Miro Jennerjahn: Debatte zum Jugendmedienschutz-Staatsvertrag

Es muss evaluiert werden, welche Auswirkungen die Regelungen auf die Informations- und Kommunikationsfreiheit im Netz haben
Redebeitrag des Abgeordneten Miro Jennerjahn zum GRÜNEN-Antrag „Jugendmedienschutz-Staatsvertrag“ (Drs. 5/2327), 15. Sitzung des Sächs. Landtages, 19. Mai, TOP 11
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,
als Zweck des geltenden Jugendmedienschutz-Staatsvertrages wird der einheitliche Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Angeboten in elektronischen Informations- und Kommunikationsmedien, die deren Entwicklung oder Erziehung beeinträchtigen oder gefährden können, benannt. Dieser Zweck ist unstrittig.
Die große Frage, vor der wir stehen, ist aber die, wie ein wirksamer Jugendmedienschutz nicht nur in Funk und Fernsehen, sondern auch im Internet gewährleistet werden kann. Und daran schließt sich die Frage an, ob Regelungen, die für Funk und Fernsehen gelten, auch ohne weiteres auf das Internet übertragen werden können. Die aktuelle Diskussion über die geplante Neufassung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages macht deutlich, dass dies eben nicht möglich ist.
Viele waren im vergangenen Jahr überrascht, welch hohe Wellen das Vorhaben von Internetsperren gegen Kinderpornografie geschlagen hat. Heute geht es um ein Vorhaben, das vielleicht weniger schwerwiegend ist, aber trotzdem Bedenken bei denen auslöst, die das Internet als ein Medium der Kommunikations- und Informationsfreiheit bewahren wollen.
Es ist vielleicht im Sinne der Sachlichkeit notwendig, zu verdeutlichen, dass die Problematik diesmal etwas anders gelagert ist. Es geht nicht ausschließlich um das Problem krimineller Inhalte, sondern vor allem um etwas viel Banaleres: Im Fernsehen laufen Sendungen, die für Kinder nicht geeignet sind, nicht am Morgen oder Nachmittag.
Die meisten Menschen werden den „Tatort“ nicht als etwas besonders Perverses oder überaus Brutales wahrnehmen, aber sie werden auch der Ansicht sein, dass diese Sendung nicht gerade im Kinderprogramm laufen sollte. Also ist geregelt, dass Sendungen dieser Art nach 20 Uhr ausgestrahlt werden, und die Fernsehanstalten regeln auch entsprechend ihr Internetangebot: Den Tatort wird man in der ARD-Mediathek nicht vor 20 Uhr zu sehen bekommen. So weit, so gut.
Problematisch wird es aber, wenn eine solche Regelung pauschal auf das Internet übertragen wird. Nicht jeder Anbieter im Internet kann gewährleisten, dass beispielsweise die Inhalte seiner Homepage im Laufe des Tages so wechseln, dass sie immer jeweils altersgerecht für die Altergruppe ist, die theoretisch zu einer bestimmten Tageszeit ins Netz gehen könnte.
Zur Verdeutlichung: Die meisten Mitglieder dieses Hohen Hauses betreiben eigene Webpräsenzen. Würden Sie es sich auch alle zutrauen, ihre Inhalte laufend so zu präsentieren, dass sie mal für 0-6-Jährige, dann für 6-12-Jährige, dann für 12-16-Jährige und dann für 16-18-Jährige geeignet sind, bis sie schließlich den Inhalt „ab 18“ freigeben?
Genau das ist aber das, was der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag in der Entwurfsfassung, die am 25. März von der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen worden ist, fordert. Und da liegt das Problem!
Im Internet gibt es keine Zeitzonen, und deshalb funktionieren Sendezeiten dort nicht. Es muss grundsätzlich bezweifelt werden, dass eine nationale Insellösung auf ein globales Medium angewandt werden kann. Die Frage ist also, ob wir es hier nicht mit einer Scheinlösung zu tun haben, die im Wesentlichen den Effekt haben wird, Nutzerinnen und Nutzer des Internet zu verunsichern.
Meine Damen und Herren, die Politik in Deutschland bemüht sich ja in letzter Zeit etwas intensiver, das Netz zu verstehen. Im Bundestag ist zu diesem Zweck gerade eine Enquete-Kommission eingerichtet worden. Aber was den meisten schon bekannt sein dürfte, ist die Tatsache, dass Inhalte im Internet nicht nur von großen Institutionen oder Unternehmen publiziert werden, sondern immer mehr von den Nutzerinnen und Nutzern „wie Du und ich“. Man nennt dies den User-Generated-Content, und dies ist ein wesentliches Merkmal dessen, was als Web 2.0 bekannt ist.
Das macht das Internet schwerer fassbar als die klassischen elektronischen Medien. Es ist aber auch die große Stärke dieses Mediums, dass es schwerer staatlich kontrollierbarer ist. Das Internet ermöglicht mehr Freiheit der Meinungsäußerung, der Information und der Kommunikation. Es entspricht der Logik des Grundgesetzes und der Sächsischen Verfassung, dass dieser Raum der Freiheit unbedingt bewahrt werden muss. Das kann man auch noch einmal betonen, nachdem im letzten Jahr an die 20 Jahre zuvor erkämpfte Friedliche Revolution in der DDR erinnert wurde.
Jetzt stellt sich die Frage, ob durch den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag eine nicht zu vertretende Einschränkung der Freiheit der Meinungsäußerung, der Information und der Kommunikation droht oder nicht. Die Befürworter weisen diese Möglichkeit weit von sich, aber die Zweifel werden nicht wirklich beseitigt.
Lässt man sich nämlich darauf ein, dass eine Verpflichtung zur Alterkennzeichnung für Internet-Inhalte eingeführt wird, so wird ein Mechanismus zur Filterung geschaffen. Das bedeutet: Wenn mein, an sich harmloser Inhalt sich nicht durch ein Alterverifikationssystem als jugendfrei identifizieren kann, wird er an Rechnern, die diese Verifikation verlangen, automatisch aussortiert.
Das mag bei einem Rechner, der ausschließlich im Kinderzimmer steht, ja vielleicht gerade noch so angehen. Wie sieht es aber bei Heimarbeitsplätzen, Rechnern in öffentlich zugänglichen Rechenzentren oder Bibliotheken aus?
Nochmal: Das nun vorgeschlagene Labeln nach Altersstufen können sich nur große Anbieter leisten. Für all die anderen kleinen Angebote, von denen das Netz lebt, kann und darf Alterskennzeichnung nicht erwartet werden. Das Kennzeichnen von User-Generated-Content ist häufig nicht leistbar und steht den bisherigen Haftungsregelungen diametral entgegen.
Wenn jetzt alle Angebote ohne Altersangabe oder Sendezeitbegrenzung in Verdacht geraten, Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung zu beeinträchtigen und deshalb ausgefiltert werden, dann sind die Freiheit des Internets und seine Entwicklung in Gefahr.
De facto wird so eine Infrastruktur geschaffen, die im Prinzip für Zensurzwecke geeignet ist. Ich bin weit davon entfernt, den Befürwortern des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages Zensurabsichten zu unterstellen. Nur müssen wir aufpassen, dass die Entstehung einer faktischen Zensur-Infrastruktur nicht als Kollateralschaden eines ernst gemeinten Jugendschutzes droht, und zwar nicht wegen böser Absicht, sondern weil die Realität des Internets nicht genügend bedacht wurde.
Wir sehen erheblichen Klärungsbedarf. Wie sieht es mit privaten Homepages aus, wie mit Blogs? Gelten die Regelungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages künftig auch für Einträge in sozialen Netzwerken wie z. B. Facebook oder in Internet-Foren? Was bedeuten die Änderungen für Microblogging-Dienste wie Twitter und andere Web-2.0-Plattformen? Welche Verantwortung trägt z.B. jemand, der in einem Forum einen Inhalt rezensiert, der nicht für alle Altersstufen geeignet ist?
Das Problem ist doch, dass die Verknüpfung das Wesen des Netzes ausmacht! Das heißt: Inhalte sind durch Links über mehrere Stationen mindestens indirekt verbunden. Als einzelner Content-Anbieter kann ich dieses dezentrale Konstrukt namens Internet gar nicht überschauen oder gar kontrollieren und dementsprechend auch nicht ausschließen, dass man von meiner Seite, meinem Blog- oder Foren-Eintrag oder meinen Twitter-Tweet aus über mehrere Stationen irgendwann zu bestimmten Inhalten gelangen könnte.
Nun wird teilweise versucht, Entwarnung zu geben. Aber ich kann nicht so recht daran glauben, wenn heftige Kritik von allen demokratischen Parteien kommt. So z.B. bei der Anhörung im Berliner Abgeordnetenhaus zum Jugendmedienschutz-Staatsvertrag. Oder seitens des medienpolitischen Sprechers der CDU-Fraktion in Mecklenburg-Vorpommern, Dr. Armin Jäger, und seines Kollegen in der CDU-Bundestagsfraktion, Thomas Jarzombek. Auch die FDP hat sich nicht nur in den Ländern skeptisch geäußert, sondern auf ihrem Bundesparteitag kategorisch beschlossen, dass der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag in der Form, wie er damals bekannt war, abzulehnen.
Wir schlagen Ihnen vor, heute zu beschließen, dass der Entwurf des Ju-gendmedienschutz-Staatsvertrages auf seine Auswirkungen für die Internetnutzer von heute hin zu untersuchen und die Zustimmung zu einem neuen Staatsvertrag davon abhängig zu machen, dass keine de-facto-Zensurwirkung von ihm ausgeht. Außerdem soll die Rechtssicherheit der Internetnutzer erhöht werden, indem sich auch Sachsen den Protokollnotizen anschließt, die bereits durch die Hansestädte Bremen und Hamburg, sowie die Bundesländer Saarland, Schleswig-Holstein und Hessen bestätigt wurden.
Egal aber, was schließlich im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag festgelegt wird: Es muss evaluiert werden, welche Auswirkungen die Regelungen auf die Informations- und Kommunikationsfreiheit im Netz haben, um etwaige Fehlentwicklungen zu korrigieren.