Miro Jennerjahn: Es reicht nicht, in schönen Sonntagsreden die Wichtigkeit des Ehrenamts zu betonen. Sie müssen auch in der Realität so handeln

Redeauszüge des Abgeordneten Miro Jennerjahn zur Aktuellen Debatte „Bürgerschaftliches Engagement – wertschätzen, fördern und tatsächlich sichern“ in der 23. Sitzung des Sächsischen Landtages, 03.11., TOP 3
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
bereits Ende März haben wir über die Konsequenzen der Kürzungsorgien der Staatsregierung für das bürgerschaftliche Engagement diskutiert – und täglich grüßt das Murmeltier.
Nun sind wir wieder ein Stück weiter, selbstverständlich nicht inhaltlich, aber immerhin haben wir uns zeitlich 7 Monate vorwärts bewegt – wenigstens etwas Bewegung in diesem Freistaat. Nur: die Situation für das Ehrenamt hat sich nicht verbessert – im Gegenteil.
Gefördert wird das bürgerschaftliche Engagement in Sachsen – bleibt es bei der Haushaltsplanung 2011/2012 – deutlich weniger als in den vergangenen Jahren.
Ganz offensichtlich ist dies bei „Wir für Sachsen“, das ja für die CDU und die Staatsregierung immer als Feigenblatt herhalten muss, wenn kritische Fragen gestellt werden, wie es um das Ehrenamt in Sachsen bestellt ist. 700.000 Euro weniger erhält diese Maßnahme ab dem kommenden Jahr.
Der Haushaltsansatz zur Förderung von Selbsthilfegruppen wird von 200.000 € auf 0 gesetzt, die Förderung von Betreuungsvereinen wird um 250.000 € gekürzt. Viele andere Beispiele könnte ich nennen.
Damit ist auch klar, dass es für viele Menschen und Institutionen im Freistaat auf eine unsichere Perspektive in Sachen Ehrenamt zugeht.
Aber wie steht es mit dem Thema wertschätzen? Frau Staatsministerin Clauß wird vermutlich wieder, wie schon bei der Debatte im März, auf die Auszeichnungsveranstaltungen verweisen, die es in Sachsen gibt: die AIDS-Medaille, die Annenmedaille, die gerade erst wieder vergeben wurde, oder auch den Generationenpreis.
Alles wichtige Veranstaltungen zur Würdigung von Ehrenamt – keine Frage. Wertschätzen meint aber mehr, als ein paar öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen durchzuführen.
Frau Staatsministerin, im März haben Sie bürgerschaftliches Engagement als «die demokratische gesellschaftliche Selbstorganisation unabhängig vom Staat» bezeichnet, um anschließend zu behaupten, ein Staat könne solches Engagement überhaupt nicht verhindern.
Unmittelbar anschließend haben Sie uns dann von einer Judo-Trainerin erzählt, von Eltern, die Wochenende für Wochenende Fußball-Trikots waschen und von Menschen, die Frösche zählen. Damit haben Sie grandios am Thema vorbei geredet, weil Sie eben nicht verstanden haben, welche Bedeutung das Thema bürgerschaftliches Engagement für ein demokratisch verfasstes Gemeinwesen hat.
Mit einem haben Sie recht: Bürgerschaftliches Engagement werden selbst Sie nicht ganz verhindern können, aber massiv beschädigen. Zum Beispiel, indem Bürgerinnen und Bürger oder auch Institutionen nicht ernst genommen und als Gleiche, sondern als Untertanen behandelt werden. Gerade in ihrem Haus lässt sich ein solch herablassendes Verhalten im Umgang mit Partnern beobachten.
Seien es die völlig überraschenden Kürzungen der Jugendpauschale im März, obwohl finanziell nicht nötig. Oder sei es das plötzliche Aus des Förderprogramms Tauris zum Ende des Jahres. Auch hier wurden Projektpartner vor vollendete Tatsachen gestellt, wurde nicht der Dialog gesucht.
Und damit sind wir beim entscheidenden Thema angelangt. Es reicht nicht, in schönen Sonntagsreden und auf Festveranstaltungen die Wichtigkeit des Ehrenamts zu betonen. Sie müssen auch in der Realität so handeln. Das tun sie nicht.
All das ist nicht geeignet, Vertrauen in Politik zu stärken. Das ist fatal. Ein Blick auf die aktuelle Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung „Die Mitte in der Krise“ zeigt den dramatischen Vertrauensverlust in Politik, insbesondere in Ostdeutschland. 93% der Ostdeutschen stimmen der Aussage zu „Ich halte es für sinnlos, mich politisch zu engagieren“, lediglich bei 32% trifft die Demokratie, wie sie in der Bundesrepublik funktioniert auf Zustimmung. Das sind katastrophale Werte. Die Situation wird man nur ändern können, wenn man Menschen tatsächlich ernst nimmt, sie wertschätzt.
Leider hat die Staatsregierung die Empfehlungen der Enquete-Kommission zur „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ aus dem Jahr 2001 bislang ignoriert Konkret wurde Sachsen empfohlen, vor allem in Engagement fördernde Infrastruktur zu investieren: Selbsthilfekontaktstellen, Seniorenbüros und Freiwilligenagenturen.
Offensichtlich spielt das auch in den kommenden Jahren keine Rolle. Und so werden Sie, Frau Staatsministerin, heute mit großer Sicherheit ein weiteres Mal am Thema vorbei reden. Getreu dem Dialog aus dem Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“:
„Haben Sie manchmal déjà-vues?“
„Ich glaube nicht, aber ich kann ja mal in der Küche nachfragen.“