Michael Weichert: Gewurschtel von CDU und FDP ist schwer erträglich

Redebeitrag des Abgeordneten Michael Weichert zum Antrag "Therapiefreiheit der Tierärzte gewährleisten – Verschreibung und Abgabe von Medikamenten aus einer Hand sicherstellen" (Drs. 5/12292)
83. Sitzung des Sächsischen Landtages, 19. September 2013, TOP 5
– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrte Damen und Herren,
das am Mittwoch begonnene Possenspiel von CDU und FDP geht in die nächste Runde. Gestern forderten die Experten der Koalition (Drs. 5/12151) Maßnahmen zur Eindämmung multiresistenter Keime, heute wollen Sie, dass Tierärzte weiter Antibiotika verschreiben und sie auch noch selbst verkaufen dürfen. Gott sei Dank wird das nicht in Sachsen entschieden, denn Ihr Vorschlag würde dazu beitragen, dass die Zahl multiresistenter Keime durch den ungezügelten Antibiotikaeinsatz weiter ansteigt.
Dieser Antrag ist nichts anderes als der verzweifelte Versuch der FDP, jeder noch so kleinen Zielgruppe ein Bröckchen hinzuwerfen. Diesmal will sie die Tierärzte beglücken. Das ist plumpe Klientelpolitik zum Schaden des Gemeinwohls. Die FDP hopst verzweifelt gegen die 5-Prozent-Hürde. Offensichtlich ist ihr jedes Mittel recht.
Nun zum kruden Inhalt: Unter Punkt 1 fordern Sie einen Bericht: "Wie die Anwendung und Abgabe von Arzneimitteln in Nutztierbeständen in Deutschland genau geregelt ist" und "welche Maßnahmen auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene bereits ergriffen wurden, um den Ursachen für einen zu hohen Antibiotikaverbrauch entgegenzuwirken".
Meine Damen und Herren der Koalition, immerhin haben mittlerweile auch Sie zur Kenntnis genommen, dass der Antibiotikaverbrauch in der Tierhaltung zu hoch ist. Um Wissenslücken zu schließen, ist gegen einen solchen Bericht nichts zu sagen.
Albern wird es aber, wenn Sie – ohne den Bericht abzuwarten und ohne zu wissen, von was Sie reden – in Punkt 3 des Antrags das Dispensierrecht für Tierärzte unbedingt beibehalten wollen. Wenn das bei Ihnen schon feststeht, können Sie sich den Bericht sparen. Ich kann Ihnen versichern: So bekommen Sie den Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung nicht auf "das notwendige therapeutische Minimum beschränkt". Sie machen den Bock zum Gärtner. Momentan kann ein Tierarzt oft mehr mit dem Verkauf von Medikamenten als mit der eigentlichen tierärztlichen Leistung und Beratung verdienen. Das gleicht einer Lizenz zum Gelddrucken und verleitet dazu, sich auf Kosten von Tieren und Verbrauchern zu bereichern. Damit muss Schluss sein. Aktuelle Untersuchungen zeigen deutlich, dass dieses System so nicht funktioniert:
Bei der Hähnchenstudie aus Nordrhein-Westfalen kam heraus, dass über 96 Prozent der Masttiere teilweise mit mehreren verschiedenen Antibiotika behandelt werden. 53 Prozent der Tiere wurden nur 1 bis 2 Tage behandelt. Antibiotika können bei so kurzer Anwendung nicht heilen. Offenbar werden sie trotz Verbot weiter als Wachstumsförderer eingesetzt.
In der "NRW-Verschleppungsstudie" wurden 58 Proben aus dem Tränkwasser untersucht. Ziel war es, Informationen über Rückstände antibiotisch wirksamer Substanzen im Tränkwasser nach Behandlungsende und mögliche Verschleppungen von einem zum anderen Mastdurchgang zu erlangen. Das Ergebnis: In 62 Prozent der überprüften Ställe wurden Rückstände antibiotisch wirksamer Substanzen weit über das Ende des Mastdurchganges nachgewiesen. Bis zu 4 verschiedene Wirkstoffe je Stall waren es in der Hühnermast bzw. bis zu 7 in der Putenmast.
In einer Studie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover und der Universität Leipzig wurde nachgewiesen, dass Masthähnchen an jedem vierten Tag ihres kurzen Lebens Antibiotika bekamen. Im Schnitt an 10 der 39 Lebenstage.
Die Ergebnisse eines Gutachtens im Auftrag der GRÜNEN-Bundestagsfraktion zeigen, dass bis zu 6,4 Millionen Deutsche mittlerweile Träger bestimmter antibiotikaresistenter Keime sind.
Angesichts dieser Fakten wollen Sie uns hier weismachen, dass Tierärzte und Tierhalter verantwortungsvoll mit Antibiotika umgehen und dass die Kontrollen derzeit effizient sind?
Sie belieben zu scherzen! In Deutschland wurden 2011 unglaubliche 1734 Tonnen Antibiotika an Tierärzte abgegeben. Das entspricht mehr als 170 Milligramm Antibiotika pro erzeugtem Kilogramm Fleisch. Im europäischen Vergleich liegen nur Frankreich, die Niederlande und Griechenland darüber. Und daran wird sich so lange nichts ändern, solange Sie an den Zuständen in der Massentierhaltung nichts ändern wollen. Die industrielle Tierhaltung, speziell die Geflügelmast, ist aufgrund des hohen Krankheitsdrucks in den überfüllten Ställen auf den massiven Einsatz von Medikamenten angewiesen. Antibiotika sind die eigentliche "Schlüsseltechnologie", um überhaupt sehr viele Tiere auf sehr engem Raum halten zu können. Das Gesetz erlaubt bei Hähnchen 42 Kilogramm Lebendgewicht auf einem Quadratmeter Stallboden – was etwa 22 bis 23 Tieren entspricht. Das ist pervers.
Diese Tierquälerei – Minister Kupfer redet gern von ‚moderner Tierhaltung‘ – muss schnellstens beendet werden.
Meine Damen und Herren, wir GRÜNEN haben bereits im letzten Jahr Vorschläge zur Eindämmung des Antibiotikaeinsatzes in der Tierhaltung gemacht (Drs. 5/8110), z. B.:
– Abschaffung des Rabattsystems für den Einkauf von Antibiotika
– Aufhebung des Dispensierrechtes von Tierärzten – Sie sollen Medikamente zukünftig verschreiben dürfen, aber nicht verkaufen. (In der Humanmedizin funktioniert das ganz gut.)
– Vorrang der Einzeltierbehandlung vor der Behandlung des gesamten Tierbestandes
– Tierärzte müssen zukünftig genau dokumentieren, aus welchen Gründen welches Medikament zur Tierbehandlung eingesetzt wurde
– Einrichtung einer zentralen Datenbank zur lückenlosen Dokumentation der Antibiotika-Vergabe durch den Tierarzt und jeder Verabreichung durch den Tierhalter
Während wir GRÜNE tatsächlich etwas verbessern wollen, täuscht die Koalition mit dem vorliegenden Antrag lediglich Aktivität vor. Eigentlich soll alles bleiben, wie es ist. In der Begründung versuchen CDU und FDP nicht einmal, das zu vertuschen. Die Argumentation ist unlogisch und widersprüchlich. Ich erspare uns an dieser Stelle, dieses ‚Gewurschtel‘ zu wiederholen. Wer den Antrag gelesen hat – was eine echte Zumutung war – der weiß, was ich meine.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP: Der Antrag ist selbst für Ihre Verhältnisse schlecht.
Wir werden deshalb nicht zustimmen!
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