Michael Weichert: Wir wollen gesellschaftlich akzeptable Haltungsbedingungen für Nutztiere

Redebeitrag des Abgeordneten Michael Weichert zum Antrag der GRÜNEN-Fraktion "Gesundheitsschutz vor Profitinteresse – Immissionsschutz in Tierhaltungsanlagen verbessern" (Drs. 5/10943), 70. Sitzung des Sächsischen Landtages, 31. Januar 2013, TOP 8

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

der ländliche Raum ist durch die starke Zunahme von Vorhaben zur gewerblichen Tierhaltung im Außenbereich in seiner Entwicklung gefährdet. Der Außenbereich droht sich vom landwirtschaftlich genutzten Raum mit wichtigen Funktionen für Natur und Mensch, in einen Standort der Intensivtierhaltung zu verwandeln. Deren Missstände sind wiederum kein Zufall, sondern logische Folge der industriellen Landwirtschaft, die Tiere nicht als Lebewesen, sondern als Produktionsfaktor betrachtet.

Die Intensivtierhaltung hat zu Zuständen geführt, die das Ende des bisherigen Systems der Fleischerzeugung erforderlich machen. Was in unseren Ställen stattfindet, ist nicht länger verantwortbar. Massentierhaltung kommt uns als Gesellschaft teuer zu stehen, denn ihre ökologischen und sozialen Folgekosten werden nicht an der Ladentheke beglichen.

Den Menschen, die um industrielle Tierhaltungsanlagen herum leben müssen, stinkt es, zu Recht, gewaltig. Ammoniak und weitere geruchsintensive Stoffe führen in der Nachbarschaft großer Anlagen zu erheblichen Geruchsbelästigungen. Sie sind eine Ursache für den Wertverlust privater Immobilien. Ein massives Gülle- und Trockenkot-Überangebot sowie Risiken durch Bioaerosole und Feinstaub verschärfen das Problem. Ob in Zschepplin, Doberschwitz, Eibenstock oder Pristäblich – im Land regt sich der Widerstand gegen die Auswüchse der industrialisierten Landwirtschaft, die auf Tiere, Menschen, Boden, Wasser und Luft keine Rücksicht nimmt. Ich weiß wovon ich rede, ich habe mir alle Standorte angesehen.

Darunter leidet, zu Unrecht, wie ich finde, das Image der Landwirtschaft im Allgemeinen, sodass wir dringend handeln müssen. Die Ausrüstung der Tierhaltungsanlagen mit Abluftfiltern dient dazu, die allgemeine Belastung und die Belastung der Anwohnerinnen und Anwohner zu verringern. Dies hilft, Konflikte im ländlichen Raum zu lösen und das Vertrauen der Menschen vor Ort zurückzugewinnen. Nur so stellen wir Akzeptanz für die Produktion im ländlichen Raum sicher. Und das ist das Anliegen unseres Antrags.

Im Sinne einer Gleichbehandlung aller Tierhaltungsanlagen in Deutschland wäre es natürlich sinnvoll, wenn der Bundesumweltminister den aktuellen Stand der Technik bundesweit festlegen würde. Solange dies jedoch nicht erfolgt, werden wir uns dafür einsetzen, dass der aktuelle Stand der Technik in Sachsen umgesetzt wird.

Meine Damen und Herren, die geforderten Abluftreinigungsanlagen stellen den aktuellen Stand der Technik dar, der überall eingehalten werden muss. Bei den Abluftreinigungsanlagen hat es in den letzten Jahren eine erhebliche Weiterentwicklung, auch technischer Art gegeben, sodass man hier den Stand der Technik verlangen kann. Auf dem Markt stehen entsprechende geeignete Anlagen verschiedener Hersteller zur Verfügung. Der Betrieb mit Abluftreinigungsanlagen bei großen Schweinehaltungsanlagen ist auch unter wirtschaftlichen Aspekten verhältnismäßig. Hierfür spricht bspw. die Praxis in Niedersachsen. Dort werden in einzelnen Landkreisen bereits jetzt Abluftreinigungsanlagen im Genehmigungsverfahren bei großen Schweinehaltungsanlagen gefordert. Der Betrieb lässt sich dort weiterhin wirtschaftlich darstellen.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen: Die Fortentwicklung und Festschreibung eines neuen Stands der Technik ist im Immissionsschutzrecht üblich und stellt keine Besonderheit dar. Im Bereich des Immissionsrechts ist es deshalb Standard, den neuen Stand der Technik jeweils auch für bestehende Anlagen festzuschreiben. Deshalb sieht unser Antrag vor, dass die Nachrüstung bestehender großer Schweineställe zu erfolgen hat.

An dieser Stelle noch einige Bemerkungen zur Bioaerosole-Problematik: Bioaerosole sind luftgetragene Teilchen biologischer Herkunft wie etwa Pilze, Bakterien, Viren. "Gefürchtet" sind sie in der Umgebung größerer Ställe wegen ihrem Potenzial zur Infektion, Allergie oder Giftigkeit.

Der Schutz vor Bio-Aerosolen gehört bislang nicht zum Standard bei Genehmigungsverfahren, muss aber zum Schutz von Menschen und Tieren schnellstens eingeführt werden.

Aus der Stellungnahme der Staatsregierung geht hervor, dass sich Sachsen darüber Gedanken gemacht hat. Das ist gut, denn Sachsen gehört ja selten zu den Vorkämpfern in Sachen Umweltschutz. Solange sie jedoch keine Auswirkungen in der Praxis haben, nutzen die schlausten Gedanken nichts. Wie viel Prozent der großen Tierhaltungsanlagen in Sachsen verfügen denn über eine Filteranlage zur Abluftreinigung? In Niedersachsen ist es ziemlich genau ein Prozent.

Aus unserer Sicht bestehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass Bioaerosole aus Tierhaltungsanlagen zu schädlichen Umwelteinwirkungen führen können und daher im Rahmen der Vorsorge im Genehmigungsverfahren zu betrachten sind. Dies ist mittlerweile in der Rechtsprechung anerkannt. So hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens für Mastställe auf eine VDI-Richtlinie, und zwar VDI 4250, zurückgegriffen. Sie befasst sich mit der zusätzlichen Belastung der Luft durch Mikroorganismen, die aus Tierhaltungen hervorgehen können, und schlägt Mindestabstände zur nächsten Bebauung vor. Das Oberverwaltungsgericht hat ausgeführt, dass die Behörde gefordert sei, Vorsorge zu treffen. Bisher ist es jedoch so, dass keine Vorgaben für die Behörden bestehen, wie sie im Genehmigungsverfahren mit der Problematik umgehen sollen. Die Genehmigungsbehörden stehen damit angesichts der bestehenden Ängste und auch Befürchtungen oft in schwierigen Diskussionen mit der Nachbarschaft.

Ziel des Antrages ist es, den Genehmigungsbehörden Hilfestellung zu geben. Wenn die Staatsregierung die Kriterien gutheißt, frage ich mich, warum die Bewilligungsbehörden dies nicht zur Kenntnis nehmen. Da hilft wohl nur sanfter Druck…

Antibiotikaresistenzen sind gleich das nächste Problem der industriellen Tierhaltung. Der Zusammenhang der Antibiotikaresistenzen mit der Massentierhaltung wird immer deutlicher. 100 Prozent der Mastkälber, 90 Prozent der Hühner und 50 Prozent der Schweine erhalten regelmäßig Antibiotika, sonst würde das Vieh die tierquälerischen Haltungsbedingungen bis zur Schlachtung kaum durchhalten.

In der Tierhaltung werden in Deutschland pro Jahr rund 1.700 Tonnen Antibiotika eingesetzt. Damit sind wir europäischer Spitzenreiter. Das sind 700 Tonnen mehr als in Frankreich und rund 1.100 Tonnen mehr als in den Niederlanden verabreicht werden. Fleisch in Deutschland wird im Vergleich zu Nachbarländern mit dem höchsten Antibiotika-Einsatz pro Kilo in offensichtlich besonders krankmachenden Ställen erzeugt. Das System Massentierhaltung funktioniert nur noch mit diesem Treibstoff. Der Missbrauch von Arzneimitteln in der Tiermast hat dazu geführt, dass Bakterienstämme bereits Resistenzen gegen die eingesetzten Antibiotika entwickelt haben, die dadurch unwirksam geworden sind. Geraten solche Bakterien als Bioaerosole in die Luft, befallen den Menschen und erzeugen bei ihm eine Krankheit, dann kann diese kaum noch wirksam mit Antibiotika behandelt werden.

Bedenkt man dann noch, dass diese Ställe oft in weniger als einem Kilometer Entfernung zu menschlichen Ansiedlungen, Krankenhäusern, Altenheimen, Schulen oder Kindergärten errichtet werden, dann kann einem Angst und Bange werden.

Antibiotikaresistente Keime könnten unsere Medizin zurück ins Mittelalter befördern – denn wenn die Bakterien-Killer wirkungslos werden, könnten heute harmlose Krankheiten, Operationen und Geburten wieder tödlich verlaufen. Gegenwärtig fordert die Ausbreitung der Antibiotikaresistenzen beim Menschen in Deutschland jährlich bereits 40.000 Todesopfer, Tendenz steigend.

Meine Damen und Herren, wir wollen gesellschaftlich akzeptierte Haltungsbedingungen für Nutztiere. Wir wollen das Tierwohl belegbar gewährleisten. Und – das ist Gegenstand dieses Antrages – wir wollen die im Umfeld der Anlagen lebenden Menschen ebenso schützen wie die Umwelt. Machen Sie mit, denn gemeinsam erreichen wir das Ziel schneller.

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