Michael Weichert: Verbundinitiativen als zentrales Element sächsischer Wirtschaftspolitik nicht sich selbst überlassen

Redebeitrag des Abgeordneten Michael Weichert zum Antrag der GRÜNEN-Fraktion "Verbundinitiativen als Instrument aktiver Wirtschaftspolitik nutzen", 60. Sitzung des Sächsischen Landtages, 12. Juli 2012, TOP 10


– Es gilt das gesprochene Wort –

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Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

"Der Aufbau von Clustern ist ein wichtiges Instrument der Regionalpolitik. Denn Cluster erzeugen eine Dynamik, die die Wirkung der eingesetzten Mittel vervielfacht. Clusterbildung im Mikroelektronik- und Automobilbereich ist ein gutes Beispiel, das noch stärker zum Maßstab für die künftige Wirtschaftsförderung in Ostdeutschland werden muss."

Dieses Zitat stammt vom ehemaligen Ministerpräsidenten Georg Milbradt und ist eine gute Einleitung in das Thema Verbundinitiativen, denn es zeigt, welche Schwerpunkte sächsische Wirtschaftspolitik in den letzten 13 Jahren gesetzt hat.

Mit der Verbundinitiative Automobilzulieferer Sachsen (AMZ) wurde 1999 die erste sächsische Verbundinitiative ins Leben gerufen, an der heute 120 Unternehmen beteiligt sind. Ungefähr 400 Firmen sind in der von AMZ aufgebauten Datenbank "Carnet" gelistet. Als eine der größten Verbundinitiativen im Freistaat Sachsen ist AMZ strategischer Partner mittelständischer Zulieferbetriebe, Projektinitiator und -begleiter zur Entwicklung der mittelständischen Wirtschaft.

Wie auch die anderen Verbundinitiativen im Freistaat ist AMZ gegründet worden, um die Größennachteile der sächsischen Unternehmen zu überwinden bzw. zu mildern, die Entwicklung kompletter Wertschöpfungsketten zu unterstützen und Impulse durch eine länderübergreifende Vernetzung der Unternehmen zu geben.

Vor dem Hintergrund der sächsischen Wirtschaftsstruktur macht das Sinn. Bitte bedenken Sie: 93,5 Prozent der sächsischen Unternehmen sind Kleinstbetriebe mit weniger als zehn Beschäftigten, 99 Prozent der sächsischen Wirtschaft zählt zum Mittelstand. Die im Vergleich zum Bundesdurchschnitt deutlich kleinteiligere Unternehmensstruktur in Sachsen hat weitreichende Folgen für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Es besteht ein klarer Zusammenhang zwischen dieser Kleinteiligkeit und dem Produktivitätsrückstand sächsischer Unternehmen gegenüber denen in den alten Bundesländern.

Wer, wie unsere liberalen Kollegen meint, die Unterstützung unserer Wirtschaft bei der Clusterbildung und Kooperation nicht fortführen zu müssen und diese Dinge den Unternehmen komplett selbst zu überlassen, hat nichts verstanden und ignoriert die sächsische Realität. Überlässt man die Verbundinitiativen sich selbst, werden deren Managements nicht mehr neutral zugunsten aller Unternehmen tätig werden können. Sie sind dann gezwungen, denen zu folgen, die aufgrund ihrer Größe und Finanzkraft am meisten Einfluss nehmen können.

Schauen Sie sich doch die große Mehrheit der Unternehmen, die in den Verbundinitiativen integriert sind, einmal genauer an. Viele davon, die als Auftragshersteller ohne eigenes Markenimage produzieren oder die als "verlängerte Werkbänke" nur bestimmte vor- oder nachgelagerte Arbeiten erledigen, sind den Spielregeln marktmächtiger Endkunden (OEM) unterworfen.
Dies beginnt bereits bei der Kalkulation des Angebotspreises, die offengelegt werden muss. In der Folge werden die billigsten Kostenkomponenten der einzelnen Anbieter zu einem neuen Zielpreis addiert. Hierbei sind i.d.R. bereits keine Vollkostendeckungen mehr möglich.

Neuaufträge brauchen meist Neuinvestitionen in erheblichem Umfang. Die prognostizierten Stückzahlen müssen vom Lieferanten finanziert werden, ohne dass es eine vertragliche Sicherheit für die Abnahme von Mindestmengen gibt. Ganz im Gegenteil: Das KMU liefert zunächst ohne Bezahlung und mit vollem Verlustrisiko in ein sogenanntes Konsignationslager. Erst bei Entnahme der Ware durch den Endkunden erfolgt der Verkauf. Dabei darf der Lieferant aber keine Rechnung schreiben, sondern nur liefern. Der OEM entscheidet im Gutschriftverfahren, wie viel er bezahlt und welche Kosten er für Reklamationen, Druckfehler auf Lieferpapieren oder diverse Einmalkosten vorher abzieht. Gegenläufige Preisgleitklauseln bei Tariferhöhungen, steigenden Energiekosten oder Materialteuerungen werden hingegen oft verweigert oder verspätet eingeräumt.

Lieferanten sind austauschbar und stehen unter permanenten Preisdruck und in Konkurrenz zu Niedriglohnstandorten. Die dabei noch zu erzielenden Umsatzrenditen liegen z.T. bei mageren 2-3 Prozent. Unter diesen Umständen ist es kaum möglich, Eigenkapital anzuhäufen oder Verbindlichkeiten zu bedienen oder – im Falle eigener Innovationen – diese langfristig zu sichern.

Dem Vorstand des ostdeutschen Bankenverbandes sind diese Probleme bewusst. Auf meine Frage, welche geeigneten Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung sie vorschlagen, wurde zu allererst die Förderung von Netzwerkinitiativen genannt.

Die traditionellen Handlungsfelder der Wirtschaftsförderung, nämlich Ansiedlungswerbung und Flächenbereitstellung, sind heute für Wachstum weniger bedeutsam. Es geht nicht mehr vordergründig darum, mobile Unternehmen zu akquirieren, sondern für ansässige Unternehmen Immobilitätsgründe zu schaffen. Der Standort Sachsen muss seine Wettbewerbsfähigkeit durch Eigenschaften gewinnen, die nicht verallgemeinerbar sind. Dieses Profil gewinnt er durch die Verbesserung seiner Standortfaktoren sowie der Initiierung und Entwicklung von Netzwerken bzw. Clustern, denn bestehende Beziehungen werden von den Beteiligten nur schwer aufgegeben. Die Förderung einzelbetrieblicher Innovationen allein unterstützt eine an den Marktbedürfnissen orientierte, innovative Vielfalt nicht. Diese kann jedoch durch eine Intensivierung der Kommunikationsdichte und -dynamik zwischen den Unternehmen erreicht werden.

Darum fordern wir die Staatsregierung auf, den Fortbestand der sächsischen Verbundinitiativen sicherzustellen. Voraussetzung ist die erfolgreiche Evaluierung durch eine unabhängige Institution, die gleichzeitig Vorschläge zur Weiterentwicklung der Clusterstrategie erarbeiten soll. Die Verbundinitiativen benötigen für ihre langfristige Existenz ein abgesichertes Budget in Höhe von 50 Prozent der Gesamtkosten des Managements, mit dem sowohl die Organisation einer Geschäftsstelle als auch die operative Umsetzung von Teilaufgaben gewährleistet werden kann. Die darüber hinaus benötigten Mittel sind durch Mitgliedsbeiträge, die Bereitstellung kostenpflichtiger Dienstleistungen, die Durchführung von Veranstaltungen oder Sponsoring zu erbringen.

Ziel ist, eine Balance zwischen öffentlicher und privatwirtschaftlicher Finanzierung zu finden, die langfristig tragfähig ist. Die öffentliche Förderung muss dabei stärker als bisher an konkrete Aufgaben und Ziele geknüpft werden. Diese leiten sich von den allen bekannten wirtschaftspolitischen Herausforderungen ab, die ich an dieser Stelle nur nennen, nicht aber im Detail erläutern möchte. Dies geschieht in der Begründung unseres Antrages.

Als wesentlich erachten wir die Themen:
– Die Ökologisierung der sächsischen Wirtschaft,
– Kooperation und Vernetzung,
– Die Förderung des Wissens- und Technologietransfers,
– Die Qualifizierung der Arbeitnehmer UND der Geschäftsführung,
– Die Begleitung von Unternehmensgründungen und Ansiedlungen,
– Sowie die Unterstützung sächsischer KMU bei Internationalisierungsbestrebungen.

Ich glaube, es besteht hier kein Zweifel daran, dass wir auch weiterhin eine aktive Wirtschaftspolitik im Freistaat Sachsen benötigen. Dazu brauchen wir taugliche Instrumente, auf deren Bestand sächsische Unternehmen bauen können. Verbundinitiativen sind ein Baustein in diesem "Instrumentenkasten", der nicht einem temporären politischen Zeitgeist geopfert werden sollte.

Deshalb bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag.