Miro Jennerjahn: Beim Gesinnungs-TÜV geht es nicht um den Schutz der Demokratie – die Staatsregierung will keine selbstbewusste und kritische Zivilgesellschaft

Redeauszüge des Abgeordneten Miro Jennerjahn zum Antrag der Fraktionen GRÜNE, Linke, SPD "Demokratie braucht Vertrauen – Gegen eine Kultur der Verdächtigung und des Bekenntniszwangs" (Drs. 5/5482), in der 35. Sitzung des Sächsischen Landtages, 20.04., TOP 8
Jennerjahn: Beim Gesinnungs-TÜV geht es nicht um den Schutz der Demokratie – die Staatsregierung will keine selbstbewusste und kritische Zivilgesellschaft
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
seit Monaten diskutieren wir in Sachsen über den staatlich verordneten Gesinnungs-TÜV für Vereine, die sich für Demokratie und gegen Rechtsextremismus engagieren. Nach der emotionalen Debatte im Dezemberplenum ist es an der Zeit, dass der Landtag dem undemokratischen Treiben der Staatsregierung Einhalt gebietet.
Um nicht mehr oder weniger geht es an dieser Stelle. Es geht um die Frage, ob die Legislative die Kraft hat, ihrer Kontrollfunktion gerecht zu werden und elementare Standards einer freiheitlich verfassten Demokratie gegen das Handeln der Exekutive zu verteidigen.
Mit ihrer Ankündigung im November 2010 künftig im Rahmen der Demokratieförderung von den Fördermittelempfängern ein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung zu erzwingen, hat die Staatsregierung eine rote Linie überschritten. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Eine freiheitlich verfasste Demokratie erzwingt keine Bekenntnisse von ihren Bürgerinnen und Bürgern. Üblicherweise ist ein solcher Bekenntniszwang Kennzeichen autoritärer Regime.
Ich habe in den letzten Wochen viele Gespräche mit Vertretern von Vereinen und Projekten aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen über den Gesinnungs-TÜV geführt. Insbesondere Menschen aus dem Umfeld der Kirchen, die zu DDR-Zeiten massiv zu leiden hatten, haben mir immer wieder gesagt: Das Handeln der Staatsregierung erinnert an die hohlen, sinnentleerten Bekenntnisrituale von SED und FDJ.
Das ist der "Erfolg", den Sie erreicht haben, meine Damen und Herren der Staatsregierung. Sie wollten die Loyalität der Bürgerinnen und Bürger nicht mit Argumenten gewinnen, Sie wollten sie erzwingen, mit der Konsequenz, dass Sie Ihre eigene Legitimität untergraben haben.
Es ist nicht umsonst so, dass die Bundesrepublik Deutschland nur in sehr eng begrenzten Fällen ein Bekenntnis von Bürgerinnen und Bürgern erzwingt. Dies ist sehr gut in dem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages vom 13. Januar 2011 herausgearbeitet. Der eine Fall ist das Beamtenrecht, da aus dem Beamtenstatus eine besondere Loyalitätspflicht gegenüber dem Staat resultiert. Der zweite Fall ist das Einbürgerungsrecht. Hier ist das Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung der symbolische Akt, der zum Eintritt in das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland führt und mit der Verleihung weitreichender politischer Rechte verbunden ist. In beiden Situationen gibt es allgemeine Gesetze, die diesen tiefen Eingriff in die Meinungsfreiheit legitimieren.
Diese engen Grenzen, innerhalb derer ein Bekenntniszwang legitim ist, sind eine Errungenschaft der Demokratie. Und zu diesen engen Grenzen sollten wir zurückkehren, meine Damen und Herren.
Aber kommen wir zu den inhaltlichen Ungereimtheiten. Innenminister Markus Ulbig begründete im November letzten Jahres, die Einführung des Gesinnungs-TÜVs damit, dass man verhindern wolle, dass Extremisten Fördermittel erhalten.
Auf meine Nachfrage im Januarplenum hin, musste der Innenminister kleinlaut zugeben, dass es in all den Jahren der Förderung im Rahmen des Landesprogramms ‚Weltoffenes Sachsen‘ keinen einzigen Fall gegeben hat, in dem ein von der Staatsregierung als ‚extremistisch‘ verdächtigter Verein Fördermittel erhalten hat. Im gleichen Atemzug änderte sich dann auch die Begründung des Innenministers für den Gesinnungs-TÜV. Nun hieß es, diese Erklärung solle vor allem der Sensibilisierung der geförderten Projekte dienen. Kurz danach kehrte der Innenminister wieder zur ursprünglichen Begründung zurück.
Nächstes Beispiel: Der wertgeschätzte Kollege Bandmann aus der CDU wurde in der Debatte in den letzten Monaten nicht müde, immer wieder den gleichen Satz zu wiederholen. Am 6. Dezember 2010 lautete beispielsweise eine Pressemitteilung: "Wer öffentliche Steuergelder bekommt, muss auf dem Boden der Verfassung stehen. Die finanzielle Unterstützung durch die öffentliche Hand von einer Erklärung der Verfassungstreue abhängig zu machen, ist daher nicht nur legitim, sondern auch geboten."
Und auch hier dokumentiert sich doch wieder allzu deutlich die Scheinheiligkeit, die hinter dem Gesinnungs-TÜV steht. Herr Bandmann hat eine generelle Aussage getätigt. Wer öffentliche Steuergelder erhält, soll vorher eine Erklärung über seine Verfassungstreue abgeben. Warum gilt dann diese Forderung nicht quer durch alle Ministerien und alle Förderbereiche? Warum wird bei der Wirtschaftsförderung oder der Sportförderung auf den Einsatz einer solchen Erklärung verzichtet?
Warum habe ich von der Staatsregierung und der CDU nichts gehört, als kürzlich bekannt wurde, dass die Vertriebenenorganisation Schlesische Jugend, die organisatorischer Bestandteil des Bundes der Vertriebenen ist, zielgerichtet von Rechtsextremisten unterwandert wurde? In den Jahren 2011 und 2012 sind jeweils 240.000 Euro als Zuwendungen zur Kulturarbeit der Vertriebenen und Spätaussiedler in den Haushalt eingestellt, u.a. zur Projektförderung der hiesigen Gliederung Bundes der Vertriebenen. Es ist doch schon erstaunlich, dass im Rahmen des Landesprogramms ‚Weltoffenes Sachsen‘, in dem laut Innenminister noch nie eine extremistische Organisation gefördert wurde, auf den Gesinnungs-TÜV bestanden wird, und im Falle des BdV, in dem es tatsächlich Bestrebungen von Rechtsextremisten gab, Einfluss zu gewinnen, darauf verzichtet wird.
Meine Damen und Herren, diese Beispiele zeigen doch ganz eindeutig, dass es beim Gesinnungs-TÜV nicht um den Schutz der Demokratie geht. Hintergrund ist das tiefe Misstrauen das die Staatsregierung gegenüber mündigen Bürgerinnen und Bürgern hegt.
Sie wollen keine selbstbewusste und kritische Zivilgesellschaft, wie Sie sie im Bereich der Demokratieförderung vorfinden. Ihr Ziel ist es, mit dem Gesinnungs-TÜV diese selbstbewusste Zivilgesellschaft zu gängeln und an der kurzen Leine zu halten, koste es was es wolle.
Demokratie lebt von mündigen Bürgerinnen und Bürgern. Demokratie lebt von Vertrauen. Dieses Vertrauen gegenüber der Zivilgesellschaft hat die Staatsregierung in den letzten Monaten massiv beschädigt. Unser Antrag trägt dazu bei, den von der Staatsregierung angerichteten Schaden zu heilen. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.
Herzlichen Dank.