Michael Weichert: Die Unterstützungsangebote des Freistaats zur Unternehmensnachfolge gehen am Bedarf vorbei
Redebeitrag des Abgeordneten Michael Weichert zum Antrag "Unternehmensnachfolge in Sachsen", 60. Sitzung des Sächsischen Landtages, 12. Juli 2012, TOP 9
– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Stellungnahme der Staatsregierung auf den SPD-Antrag erweckt den Anschein als gäbe es genug Unterstützungsangebote, um Unternehmensnachfolgen in Sachsen erfolgreich zu bewerkstelligen. Welche Fallstricke jedoch in der Praxis lauern, wie also unsere Förder- und Beratungsinfrastruktur in Sachsen tatsächlich arbeitet, möchte ich Ihnen an einem Beispiel schildern:
In Schirgiswalde (Landkreis Bautzen) gab es bis vor Kurzem eine Schlecker-Filiale und einen Lebensmittelladen.
Was aus Schlecker geworden ist, wissen Sie alle. Nun will auch der Betreiber des Lebensmittelgeschäfts aufhören. Er ist jetzt siebzig Jahre alt und hat sich seinen Ruhestand redlich verdient. Schließt der Laden, ist im Ort endgültig "tote Hose". Der nächste Discounter liegt außerhalb und ist, gerade für ältere Menschen, zu Fuß nicht zu erreichen.
Doch der Zufall meint es gut mit Schirgiswalde. Eine junge Frau möchte das Geschäft samt der 52jährigen Angestellten übernehmen. Die Qualifikation stimmt, denn sie war u.a. bereits als stellvertretende Filialleiterin eines Lebensmittelmarktes tätig. Seit Anfang dieses Jahres ist sie jedoch arbeitslos. Als die Mutter eines zweijährigen Kindes von Bekannten erfuhr, dass ein Nachfolger für den Schirgiswalder Laden gesucht wird, überlegte sie nicht lange und entschied sich für die Selbstständigkeit.
Ich fasse zusammen: Eine junge Frau möchte in Sachsen bleiben, die Nahversorgung eines Ortes im strukturschwachen Raum durch die Übernahme eines Unternehmens sichern und einen Arbeitsplatz erhalten. Bemerken sie etwas? Dieses Beispiel vereint alles, über was wir hier ständig reden, was wir uns wünschen und fördern wollen.
Wie sieht nun diese Unterstützung tatsächlich aus? Zunächst versuchte die Frau, den Existenzgründerzuschuss vom Arbeitsamt zu erhalten. Aufgrund einer Ermessensentscheidung der Sachbearbeiterin wurde der verwehrt, und zwar mit der Begründung, sie sei in andere Teile Deutschlands vermittelbar.
Als Nächstes wollte Sie auf das Programm "Gründungsberatung" aus der Mittelstandsrichtlinie zurückgreifen. Dieses geht an der Lebenswirklichkeit eines Existenzgründers aber meilenweit vorbei, denn es handelt sich um eine Vorgründungsberatung, die vor Aufnahme der Geschäftstätigkeit komplett vorfinanziert werden muss. In diese Zeit fallen aber auch sämtliche Gründungsinvestitionen, sodass jeder Cent zählt.
Der nächste Anlauf unserer Gründerin führte wieder zur Agentur für Arbeit. Um den Start zu erleichtern, beantragte sie Förderung für die von ihr übernommene Arbeitskraft, die ohne das Engagement der jungen Frau arbeitslos werden würde. Doch auch hier ergab die Einzelfallprüfung durch die Agentur, die 52jährige Verkäuferin sei problemlos vermittelbar. Förderung gäbe es deshalb keine.
So sieht also die Realität aus. Solange die Behörden GEGEN statt MIT dem Gründer arbeiten und Fördermaßnahmen am Bedarf vorbei gebastelt werden, ist es kein Wunder, dass die Zahl der Gründungen seit Jahren rückläufig ist.
Damit sich daran etwas ändert, werden dem Antrag der SPD zustimmen.