Michael Weichert: Wie nachhaltig ist der Aufschwung?
Redebeitrag des Abgeordneten Michael Weichert zur Fachregierungserklärung "Starke Wirtschaft – starkes Sachsen: Mit Tradition und Innovation Sachsen auf eigene Beine stellen" in der 28. Sitzung des Sächsischen Landtages, 19.01., TOP 2
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Im Oktober letzten Jahres hieß es in der Sächsischen Zeitung: «Es gibt Momente, da könnte man selbst mit Sachsens notorisch glücklosem FDP-Wirtschaftsminister Sven Morlok Mitleid haben.»
Heute, meine Damen und Herren ist wieder einer dieser Momente. Wir alle haben seine Regierungserklärung mit Spannung erwartet. Auch ich schlief in der letzten Nacht wenig, weil ich mir den Kopf zerbrach, welche Erfolge nun auf das Konto des Ministers gehen könnten. Da mir außer Ladenschlusskosmetik und Sonntagsöffnung für Videotheken und Autowaschanlagen partout nichts einfiel, schweiften meine Gedanken zu einer kleinen russischen Teilrepublik namens Tartastan.
Dort brach Staatsminister Morlok jüngst mit landestypisch herausgeputzten Schönheiten das Brot – zum Wohle der sächsischen Wirtschaft – während ihn seine Koalitionspartner zu Hause vorführten.
Gemeinsam mit der Vereinigung der sächsischen Wirtschaft (VSW) stellte die CDU in Abwesenheit des Wirtschaftsministers ein Strategiepapier zu Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik des Freistaates vor. Zum Glück stand darin nichts, was irgendeinen Neuigkeitswert besessen hätte. Darum würgte der Minister diese Kröte herunter und wahrte brav den Koalitionsfrieden.
Meine Damen und Herren, der Zeitpunkt heute für diese Regierungserklärung ist günstig. Der Absturz der Konjunktur hat erst einmal ein Ende. Diese Nachricht wirkte wie ein Befreiungsschlag aus kollektiver Depression. Während das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Sachsen im Jahr 2009 um 3,8 Prozent sank, können wir uns bereits für die erste Hälfte des vergangenen Jahres über ein Wachstum von 2,3 Prozent freuen. Deutlich größere Zuwächse verzeichnet die sächsische Industrie, die ihren Umsatz um 10,7 Prozent steigern konnte. Gleichzeitig sank die Arbeitslosigkeit im Freistaat um einen Prozentpunkt.
Für das begonnene Jahr überwiegt deshalb der Optimismus. Im Interview mit der Sächsischen Zeitung prognostizierte Sachsens Arbeitgeberpräsident Bodo Finger der sächsischen Industrie kürzlich ein Wachstum von acht Prozent. Angesichts solcher Zahlen jubelt Bundeswirtschaftsminister Brüderle schon mal von einem "Aufschwung XL". Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Staatsregierung die Urheberschaft des derzeitigen Schubs im Freistaat für sich reklamieren würde.
Aber, meine Damen und Herren, bei aller Euphorie müssen wir uns jedoch fragen, wie tragfähig das Fundament des momentanen Aufschwungs eigentlich ist. So wenig vorhersagbar der Zeitpunkt und der Verlauf der letzten Krise waren, so wenig hat irgendjemand die Stärke und das Muster des jetzigen Aufschwungs kommen sehen.
Freudetrunken dürfen wir die Risiken für die sächsische Wirtschaft nicht vergessen. Denn das derzeitige Wachstum der Weltwirtschaft, von dem Deutschland, natürlich auch Sachsen, als industrie- und exportlastige Nation überproportional profitiert, rührt vor allem aus den gigantischen staatlichen Konjunkturprogrammen, die alle wichtigen Länder – von den USA bis China – aufgelegt haben. Dass in einem Umfeld massiver staatlicher Nachfrageprogramme bei Niedrigzinsen die Wirtschaft wächst, sollte niemanden überraschen. Die Frage ist nur, wie lange dieser Impuls wirkt. Und: Wie lange können die Staaten ihren gigantischen Kapitalbedarf auf den Märkten decken?
Während sich die Koalition am Bruttoinlandsprodukt berauscht und an ihrer Strategie des "Höher – Schneller – Weiter" festhält, stellt sich mir schon die Frage, wie nachhaltig der gegenwärtige Aufschwung ist. Wurden die richtigen Schlussfolgerungen aus den Ursachen der Krise gezogen? Können wir unseren Wohlstand retten, ohne die Natur, Klima und Umwelt zu ruinieren?
Während das BIP wächst, meine Damen und Herren, werden Luft, Ozonschicht, Wasser, Böden, Ressourcen und Biodiversität verschmutzt, ausgebeutet oder unwiederbringlich zerstört.
Das BIP bildet ein rein quantitatives, kein qualitatives Wachstum ab. Ihm ist es völlig egal, ob Spritschlucker verkauft werden oder Öko-Autos, ob Kohlekraftwerke rauchen oder Solarstrom fließt, ob Dioxin-Eier gekauft werden oder Bio-Ware, ob gute oder Billiglöhne gezahlt werden.
Meine Damen und Herren, das BIP-Wachstum und der Ressourcenverbrauch müssen entkoppelt werden. Mehr Wachstum muss mit weniger Verbrauch einher gehen. Dies wäre eine offensive Innovationsstrategie, dank der wir mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben können. Sie ist dringend geboten, denn nicht nur die Geld- und Warenkreisläufe sind gestört, auch das Ökosystem ist aus den Fugen. Schwindende Ölvorräte, Wasserknappheit oder der Verlust fruchtbaren Ackerlandes – eine Rückkehr zum Wirtschaftswachstum alten Typs funktioniert bestenfalls kurzfristig und auch nur mit fatalen Folgen.
Vielleicht spielt Bodo Finger im SZ-Interview darauf an, wenn er sagt:
«Jetzt jedoch wieder zur Tagesordnung zurückzukehren, als sei nichts geschehen, wäre der schlimmste Fehler, den wir begehen könnten.»
Kein Fehler ist es hingegen, einen Blick auf die Studie "Die Bundesländer im Standortwettbewerb 2010" zu werfen, die von der Bertelsmann-Stiftung herausgegeben wurde. Darin heißt es für Sachsen:
«Im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise ist deutlich geworden, dass die Lenkung aller strategischen Bemühungen auf einige wenige Musterbranchen mit Risiken behaftet ist. […] Das Land sollte nun andere Stärken als die Chipindustrie entdecken und ausbauen. Eine zukunftsträchtige Branche ist womöglich die Solarindustrie.»
Richtig! Und auch mehr als nur vier Worte wert in einer 15-minütigen Regierungserklärung, Herr Staatsminister! Denn das betrifft nicht nur Solar-Modulhersteller sondern auch die mehr als 120 sächsischen Photovoltaik-Installationsbetriebe sowie Elektromeister, Heizungsbauer, Dachdecker, Ingenieurbüros und Solarparkbetreiber. Bei der Unterstützung der Solarbranche geht es um Wirtschaftsförderung für den Mittelstand – haben Sie sich ja auf die Fahne geschrieben. Nicht zu vergessen die 5.400 Arbeitsplätze in der Photovoltaik, einer Branche mit zwei Milliarden Euro Jahresumsatz.
- den Übergang zu erneuerbaren Energien im großen Stil,
- die Steigerung der Ressourceneffizienz,
- die Entwicklung einer neuen Generation umweltfreundlicher Produkte und Technologien,
- die Umstellung auf biologische Rohstoffe und Verfahren
- sowie den Bau und die Sanierung von Häusern, die zu Netto-Energieerzeugern werden.
Herr Minister, Sie haben gesagt: «Mobilität ist für mich ein Bürgerrecht.»
Zustimmung!
Nur wie passen denn dazu die dramatischen Kürzungen im Bereich des sächsischen öffentlichen Nahverkehrs im jetzt gültigen Doppelhaushalt? Die Auswirkungen dieser Kürzungen sind uns von den Zweckverbandsgeschäftsführern in der PGB sehr deutlich beschrieben worden. Ein Desaster, meine Damen und Herren, eine Schädigung der Verkehrspolitik und nur sporadische Zusammenarbeit zwischen Aufgabenträgern und dem SMWA, trotz unserer demografischen und finanziellen Situation viel Neubau statt Sanierung. Radverkehrsförderung kommt nicht mehr vor, um die Alltagsprobleme der sächsischen Fahrgäste und Verkehrsteilnehmer kümmert sich das zuständige Ministerium nicht! Bürgerrecht ernst nehmen, sieht anders aus!
Die sächsischen Unternehmen sehen die Entwicklung der Rohstoff- und Energiepreise in den kommenden zwölf Monaten als eines ihrer größten Risiken. Erholt sich die Weltwirtschaft von ihrem jüngsten Absturz so schnell, wie es sich derzeit abzeichnet, steigt bei rückläufigem Angebot die Nachfrage für Petroleum. Die Zeiten billigen Öls sind ein für alle Mal vorbei – mit allen negativen Auswirkungen auf die sächsische Wirtschaft.
Kostenexplosion, Produktionsrückgang und eine erneut steigende Arbeitslosigkeit sind da nur die wichtigsten Stichworte: Es droht eine Rezession, die sich gewaschen hat, wenn es uns nicht gelingt, aus der Abhängigkeit vom Öl auszusteigen. Deutschland ist zu 97 Prozent von Erdöl-Importen abhängig, Sachsen sogar zu 100 Prozent.
Hierzulande sind täglich über 200.000 Pendler auf funktionierenden Verkehr angewiesen. Ein großer Teil fährt auf Erdöl-Basis mit dem eigenen KFZ oder Bussen. Sechs Millionen Touristen, von denen ein großer Teil ölgetrieben Jahr für Jahr im Freistaat unterwegs ist. 5,6 Millionen Tonnen Mineralöl wurden 2007 in Sachsen verbraucht. Bei 4,2 Millionen Einwohnern ist das mehr als 1,3 Tonnen pro Kopf.
Eine Studie des internationalen Versicherungsmarkts Lloyds of hält einen Ölpreis von 200 Dollar pro Barrel im Jahr 2013 für möglich. Es stellt sich die Frage, wie die sächsische Wirtschaft und Gesellschaft auf diese Entwicklung vorbereitet werden kann.
Herr Minister Morlok, wie sieht Ihre Vision des postfossilen Zeitalters für Sachsen aus? Haben Sie sich darüber überhaupt schon einmal Gedanken gemacht? Wenn ja, wann lassen Sie uns das durch Ihre Politik merken?
Nein, denn in meinen Anfragen, nachzulesen in Drs. 5/4376+77 zu den Auswirkungen des Peak Oil und ob Sachsen darauf vorbereitet ist, antworten Sie:
1. Nein.
2. Es wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen.
3. Die Staatsregierung erstellt keine Prognosen zur zeitlichen Verfügbarkeit der Erdölvorräte.
4. Der Staatsregierung liegen diesbezüglich keine statistischen Daten vor.
5. Vor dem Hintergrund der Preisvolatilität erstellt die Staatsregierung keine Prognosen hinsichtlich der Verfügbarkeit von billigem Erdöl und Erdgas usw., usf. in diesem Stil!
Verantwortliche, für- und vorsorgliche, zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik für Sachsen sieht anders aus meine Damen und Herren!
Meiner Ansicht nach wird Ihr Politikstil treffend in der Studie der Bundeswehr charakterisiert: in Studien "Sicherheitspolitische Implikationen knapper Ressourcen" heißt es nämlich:
«Es ist schwierig, sich vorzustellen, welche Bedeutung ein sukzessiver Entzug einer der wichtigsten Energiequellen unserer Zivilisation haben kann. Psychologische Barrieren sorgen für das Ausblenden an sich unbestreitbarer Fakten und führen zu fast instinktiver Ablehnung einer eingehenden Auseinandersetzung mit dieser schwierigen Thematik. Der Eintritt des Peak Oil ist jedoch unvermeidlich.»
Allein mit Fortschrittsoptimismus sowie im Glauben an die Marktkräfte ist dem notwendigen Strukturwandel nicht beizukommen. Das Argument, wenn der Preis für Öl entsprechende Höhen erreicht hat, lohnt es sich, nach neuen Ressourcen und Technologien zu forschen, greift zu kurz. Forschung und Produktentwicklung brauchen Zeit. Darum müssen wir eben jetzt die richtigen Weichen stellen.
Außerdem braucht die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft ins postfossile Zeitalter Energie. Sie wird zur Förderung von Erdöl aus großen Tiefen oder aus ölhaltigen Sanden ebenso benötigt wie für den Umbau der Infrastruktur. Im ungünstigsten Fall ist mehr Energie für den Transformationsprozess notwendig, als ab einem bestimmten Zeitpunkt verfügbar ist. Das heißt, der Umbau scheitert, wenn nicht rechtzeitig gehandelt wird.
Meine Damen und Herren, von der Energie- und Rohstofffrage abgesehen, gibt es noch eine Reihe weiterer Dinge, die einer Lösung bedürfen. Noch immer sind zu viele sächsische Unternehmen "verlängerte Werkbänke", die nicht selbst innovieren und die keinen eigenen Zugang zum Weltmarkt haben. Obwohl viele Milliarden Euro an Fördergeldern ausgegeben wurden, hat sich daran zu wenig geändert. Dies liegt unter anderem daran, dass es der Staatsregierung nicht gelungen ist, den Einsatz des Geldes wirkungsvoll zu kontrollieren. Im Zuge der Haushaltsdiskussion habe ich eine Vielzahl Kleiner Anfragen bezüglich der Evaluation des Erfolgs staatlicher Fördermaßnahmen gestellt. Die Antworten waren ähnlich nichtssagend wie die schon angesprochenen, sprachen aber trotzdem oft Bände Drs. 5/2189:
«Eine Erfolgskontrolle geschieht in den meisten Förderschwerpunkten mit Hilfe eines Fragebogens, den die KMU ein halbes Jahr nach Abschluss der Maßnahme ausfüllen.»
Meine Damen und Herren, versetzen Sie sich doch bitte einmal in die Rolle des Unternehmers, der als Empfänger staatlicher Gelder so einen Fragebogen bekommt! Was würden Sie antworten?
- Dass Sie von der Bürokratie erschlagen wurden?
- Dass Sie gezwungen waren, Ihr Anliegen so zu verändern, dass es der gewünschten Fördermittelprosa entspricht?
- Dass das ursprüngliche Ziel vielleicht gar nicht erreicht wurde?
Ganz sicher würden Sie nichts von alledem schreiben. Schließlich wollen Sie das Geld weder zurückzahlen müssen, noch wollen Sie sich bei künftigen Vorhaben selbst im Wege stehen.Meine Damen und Herren, wir brauchen bessere Instrumente zur Erfolgskontrolle, den wir wollen effizient und sinnvoll fördern. So lange die FDP in der Opposition war, hatte ich den Eindruck, dass sie dieses Ziel ebenso verfolgt. Heute merke ich davon kaum noch etwas.
Eine weitere Voraussetzung für den Erfolg sächsischer Betriebe sind deren Mitarbeiter. Sie erzielen bestmögliche Leistungen, wenn sie nicht nur hoch qualifiziert sondern auch motiviert sind. Ob die Motivation gelingt, solange sie für gleiche Arbeit oft 30 Prozent weniger als ihre Kollegen in den alten Bundesländern verdienen, bezweifle ich.
Ich weiß: Es wird uns nicht gelingen, über Nacht das Lohnniveau anzugleichen. Aber die Staatsregierung sollte endlich damit aufhören, den Lohnunterschied als Standortvorteil zu verkaufen. Damit wird dieser zementiert. Abwanderung von Fachpersonal ist die Folge.
Herr Minister, Sie sind übrigens auch für die Menschen zuständig, die arbeitsuchend sind. Auch wenn die Statistik einen Rückgang der Arbeitslosenzahlen ausweist, gibt es im Freistaat weiterhin Probleme auf dem Arbeitsmarkt, die ungelöst bleiben.
Sachsen ist in punkto Beschäftigungsquote im ostdeutschen Vergleich von Thüringen und Brandenburg abgehängt worden. Laut Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) ist die Zahl der arbeitslosen Älteren deutlich gestiegen. Innerhalb eines Jahres erhöhte sich die Zahl der Erwerbslosen zwischen 60 und 65 Jahren um fast 50 Prozent.
Warum die Staatsregierung vor diesem Hintergrund die Maßnahmen des Europäischen Sozialfonds (ESF) in Sachsen zur Unterstützung von älteren Arbeitslosen ersatzlos gestrichen hat, ist mir ein Rätsel. Auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen hat sich in Sachsen kaum verändert. Dennoch sieht Minister Morlok für einen Zweiten Arbeitsmarkt in Sachsen keine Notwendigkeit. Offensichtlich ist im liberalen Weltbild des Ministers für solcherlei Anstrengungen kein Platz.
Meine Damen und Herren, Herr Minister, lassen Sie mich das Gesagte in einem abschließenden Satz so kurz wie möglich zusammenfassen:
Der wirtschaftliche Aufschwung kam ohne das Zutun der Staatsregierung, für die nächste Krise sind Sie mit Ihrer Politik des Unterlassens mit verantwortlich!