Miro Jennerjahn: In Sachsen ist die Welt noch in Ordnung. Hier wissen CDU und FDP noch, dass Mindestlöhne Teufelszeug sind
Redebausteine des Abgeordneten Miro Jennerjahn zur Aktuellen Debatte "Gesetzlicher Mindestlohn jetzt – Bundesratsinitiative aktiv unterstützen", 71. Sitzung des Sächsischen Landtages, 13. März 2013, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
————————————————————————————
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
in Sachsen ist die Welt noch in Ordnung. Hier wissen CDU und FDP noch, dass Mindestlöhne Teufelszeug sind und dass man Lohnarmut, Fachkräftemangel und Abwanderung am besten mit Niedriglöhnen bekämpft. Mit dem gleichen Patentrezept steigern CDU und FDP selbstverständlich auch die Attraktivität des Standorts Sachsen.
Meine Damen und Herren, ich war mir sehr unsicher über den Wert dieser Aktuellen Debatte der LINKEN. Nicht weil das Thema unwichtig wäre, sondern weil ich nicht den Eindruck habe, dass bei der hiesigen Koalition ein gesteigertes Interesse vorhanden ist, sich ernsthaft mit dem Thema zu beschäftigen.
Zuletzt haben wir vor ungefähr einem halben Jahr zu einem ähnlichen Thema diskutiert. Damals gab es eine Aktuelle Debatte hier in diesem Hohen Haus mit dem Titel "Faire Arbeit fördern – Altersarmut in Sachsen verhindern". Im Grunde könnte ich meine Rede von damals heute eins zu eins wieder halten. Geht man vom Lernfortschritt der Koalition und der Staatsregierung seitdem aus, sind alle drei stark versetzungsgefährdet.
Dabei gibt es bundesweit Bewegung zu dem Thema. Die entscheidende Frage ist nicht mehr, ob ein Mindestlohn eingeführt wird. Die entscheidende Frage ist, wie das geschieht. Ob Christine Lieberknecht und Ursula von der Leyen von der CDU oder neuerdings Dirk Niebel von der FDP, bei allen spielt der Mindestlohn mittlerweile eine Rolle. Selbst Philipp Rößler, FDP-Bundesvorsitzender, ist der Meinung, dass man an der Lebenswirklichkeit der Menschen ansetzen sollte. Und die lautet, dass 6,5 Millionen Menschen in Deutschland im Niedriglohnsektor arbeiten, davon 3,4 Millionen für weniger als 7 Euro in der Stunde.
In Sachsen ist rund jeder vierte sozialversicherungspflichtige Beschäftigte von Niedriglöhnen betroffen, rund 125.000 Menschen müssen ihr Gehalt zusätzlich aufstocken, damit es zum Leben reicht. Sächsische Realität sind eben immer noch 3,82 Euro pro Stunde im Friseurhandwerk in der untersten Lohngruppe. Das macht rund 610 Euro im Monat. Ein Mindestlohn von 8,50 Euro in der Stunde würde diesen Betrag bei einer Vollzeitstelle zumindest auf 1360 Euro anheben.
Aber statt einen konstruktiven Beitrag zu dieser Debatte zu leisten, versteckt sich die sächsische Staatsregierung hinter altbekannten Stereotypen. Auch heute haben wir von den Kollegen von CDU und FDP wieder einige gehört.
Staatsminister Morlok drohte jüngst in der Bundesratssitzung, in der das Mindestlohngesetz beschlossen wurde und an den Deutschen Bundestag überwiesen wurde, ein Mindestlohn sei eine De-Industrialisierungskampagne Ostdeutschlands. Markige Worte, aber was wissen wir über die Wirkung eines Mindestlohns?
Eine Studie des PROGNOS-Institutes kommt zu dem Ergebnis, dass dem Staat nach Einführung eines Mindestlohnes von 8,50 Euro, Mehreinnahmen von mehr als sieben Milliarden Euro im Jahr zur Verfügung stünden. Die Arbeitseinkommen von fünf Millionen Arbeitnehmern würden Dank einer solchen Lohnuntergrenze steigen. Entsprechend zahlen sie jeweils knapp 2,7 Milliarden mehr an Steuern und Sozialbeiträgen. Gleichzeitig würde ihr Bedarf an Unterstützung etwa durch Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe oder Wohngeld um etwa 1,7 Milliarden Euro sinken.
Nun erfolgte die Berechnung auf der Annahme, dass die Einführung eines Mindestlohns beschäftigungsneutral erfolgt. Es ist ja eines der zentralen Argumente der Gegner eines Mindestlohns, vor massiven Arbeitsplatzverlusten zu warnen.
Zum einen lassen die Erfahrungen unserer europäischen Nachbarn, die überwiegend einen Mindestlohn kennen, daran zweifeln, dass tatsächlich große Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt drohen.
Und die neuere empirische Forschung zum Thema zeigt, dass Mindestlöhne beschäftigungsneutral sind, oder sogar leicht positive Effekte auf den Arbeitsmarkt haben können. Dies gilt offenbar auch für Mindestlöhne in westeuropäischen Staaten, die deutlich über 8 Euro in der Stunde liegen, in manchen Staaten sogar deutlich über 10 Euro.
Natürlich muss die Einführung eines Mindestlohns mit Augenmaß erfolgen. Die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn, der bei mindestens 8,50 Euro pro Stunde liegt und ansonsten durch eine unabhängige Kommission aus Arbeitgebern, Gewerkschaften und Wissenschaft festgelegt wird, ist eine Forderung mit Augenmaß.
Für Aufsehen sorgte jüngst ein Bericht der Bundesregierung – der Armutsbericht. In diesem war ursprünglich zu lesen, dass die Einkommensspreizung in den letzten Jahren zugenommen habe und die unteren Löhne in den vergangenen zehn Jahren gesunken seien. Dies verletze das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung und könne den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden.
Dann kam Bundewirtschaftsminister Rößler mit seinem Rotstift und hat die Passagen gestrichen. Wahrscheinlich war ihm die Lebenswirklichkeit vieler Menschen in diesem Moment, dann doch nicht so wichtig.
Es bleibt dabei: Für viele Menschen ist ein Mindestlohn eine elementare Grundlage sozialer Gerechtigkeit und nicht zuletzt auch des sozialen Friedens in unserem Land. Die sächsische Staatsregierung täte gut daran, ihre Blockadehaltung aufzugeben und sich für die Einführung eines Mindestlohns einzusetzen.
» Alle GRÜNEN Reden finden Sie hier …