Miro Jennerjahn: Um gegen den Mindestlohn Stimmung zu machen, wird schon mal geschwindelt, dass sich die Balken biegen

Redebeitrag des Abgeordneten Miro Jennerjahn zur Aktuellen Debatte "Unkenntnis und Inkompetenz des stellvertretenden Ministerpräsidenten am Beispiel Mindestlohn", 88. Sitzung des Sächsischen Landtages, 17. Dezember 2013, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,
wieder einmal ist Arbeitsminister Sven Morlok dran. Wieder einmal wird ihm Inkompetenz und Unkenntnis vorgeworfen. Und erst kürzlich hat er dafür ein eindrucksvolles Beispiel geliefert.
Um gegen den Mindestlohn Stimmung zu machen, wird schon mal geschwindelt, dass sich die Balken biegen. Noch im letzten Plenum hatte Staatsminister Morlok behauptet, die Handwerkskammer habe sich gegen einen Mindestlohn ausgesprochen. Die wusste allerdings nichts von so einem Beschluss, und vor allem die Arbeitnehmervertreter haben sich zu Recht gefragt, ob sie richtig gehört haben.
Ich möchte an dieser Stelle – trotz aller Kritik am sächsischen Arbeitsminister – nicht verschweigen, dass auch er dazu beigetragen hat, die Lage sächsischer Arbeitnehmer zu verbessern. Nur eben anders als von uns erwartet. Der Herr Staatsminister macht halt eher Politik fürs Herz, statt für den Geldbeutel.
Nehmen wir z.B. Klaus K., 35 Jahre, Berufskraftfahrer aus Löbau. Herr K. kutschiert seinen Lieferwagen für 1.200 Euro Brutto im Monat durch die ganze Republik. Bisher fühlte er sich in der Fremde oft allein und wurde von Heimweh übermannt. Doch seit es die neuen-alten KFZ-Kennzeichen gibt, ist er wie ausgewechselt. Lange Jahre musste er erst mit ZI, später mit GR am Nummernschild durch die Lande fahren. Heute prangt ein LÖB an der Stoßstange, und immer wenn Herr K. dieses identitätsstiftende Schild ansieht, läuft ihm ein wohliger Schauer über den Rücken.
Wer braucht da noch den Mindestlohn?
Ganz einfach, rund 25 Prozent der Ostdeutschen und 12 Prozent der Westdeutschen. Jeder 4. im Osten und jeder 9. im Westen verdient weniger als 8,50 Euro die Stunde. Und das ist nur der Blick auf den vereinbarten Bruttolohn.
Wenn wir einen Blick auf den effektiven Bruttostundenlohn werfen, also beispielsweise unbezahlte Überstunden mit einrechnen, steigen die Zahlen auf 32 Prozent in Ostdeutschland und 17 Prozent in Westdeutschland.
Allein diese Zahlen verdeutlichen, dass die Einführung des Mindestlohns die Lebensrealität vieler Menschen verbessern wird.
Es ist ja mittlerweile das dritte Mal allein in diesem Jahr, dass wir über das Thema Mindestlohn hier im Landtag diskutieren. Allerdings ist diesmal etwas anders. Während sich die sächsische Koalition bislang in die politische Großwetterlage einordnete, steht Sachsen bei diesem Thema nun auf verlorenem Posten.
75 Prozent der Deutschen wollen den gesetzlichen Mindestlohn (Quelle: Infratest dimap), die Große Koalition im Bund hat sich bereits für ihn entschieden, nur die Verhinderer aus Sachsen beschwören noch immer den Untergang des Abendlandes, wenn es um die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes geht.
Dabei steht Ministerpräsident Tillich seinem Arbeitsminister in nichts nach. Wenn sein Koalitionspartner FDP von einer Katastrophe für Ostdeutschland spreche, liege er nicht ganz falsch, so Tillich. Der Mindestlohn sei eine Katastrophe für den Osten. Für die Staatsregierung ist es offenbar ein ökonomisches Naturgesetz: Wenn der Staat Mindestlöhne vorschreibt, vernichtet er damit Arbeitsplätze. Basta! Dieses Mantra beten uns CDU und FDP vor, obwohl wissenschaftliche Untersuchungen, wie zum Beispiel die umfangreiche Berkeley-Studie von Reich und Dube nachgewiesen haben "Mindestlohn-Erhöhungen führen nicht zu kurz- oder langfristigen Jobverlusten bei Niedriglohntätigkeiten."
Die Große Koalition auf Bundesebene hat dessen Einführung für 2015 beschlossen. Man sieht, sogar die Union bewegt sich, wenn sie den Bremsklotz FDP vom Bein hat. Allerdings werden Arbeitnehmer bis mindestens Anfang 2017 keinen effektiven Schutz vor Lohndumping bekommen, denn die Union hat etliche Bremsen eingebaut. So gelten Tarifverträge bis Ende 2016 weiter, auch wenn sie Lohnabschlüsse enthalten, die unter dem Mindestlohn von 8,50 Euro liegen. Das betrifft nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung 41 Branchen. Erst ab 2017 soll der bundesweite Mindestlohn Tarife, die darunter liegen, ablösen. Immerhin, ein Anfang ist gemacht.
Gerade deshalb ist es bedauerlich, Herr Ministerpräsident, in welch‘ Nibelungentreue Sie sich bei diesem Thema an die sächsische FDP ketten. Fundamentalopposition gegen den Mindestlohn hat zum Glück keine Perspektive mehr.
Die Diskussion muss künftig einen neuen Schwerpunkt bekommen. Unbezahlte Überstunden, kreative Rechenspielchen mit Schicht- und Wochenendzulagen oder Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie das Abdriften in die Scheinselbstständigkeit – es gibt noch etliche Wege, den Mindestlohn zu unterlaufen. Solche möglichen Fehlentwicklungen im Blick zu behalten und gegebenenfalls zu korrigieren, ist jetzt das Gebot der Stunde, dann wird auch der Mindestlohn ein Erfolg.

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