Michael Weichert zur Fachregierungserklärung „Verbraucher kennen – Verbraucher fragen – Verbraucher schützen“
Höchste Zeit für die Staatsregierung konkrete Maßnahmen zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Freistaat zu ergreifen
Redebeitrag des Abgeordneten Michael Weichert zur Fachregierungserklärung „Verbraucher kennen – Verbraucher fragen – Verbraucher schützen“ in der 17. Sitzung des Sächsischen Landtages, 16. Juni, TOP 5
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Symbolpolitik besteht laut Definition aus (ich zitiere) «sinnfreien Gesten von regierenden Parteien und Ministern». Die heutige Regierungserklärung ist zu allererst der Versuch der Koalition davon abzulenken, dass sie in ihrer bisherigen Amtszeit so rein gar nichts hinbekommen hat. Ich bin schon gespannt, welcher Minister nach der Sommerpause als nächstes ans Rednerpult darf.
Sehr geehrte Frau Ministerin Clauß, sie hatten in den vergangenen Monaten nichts anderes vor, als an den Säulen des Verbraucherschutzes in Sachsen zu sägen. Wie konnten Sie auf die Idee kommen, das Budget der Verbraucherzentrale Sachsen für 2010 um eine halbe Millionen Euro zu kürzen?
Im gleichen Zeitraum sorgte die Finanz- und Wirtschaftskrise für steigende Nachfrage nach Beratung durch unabhängige Verbraucherzentralen. Wenn Sie sich jetzt hinstellen und sich feiern, dass Sie die drohende Insolvenz der Verbaucherzentrale abgewendet haben und der Unabhängigkeit erhalten, dann finde ich das etwas dreist. Denn das ist kein Verdienst, sondern eine Selbstverständlichkeit.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch! Ich kann mir sogar vorstellen, dass Sie den Kürzungsunsinn selbst gern abgebogen hätten. Doch leider haben Sie beim Thema Finanzen nicht viel zu vermelden. Generell ist der Verbraucherschutz noch nicht komplett bei Ihnen angekommen. Das zeigt sich zum einen darin, dass in Ihrem Haus kein eigenes Referat für das Thema gibt, zum anderen liegt bspw. der technische Verbraucherschutz beim Wirtschaftsminister und entzieht sich damit Ihrem Einfluss. Für Sie bleibt oft nur eingangs erwähnte Symbolpolitik übrig. Die macht Verbraucherinnen und Verbraucher zu Randfiguren des Regierungshandelns und sorgt für Frust und Politikverdrossenheit.
Werte Kolleginnen und Kollegen der Koalition! Nur 14 Prozent sehen die CDU/CSU und nur 4 Prozent die FDP als verbraucherpolitisch kompetent. Die höchste Kompetenz wurde in der Umfrage mit 28 Prozent übrigens den GRÜNEN zugeschrieben.
Hier wurde offensichtlich belohnt, dass sich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN seit jeher für die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher stark machen. Statt Kürzungen das Wort zu reden, hat die GRÜNE-Fraktion bereits für den Doppelhaushalt 2009/2010 vorgeschlagen, die Mittel für den wirtschaftlichen Verbraucherschutz um 150.000 Euro pro Jahr zu erhöhen. Diese Summe ist ein Klacks im Vergleich zu dem 470 Milliarden Euro Rettungsschirm, den die Bundesregierung über den Banken aufgespannt hat.
Vom Bund zurück nach Sachsen: Sächsische Verbraucherinnen und Verbraucher sind mit ihrer Situation noch unzufriedener als der Bundesdurchschnitt. Darum wird es höchste Zeit, dass die Staatsregierung nun endlich konkrete Maßnahmen zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Freistaat ergreift.
Sehr geehrte Frau Staatsministerin Clauß, ihren Vorstoß begrüße ich außerordentlich. In Ihrer Rede verdient Lob, ganz ohne Frage. In etlichen Punkten, wie z.B. bei der Einschätzung des Verbraucherinformationsgesetzes (VIG), bei Ihrer Forderung nach einer Ampelkennzeichnung für Lebensmittel oder bei der Einführung der sogenannten Smileys für besonders hygienisch arbeitende Betriebe stehen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN auf der selben Seite wie Sie.
Es ist die Seite der Fortschrittlichen, derjenigen, die verstanden haben, dass es der Wirtschaft nur gut geht, wenn es auch dem Verbraucher gut geht. Wenn ich mich so umsehe befürchte ich allerdings, dass Sie in Ihrer Koalition da noch ziemlich allein dastehen.
Inwiefern die vereinbarten Neuerungen mehr werden als reine Symbolpolitik, bleibt abzuwarten und hängt ganz entscheidend von Ihrer Durchsetzungskraft ab, sehr geehrte Frau Clauß. Ich wünsche Ihnen diese Kraft, schon im Interesse der Bürgerinnen und Bürger!
Deren Situation als Verbraucher hat sich in den zurückliegenden Jahren deutlich verschlechtert, denn unser Alltag ist komplexer und unübersichtlicher geworden. Wir können rund um die Uhr tausende Produkte kaufen und müssen zwischen 750 Telefontarifen oder 530 verschiedenen privaten Haftpflichtversicherungen auswählen. Trotz des Oligopols von vier primären Energieanbietern bestehen insgesamt ca. 15.000 Tarife. Im Internet werden personenbezogene Daten erfasst, verarbeitet und an Dritte weiter verkauft. Die Details entziehen sich meist unserer Kenntnis und sind für Laien kaum noch nachvollziehbar. Sonderregelungen im Kleingedruckten von Verträgen können zur bösen Überraschung werden. Täuschungen der Verbraucherinnen und Verbraucher mit Analogkäse, ESL-Milch oder Klebeschinken kommen noch hinzu.
Ohne Beratung drohen Fehlentscheidungen mit schwerwiegenden Folgen. Laut dem Creditreform Schuldneratlas sind mehr als 10 Prozent aller Haushalte in Deutschland bereits heute überschuldet. Privatinsolvenzen erhöhen durch die Mehrbelastung der Sozialkassen den Druck auf den Staat und bremsen die Binnennachfrage und damit unsere Wirtschaft aus.
Ungesunde Lebensmittel gefährden die Gesundheit und sorgen für den Vormarsch ernährungsbedingter Krankheiten wie Fettleibigkeit und Diabetes. Laut dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte sind in Deutschland knapp zwei Millionen Kinder und Jugendliche zu dick. 70 Milliarden Euro pro Jahr fallen als Folgekosten ernährungsbedingter Krankheiten an.
Meine Damen und Herren, um in punkto gesunde Ernährung etwas zu tun, sollten sächsische Schüler am europäischen Schulobstprogramm teilnehmen. Die Staatsregierung hatte vor den Wahlen diesem Programm im Bundesrat bereits zugestimmt.
Doch gemeinsam mit der FDP machte Umweltminister Kupfer kurz darauf eine Rolle rückwärts und bescherte uns die „schwarz-gelbe Vitaminblockade“. Um die Eigenmittel des Landes in Höhe von 300.000 Euro nicht aufbringen zu müssen, redete er sich mit hohem bürokratischem Aufwand heraus und vollführte tollkühne Rechenexempel, die vorne und hinten nicht stimmten. Schließlich ließ der Freistaat lieber 900.000 Euro verfallen, als die Gesundheit sächsischer Kinder zu fördern.
Ein weiteres Armutszeugnis ist die Umsetzung der Verbraucherinformationsgesetzes (VIG). Mit ihm sollte jeder Bürger das Recht bekommen, bei den Behörden Informationen zu Lebensmitteln, Futtermitteln sowie Gegenständen des täglichen Bedarfs abzufragen. Doch statt auf Verbraucher-Informationen stoßen interessierte Bürgerinnen und Bürger auf verschlossene Akten.
Zwar wird von den Behörden vor groben Verstößen gegen die Lebensmittelsicherheit gewarnt. Wer aber konkret die Namen der Lieferanten beziehungsweise der Hersteller wissen möchte, um im Supermarkt darauf zu achten, tappt weiter im Dunkeln.
Zu diesem Schluss kam die Verbraucherzentrale Sachsen nach einer Anfrage bei der Landesuntersuchungsanstalt zu irreführend gekennzeichneten Schinkenimitaten. Deren Antwort kam knapp 6 Monate später und enthielt eine allgemeine Übersicht von sehr geringem Nutzen. Aus dem Informationsrecht wird so ein Pseudorecht. Wer Transparenz erwartet: Fehlanzeige! Das dicke Ende kam dann in Form einer Kostennote in Höhe von knapp 1000 Euro.
Sehr geehrte Frau Clauß, auf der Webseite Ihres Ministeriums heißt es zu den Kosten der Verbraucherinformation (ich zitiere):
«Das VIG sieht vor, dass für Amtshandlungen der Behörden grundsätzlich kostendeckende Gebühren (zwischen 5 Euro und 250 Euro) und Auslagen zu erheben sind. Die Höhe der Gebühr richtet sich dabei nach dem Aufwand, den die jeweilige Anfrage auslöst. In der Regel wird zur Deckung des tatsächlich entstehenden Verwaltungsaufwandes eine Gebühr im unteren Bereich des Gebührenrahmens ausreichend sein.» (Zitat Ende)
Als wäre die schwammige und intransparente Formulierung nicht schon ärgerlich genug, scheint man sich bei Ihnen noch nicht einmal daran zu halten. Eintausend Euro sind bei mir keine «Gebühr im unteren Bereich des Gebührenrahmens». Sie wissen ganz genau, dass sich so etwas herumspricht und die Verbraucherinnen und Verbraucher von weiteren Anfragen abhält. So kann man ein ganzes Gesetz ad absurdum führen und sich lästige Arbeit vom Leib halten.
Ich stimme mit der Forderung der Verbraucherzentrale überein, die den kostenfreien Zugang zu solchen Informationen fordert. Wer Lebensmittel irreführend kennzeichnet, verstößt gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften.
Das VIG sieht vor, dass Auskünfte über Verstöße gebührenfrei zu erteilen sind. Deutschlandweit ergaben Kontrollen bei fast jedem vierten Betrieb Mängel, von Missständen bei der Hygiene bis hin zu bewussten Irreführung bei der Kennzeichnung.
So war jede fünfte Fleischprobe nicht einwandfrei. Wir brauchen ein System, bei dem es sich für Betriebe nicht lohnt, Verbraucher zu täuschen. Solange keine Namen genannt werden und Betriebe Informationen über Beanstandungen als Betriebsgeheimnisse einstufen, die nicht an die Öffentlichkeit gegeben werden, kommen wir nicht voran.
Die Ergebnisse der Überprüfungen müssen öffentlich gemacht werden. Das von Ihnen angesprochene „Smiley Projekt“ im Berliner Bezirk Pankow ist ein gutes Beispiel. Doch nicht nur die guten Betriebe werden öffentlich gemacht, auch die „Schmuddelkinde“ kommen mit Name und Adresse auf eine Internetseite. Das haben Sie vorhin nicht gesagt!
Wir GRÜNEN fordern diese Transparenz ein, weil wir gut informierte und selbstbestimmte Verbraucherinnen und Verbraucher wollen.
- Sie haben es in der Hand, die Welt mit ihrem Einkaufskorb ein Stück zu verändern.
- Sie haben es in der Hand, unsere Lebensgrundlagen zu schützen und die eigene Lebensqualität zu sichern.
- Sie haben es in der Hand, die Ausbeutung von Arbeitern in den Entwicklungsländern, Kinderarbeit, Tierquälerei, Agro-Gentechnik und Umweltzerstörung zu ächten.
Gut informierte Verbraucherinnen und Verbraucher haben Macht und Einfluss – so viel, dass mancher Politiker und die schwarzen Schafe unter den Unternehmern spürbar Angst haben.
Diese Angst führt dazu, dass sie alles versuchen, um die Verbraucher im Unklaren zu belassen. Aktuelles Beispiel ist die Ampelkennzeichnung bei Lebensmitteln, gegen die sich die Industrie mit Händen und Füßen wehrt.
Während sich Nestlé & Co nicht gern in die Karten sehen lassen, sammeln sie fleißig sämtliche Informationen über das Konsumverhalten der Verbraucher. Da werden Profile angelegt, Datensätze miteinander verknüpft und personenbezogene Daten gehandelt – alles hinter dem Rücken der Verbraucherinnen und Verbraucher. Oft ist nicht ersichtlich, welche Daten erhoben werden, was mit ihnen geschieht und an wen sie weitergegeben werden. Das aktuelle Beispiel Google Street View zeigt, wie lax Datenschutzstandards gehandhabt werden.
Auch der Staat will an den Daten der Bürgerinnen und Bürger verdienen. Kommunen verhökern Informationen aus dem Melderegister für schmales Geld an fast jeden der fragt und zahlt. Der Staat als Datendealer: Wir GRÜNEN finden das skandalös und fordern, das Sächsische Meldegesetz zu ändern. Daten sollen nur dann weitergegeben werden, wenn der Betroffene vorher ausdrücklich zustimmt. Der Schutz der Persönlichkeitsrechte hat für uns Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen.
Meine Damen und Herren, Verbraucherschutz ist eine wesentliche Form staatlicher Daseinsfürsorge, die alle Lebensbereiche durchdringt. Was die Staatsregierung in diesem Bereich heute einspart, zahlen wir in Zukunft doppelt und dreifach drauf.
Die intensivere Zusammenarbeit von Staatsregierung und Verbraucherzentrale ist ein erster Schritt, den wir begrüßen. Die Schrittweite ist allerdings davon abhängig, wie die finanzielle Ausgestaltung ausfällt. Wir sind eben keine Kängurus, die auch mit leerem Beutel große Sprünge machen. Vielen Dank!