Miro Jennerjahn zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur „NSU“
Staatsregierung hat kein Interesse an Aufklärung und versteckt sich jetzt hinter der NPD, um das zu verbergen
Redebeitrag des Abgeordneten Miro Jennerjahn zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses "NSU", 51. Sitzung des Sächsischen Landtages, 7. März 2012, TOP 2
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
von Sachsen wird heute leider kein positives Signal der Geschlossenheit der Demokraten gegen Neonazis ausgehen. 52 Abgeordnete des Sächsischen Landtags der drei demokratischen Oppositionsfraktionen machen heute von ihrem Minderheitenrecht Gebrauch, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, der sich vor dem Hintergrund der als "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) bezeichneten Terrorzelle mit neonazistischen Terrornetzwerken in Sachsen auseinandersetzen wird.
Wir brauchen diesen Untersuchungsausschuss dringend. Mehr als zehn Jahre lang hat der NSU Sachsen als Ruhe- und Rückzugsraum genutzt, von hier aus seine Morde und andere schwere Straftaten vorbereitet. Die Frage steht im Raum, warum der NSU von hier aus über eine so lange Zeit ungestört handeln konnte. Welchen Anteil und welche Verantwortung haben daran sächsische Behörden? Diese Fragen müssen wir dringend klären, das geht nur von Sachsen aus, das sind wir den Todesopfern der NSU und das sind wir den Angehörigen der Opfer schuldig.
Ich bedauere, dass die 72 Namen der Abgeordneten von CDU und FDP unter dem Einsetzungsantrag für den Untersuchungsausschuss fehlen. Und mir stellt sich die Frage, warum ist in Sachsen nicht möglich, was bei der Einsetzung der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages und des Thüringer Landtags möglich war? Warum war kein gemeinsamer Untersuchungsausschuss aller fünf demokratischen Fraktionen in diesem Hohen Hause möglich?
Da kann ich nur feststellen: An der Diskussionsbereitschaft von GRÜNEN, LINKEN und SPD ist das nicht gescheitert. Das ist bedauerlich, hatten Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP, doch noch am 23. November 2011 einem gemeinsamen Entschließungsantrag zugestimmt, in dem Sie sich noch dafür aussprachen, die Zusammenhänge der Morde des NSU und dessen rechtsextremistisches Umfeld umfassend zu ermitteln, sowie die notwendigen Konsequenzen für die Arbeit der Sicherheitsbehörden zu ziehen. In der Realität war davon in Ihrem wie auch dem Verhalten der Staatsregierung nichts zu erkennen.
Zunächst musste man ja den Eindruck haben, Sachsen wäre schlagartig geschrumpft und hätte sich in den Freistaat Sachsen und die autonome Republik Zwickau geteilt. Dieses Gefühl vermittelte jedenfalls die Staatsregierung, so sehr war sie damit beschäftigt so zu tun, als habe Zwickau und der Umstand, dass die Mörder des NSU über zehn Jahre hinweg dort untergetaucht waren, nichts mit Sachsen zu tun. Stattdessen haben Sie lieber von einem "Thüringer Trio" oder einer "Thüringer Terrorzelle" geredet und damit schon rein sprachlich verdeutlicht, dass Sie sich der spezifisch sächsischen Verantwortung in der Aufklärung der Taten der NSU nicht stellen wollen.
Aber auch alle Aufklärungsbemühungen, die unterhalb des scharfen Instruments eines Untersuchungsausschusses lagen, wurden von Ihnen in den letzten Monaten massiv behindert. Anfragen und Anträge wurden gar nicht, ausweichend oder nur unvollständig beantwortet. Wir GRÜNE haben gleich im November eine Sondersitzung des Innenausschusses mit einem umfassenden Antrag beantragt. Bei den in Sachsen begangenen Banküberfällen, die der NSU zugerechnet werden, und originär von sächsischen Staatsanwälten zu ermitteln waren, haben Sie sich hinter dem Generalbundesanwalt versteckt und die Auskunft verweigert.
Weder wollte sich die Staatsregierung an einer gemeinsamen Untersuchungskommission mit Thüringen beteiligen, noch eine eigene Kommission einsetzen.
Unser bereits genannter detaillierter Antrag, der Licht ins Dunkel der Taten der NSU bringen sollte, wurde im Rechtsausschuss wie auch im Innenausschuss mit den Stimmen des schwarz-gelben Blocks gegen den Willen meiner Fraktion weggestimmt. Und dass, obwohl in der Stellungnahme der Staatsregierung ausdrücklich zu lesen war, dass viele Fragen des Antrages wegen der laufenden Ermittlungen nicht abschließend zu beantworten sind. Für CDU und FDP war das leider kein Grund, den Antrag weiter wirken zu lassen.
Und so muss ich hier heute feststellen: Auch wenn Sie sich mit Händen und Füßen gegen diesen Untersuchungsausschuss wehren, Sie haben ihn herbeigeführt, Sie haben ihn unausweichlich gemacht, das ist Ihr Untersuchungsausschuss!
Ich ahne auch schon, was Sie heute als vermeintliche Gegenargumente gegen den Untersuchungsausschuss ins Feld führen werden. Sachsen habe sich immer für eine Expertenkommission auf Bundesebene ausgesprochen, die Aufklärung der Untersuchungsausschüsse des Bundestages und des Thüringer Landtags seien ausreichend, das Thema sei so groß, das könne Sachsen nicht alleine klären. Herr Staatsminister, Dr. Martens, hat ja gerade in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dapd noch einmal versucht, an dieser Legende zu arbeiten.
Was Sie bei all dem Verschweigen: Die spezifische Rolle sächsischer Behörden, d. h. an welchen Stellen der sächsische Verfassungsschutz, die sächsische Polizei und anderer Behörden möglicherweise versagt haben, dürfen durch diese Gremien gar nicht geklärt werden. Diese Fehleranalyse kann nur von Sachsen aus geleistet werden und es ist die ureigenste Aufgabe des Sächsischen Landtags genau dies zu tun.
Und da bin ich dem Staatsminister des Innern, Markus Ulbig, ausnahmsweise einmal dankbar, dass er genau das auf meine Mündliche Anfrage in der 49. Sitzung des Sächsischen Landtags bestätigt hat.
Eine zweite Argumentationslinie führen Sie jetzt seit ca. zwei Wochen ins Feld. Plötzlich kommt der Staatsregierung, CDU und FDP, die NPD ganz gelegen, um einen Untersuchungsausschuss zu delegitimieren, noch bevor er beginnt zu arbeiten.
Ich gebe zu, die Begleitmusik für dieses vermeintliche Argument haben Sie ganz gut instrumentiert. Auf einmal melden sich irgendwelche Bundestagsabgeordneten zu Wort, die bislang nicht durch übermäßige Kompetenz im Umgang mit der NPD aufgefallen wären. Hartfried Wolff von der FDP ist z. B. so jemand. Und was meint dieser Herr? Man dürfe in Sachsen keinen Untersuchungsausschuss einrichten, weil dann auch die NPD mit im Ausschuss vertreten wäre und möglicherweise Zugang zu geheimen Informationen bekommen könnte.
Mir ist es wichtig, darauf noch einmal einzugehen, weil diese platte Argumentation bei uninformierten Zuhörern möglicherweise verfangen könnte.
Zunächst einmal, fragen wir im Untersuchungsauftrag nicht nach Quellen, die bestimmte Beobachtungen gemacht haben oder nicht. Sondern wir fragen nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes, vom Landeskriminalamt, des Staatsschutzes und anderer sächsischer Behörden und wir fragen wie diese Erkenntnisse bewertet wurden. Der Quellenschutz ist also gewährleistet.
Zum zweiten die NPD hat lediglich einen Sitz in dem Untersuchungsausschuss und damit keine Möglichkeit eigene Beweisanträge im Ausschuss durchzubringen. Ich kann nicht erkennen, dass eine der fünf demokratischen Fraktionen bereit sein könnte, einem Antrag der rechtsextremen NPD zuzustimmen.
Drittens haben wir als demokratische Fraktionen die Möglichkeit unsere Beweisanträge inhaltlich zu steuern. Und natürlich werden GRÜNE, LINKE und SPD sehr genau darauf achten, dass beispielsweise der Quellenschutz gewährleistet ist.
Und viertens schließlich: Wenn Ihnen so viel daran gelegen hätte, die NPD tatsächlich außen vor zu lassen, dann hätten Sie eines der niedrigschwelligeren Aufklärungsinstrumente nutzen müssen, wie z. B. die Einrichtung einer eigenen Kommission mit Ermittlungskompetenzen inklusive der Schaffung der dafür nötigen gesetzlichen Grundlagen. Das haben Sie, das hat die Staatsregierung abgelehnt.
Anders ausgedrückt: Sie haben offenkundig kein Interesse an Aufklärung und verstecken sich jetzt hinter der NPD, um das zu verbergen. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Wir lassen uns ein wichtiges und an dieser Stelle notwendiges parlamentarisches Kontrollinstrument nicht von Ihnen mit solchen Scheinargumenten aus der Hand nehmen.
Mir stellt sich da auch eher die Frage, was haben Sie zu verbergen, dass Sie jetzt mit solch unlauteren Argumenten kommen?
Ich vermute ganz einfach, dass Sie eine unheimliche Angst haben, dass nun für jedermann offensichtlich wird, wie schädlich die von der CDU über 20 Jahre hinweg verfolgte Strategie des Leugnens, Ignorierens und Verharmlosens des Rechtsextremismus sowie das Diffamieren all derjenigen, die sich gegen Neonazis engagieren, war.
Sie stehen vor dem Scherbenhaufen Ihrer verfehlten Politik, aber statt gründlich aufzuräumen, halten Sie weiter die Illusion aufrecht, hier sei alles richtig gemacht worden.
Und gerade weil Sie vor solch einem Scherbenhaufen stehen und obwohl die Signale der letzten Wochen von CDU und FDP alles andere als positiv waren, hoffe ich, dass Sie sich möglicherweise doch noch in letzter Minute einen Ruck geben und dem Untersuchungsausschuss zustimmen.
Herzlichen Dank.