Miro Jennerjahn: Seitdem Minister Morlok im Amt ist, hat Sachsen keine eigene Arbeitsmarktpolitik mehr
Redebeitrag des Abgeordneten Miro Jennerjahn zur 1. Aktuellen Debatte „Sächs. Arbeitsmarkt im Wandel – bessere Perspektiven für Auszubildende und Berufseinsteiger“, in der 20. Sitzung des Sächs. Landtages, 02.09., TOP 4
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
Eine stolze Krähe schmückte sich mit den ausgefallenen Federn der farbigen Pfaue und mischte sich kühn, als sie genug geschmückt zu sein glaubte, unter diese glänzenden Vögel. Sie ward erkannt, und schnell fielen die Pfaue mit scharfen Schnäbeln auf sie, ihr den betrügerischen Putz auszureißen. Dabei verlor die Krähe nicht nur die geraubten Federn, sondern auch einen Teil ihrer eigenen. Armseliger als vorher, stand sie nun wieder da, ein Spott der ihrigen und eine Warnung für alle Eitlen.
Meine Damen und Herren,
Sie können sich sicher noch an Ihre Schulzeit erinnern: Damals lernten Sie, dass eine Fabel eine kurze Erzählung mit belehrender Absicht ist, in der vor allem Tiere menschliche Eigenschaften besitzen und wie Menschen handeln. Mit der Schlusspointe erfährt der Leser meist eine allgemeingültige Moral, wie: „Prahle nie mit erborgtem Schimmer, Spott ist sonst dein Lohn.“
Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie sollten sich künftig wohl verstärkt der Lektüre von Fabeln widmen und deren Lehren miteinander diskutieren, denn Sie schmücken sich hier mit fremden Federn ganz verschiedener Herkunft:
- Da entdecke ich in Ihrem gelben Gefieder eine rote Feder, die Sie den Sozialdemokraten geklaut haben. Die große Koalition war es, die von einer harten, aber kurzen Rezession ausgegangen war und mit der Kurzarbeit das richtige Instrument einsetzte.
- Das liberale Federkleid schmückt sich auch mit der demografischen Entwicklung in Sachsen. Nicht die kluge Arbeitsmarktpolitik der Staatsregierung sorgt für mehr Arbeitsplätze. Abwanderung und eine älter werdende Gesellschaft vermindern die Zahl der Arbeitssuchenden.
- Laut der Bundesagentur für Arbeit (BA), spielen auch "statistische Effekte der Neuausrichtung arbeitsmarktpolitischer Instrumente" eine messbare Rolle. Im Klartext: Viele Menschen fielen dank Rechenakrobatik aus der Arbeitslosenstatistik heraus obwohl sie gar keinen neuen Job gefunden haben.
Sehr geehrter Herr Staatsminister Morlok,
rupft man Ihnen die fremden Federn aus, bleibt nicht viel übrig. Seitdem Sie im Amt sind, hat Sachsen keine eigene Arbeitsmarktpolitik mehr. Man hört von Ihnen das ewig gleiche Mantra: „Der erste Arbeitsmarkt wird’s richten. Wir müssen nur fest daran glauben.“
Meine Damen und Herren,
das ist zu kurz gesprungen! Ein Blick hinter die Kulissen offenbart, dass Neueinstellungen in Sachsen vielfach über prekäre Beschäftigung stattfinden. Einen dauerhaften Aufschwung bekommen wir so nicht hin.
Und noch etwas macht mir Sorgen: In den vergangenen Wochen und Monaten besuchte ich mehrfach Unternehmen im sächsischen Vogtland. Dort läuft gerade der Ausverkauf qualifizierter sächsischer Arbeitsplätze, egal ob bei Enka in Elsterberg, bei Philips in Plauen oder der Nema in Netzschkau. Das geschieht, obwohl die Region in der Vergangenheit mit besonders niedrigen Lohnkosten geworben hat.
Wenn sich Sachsen als attraktiver Standort für Unternehmen und als lebenswerte Heimat qualifizierter Fachkräfte profilieren möchte, muss ein Strategiewechsel her. Andernfalls überrollt uns der sich abzeichnende Fachkräftemangel. 22.225 Jugendliche haben sich bis Ende August im Freistaat um eine Ausbildungsstelle beworben. Das sind 16,3 Prozent weniger als im August 2009.
Meine Damen und Herren,
das von dieser Entwicklung auch arbeitslose Jugendliche aus der sogenannten Grundsicherung profitieren, ist erfreulich. Doch gleichzeitig beklagen sich immer häufiger Unternehmer darüber, dass die Bewerber um eine Lehrstelle nicht ausbildungsfähig sind, da es an den simpelsten Grundlagen mangelt.
Meine Damen und Herren,
der Verweis auf einen vorderen Platz in der PISA-Studie reicht als Antwort auf diese Herausforderung einfach nicht aus. Rund 25 Prozent der sächsischen Schülerinnen und Schüler gehören zu den sogenannten „Risikoschülern“, denen wichtige Basiskompetenzen im Lesen, Schreiben und Rechnen, bei Pünktlichkeit, Respekt und Toleranz fehlen.
Diese nicht zu vergessen, sondern sie für den Arbeitsmarkt fit zu machen, ist genauso Aufgabe des Staates wie die Begabtenförderung. Angesichts des demografischen Wandels können wir es uns nicht mehr leisten, Schulabbrecher und Schulabgänger ohne Abschluss in endlosen Warteschleifen im staatlich finanzierten Übergangssystem zu parken. Es ist unsere Aufgabe, sie für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren, und zwar in Kooperation mit der Wirtschaft, die hier nicht aus der Verantwortung entlassen werden darf. Lange herrschte ein Überangebot an Bewerbern, das es den Unternehmen leicht machte, sich die Besten auszuwählen und alle anderen sich selbst oder Vater Staat zu überlassen.
Wenn wir das Thema Fachkräftesicherung ernst nehmen, profitieren alle: Gesellschaft, Wirtschaft und – vor allem – diejenigen, die bisher vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen blieben.