschen Durchschnitts. Auch beim Produktivitätsniveau hat der Freistaat Sachsen zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung erst knapp 76 Prozent der westdeutschen Bundesländer erreicht. Die bestehende Kapitallücke ist mit etwa 20 Prozent weiterhin erheblich. Die sächsischen Unternehmen sind noch zu selten mit eigenen Produkten auf eigenen Märkten präsent. Dabei verlangen die Herausforderungen des Weltmarktes innovative und international aufgestellte Geschäftskonzepte, um perspektivisch im weltweiten Wettbewerb bestehen zu können. Zugleich macht die mangelnde Produktivität es den Betrieben zukünftig immer schwerer, dem zunehmenden Fachkräftemangel zu begegnen. Noch deutlicher wird der Rückstand, wenn man die Umsätze der sächsischen Unternehmen ins Verhältnis zur Zahl der Beschäftigten setzt. Dieser Produktivitätsvergleich auf Basis des IAB-Betriebspanels zeigt, dass wir uns auch bei diesem Indikator nur bei 70 Prozent des westdeutschen Niveaus bewegen.
Meine Damen und Herren,
all das ist nicht neu. Es steht bereits im Minderheitenvotum des Enquete-Berichtes Technologie und Innovation. Relativ neu ist hingegen das Eingeständnis von Kollegen Flath, der zugegeben hat, dass die CDU das Thema Wirtschaftspolitik in den vergangenen zehn Jahren sträflich vernachlässigt hat. Statt dessen wurde das Wirtschaftsministerium dem jeweiligen Juniorpartner als Spielwiese überlassen, auf der der Kleine nach Herzenslust herumtollen durfte. Während SPD-Wirtschaftsminister Jurk dabei das ein oder andere auf den Weg gebracht hat, verpuffte die Aktivität der derzeitigen FDP-Führung als sie es geschafft hatte, all das zu beerdigen, was die SPD vorher begonnen hatte. Die Wirtschaftsexperten von CDU haben dabei tatenlos zugesehen. Das hat mich stets geärgert. Nach dem Motto "rein in die Kartoffel, raus aus den Kartoffeln" kann man keine funktionierende Wirtschaftspolitik machen, sondern höchstens Geld verbrennen.
Einiges Geld haben wir in Sachsen auch verbrannt, indem wir sehr großzügig die sogenannten Leuchttürme gefördert haben. Nicht das wir uns falsch verstehen: Das ist nicht grundlegend falsch. Nur wenn dies – wie in der Ära von Georg Milbradt zum vorrangigen Ziel der Wirtschaftspolitik gemacht wird, kommen 98 Prozent der sächsischen Unternehmen zu kurz. Dabei müssen gerade diese kleinen und mittelständischen Unternehmen stark gemacht werden. SIE sind das Rückgrat der Wirtschaft im Freistaat. SIE müssen wachsen, um eine Größe zu erreichen, die eine eigene Entwicklungsabteilung und/oder einen internationalen Vertrieb möglich macht.
Meine Damen und Herren,
es ist natürlich eine Illusion, zu glauben, dass jeder kleine Betrieb zum Innovator und Player auf internationalen Märkten werden kann. Deshalb brauchen wir auch für Dienstleister und Handwerksbetriebe mit regionalen Wirkungskreis fördernde Rahmenbedingungen. Diese haben wir – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – in unserem 8-Punkte-Plan zusammengefaßt. Wirtschaftspolitik muss auch in Sachsen endlich umfassend gedacht werden. Damit überhaupt erst eine positive Entwicklung in den Kommunen und in den Städten von statten gehen kann, müssen zuerst die Fundamente richtig gegossen sein. Die alltäglichen Wege müssen für die Menschen bequem und sicher per Bus, Bahn, Fahrrad oder zu Fuß erreichbar sein. Hierfür muss zuallererst die regionale Infrastruktur erhalten werden. Die Staatsregierung kann darüber hinaus mit klugen Konzepten, wie der "Stadt der kurzen Wege", dafür sorgen, dass die Menschen in einer Umgebung leben, in der Arbeiten, Einkaufen, Wohnen und Erholen räumlich nicht weit voneinander entfernt sind. Auch ein integraler Taktfahrplan wäre ein innovatives Instrument, um das Mobilitätsangebot in ganz Sachsen – eben auch für die Wirtschaft – gezielt zu verbessern. Die Staatsregierung schreibt in ihrer Stellungsnahme zu unserem Antrag, dass ein "Deutschlandtakt" in der Verkehrsministerkonferenz diskutiert werde. Ich frage Sie: Wieso diskutieren sie das noch? Schauen sie sich die Schweiz an, lesen sie unser Konzeptpapier zu diesem Thema und dann handeln sie endlich! Sie haben die letzten fünf Jahre diskutiert – ein integraler Taktverkehr ist dabei bis heute nicht herausgekommen.
Verbessern sollte die künftige Staatsregierung auch die finanzielle Unterstützung der Kooperationen und Netzwerke zur Rekommunalisierung von Energienetzen. Eine zukunftsfähige Energieversorgung in Sachsen kann nur über die verstärkte Dezentralisierung der Energienetze gehen. Neben der Entstehung und Sicherung von lokalen und regionalen Arbeitsplätzen, ist es eine grundlegende Förderung des Wettbewerbs. Der Vorteil des Konzepts liegt darin, dass im Zuge der Gründung von kommunalen Energieversorger von vornherein in erneuerbaren Energien investiert werden kann. Solche richtungsweisende Projekte sind u.a. in Arzberg (Nordsachsen) zu sehen, wo vor wenigen Wochen die neugegründete Genossenschaft Neue Energie Ostelbien (NEO) den Plan zum Bau von Energiewindkraftanlagen beschlossen hat.
Meine Damen und Herren, die Staatsregierung hat in ihrer Stellungsnahme festgestellt: Die Neutralität der Netze, sei nach dem regulatorischen Konzept eine Grundvoraussetzung dafür, dass der Kunde auf dem Energiemarkt an den Vorteilen des Wettbewerbs partizipieren könne. Daher werde die vorherrschende Rekommunalisierungs-Renaissance kritisch gesehen. Also ich weiß ja nicht, was Sie für ein Verständnis von Wettbewerb haben. EON, RWE, ENBW und Vattenfall haben den Energiemarkt zu 75 Prozent unter sich aufgeteilt. Unser Bundeskartellamt muss sich also ganz sicher keine Sorgen machen, wenn sächsische Kommunen (wie Arzberg) Energiegenossenschaften gründen und Windkraftanlagen bauen. Ich jedenfalls freue mich über diesen Unternehmergeist der Menschen in den ländlichen Regionen – diesen wollen wir GRÜNE stärken!
Meine Damen und Herren, damit sind wir beim nächsten Thema: den Genossenschaften. Wir sehen die nächste Staatsregierung in der Pflicht, das Modell der Genossenschaft in den Kommunen stärker zu fördern und dessen Bekanntheitsgrad zu erhöhen. Denn die Genossenschaften basieren auf den Grundsätzen der Selbsthilfe, der Eigenverantwortung und der Selbstverwaltung. Die vermehrte Etablierung von Genossenschaften ist somit auch eine Stärkung der Kommunen.
Zuletzt erlauben Sie mir einige Bemerkungen zur Existenzgründung in Sachsen. Viele "Unternehmer von morgen" fühlen sich allein gelassen und wenig unterstützt. Wie die Statistik zeigt, bleibt das nicht ohne Auswirkungen auf die Anzahl der Gründer. Im Jahr 2010 befand sich Sachsen im Ländervergleich noch auf Platz 12. Mittlerweile sind wir auf Listenplatz 14 abgerutscht. Deshalb fordern wir bessere Rahmenbedingungen durch eine einfachere und schnellere Finanzierung von Gründern durch Programme wie das Mikrodarlehen über die SAB. Dort wird gebremst, verschleppt und verzögert was das Zeug hält. Gründern mit qualifizierten Konzepten wird ein Darlehen verweigert. Gehen sie in den Widerspruch, vergehen Monate. Bei Sparkassen und Volksbanken dauert eine Zusage im Schnitt nur zwei Wochen. Die Konditionen sind dort natürlich schlechter.
Meine Damen und Herren, was nützt ein Förderprogramm, wenn es unpraktikabel ist? Wozu brauchen wir es, wenn ich Gründern raten muss, lieber gleich zu den Banken zu gehen? Mit dem Programm Mikrodarlehen finanziert sich doch vorrangig die SAB selbst. Ich sagen Ihnen: Machen Sie dort was Anständiges draus oder stampfen Sie es ein.
Eine Alternative könnten die Mikrofinanzinstitute sein, doch deren Geschäftsmodell steht ihrer Aufgabe im Weg. Wenn das Land die Sicherheitseinlagen der Mikrofinanzinstitute übernehmen würde, blieben mehr finanzielle Ressourcen zur Förderung übrig. Bei einem Kreditausfall-Risiko von gerade einmal vier Prozent sollte das die Staatsregierung mal ernsthaft in Erwägung ziehen.
Meine Damen und Herren, die Vorschläge zur Förderung der regionalen Wirtschaft, welche wir mit diesem Antrag unterbreiten, sind kein Masterplan zur Entwicklung der sächsischen Wirtschaft. Sie sind lediglich Anregungen und die Aufforderung, Wirtschaftspolitik etwas weiter zu denken und als Teil der Regionalentwicklung zu begreifen. Es muss nicht die millionenschwere Förderung einer Großansiedlung sein. Oft kann man bereits mit kleinen Neuerungen Großes erreichen. Die erste wäre Ihre Zustimmung zu unserem Antrag. Vielen Dank!