Miro Jennerjahn zur Extremismus-Debatte
Es ist erschreckend, wie wenig weite Teile der CDU elementare Grundlagen unserer Demokratie begreifen
Redeauszüge des Abgeordneten Miro Jennerjahn zur Aktuellen Debatte „Demokratie in Sachsen verteidigen: Extremismus von Rechts und Links konsequent bekämpfen“ in der 25. Sitzung des Sächsischen Landtages, 14.12., TOP 1
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Es ist schon wirklich erstaunlich, was für eine Debatte die Sächsische Staatsregierung mit ihrer so genannten Anti-Extremismuserklärung ohne jede Not vom Zaun gebrochen hat. Ich bin regelrecht erschrocken, wie wenig weite Teile der CDU elementare Grundlagen unserer Demokratie begreifen.
Ich beschäftige mich jetzt seit 10 Jahren auf wissenschaftlicher, zivilgesellschaftlicher und politischer Ebene mit den Themen Rechtsextremismus und Demokratieentwicklung. Und ich muss sagen, was ich in dieser Zeit in der Auseinandersetzung mit diesen Themen erlebt habe, geht auf keine Kuhhaut.
Der bekannte Journalist Toralf Staud schrieb einmal: «Wo die Mitte der Gesellschaft braun schillert, gilt als linksradikal, wer das Grundgesetz verteidigt.» Das trifft genau den Punkt. Oft genug habe ich erlebt, wie tief CDU-Politiker in die Schweigekartelle involviert sind, wenn es darum geht ein Neonazi-Problem zu verheimlichen und statt dessen diejenigen zu diffamieren, die das Problem beim Namen nennen. Wurzen, Mittweida, Limbach-Oberfrohna sind da nur drei Beispiele von vielen.
Zu diesen Diffamierungen kommt die ständige Gefahr, Opfer von rechtsextremen Übergriffen zu werden. Trotzdem machen die Aktiven in diesen Vereinen, Kirchgemeinden, Gewerkschaften, Schulen etc. weiter, gerade weil sie zivilisatorische Mindeststandards und die Würde des Menschen verteidigen wollen. Und ausgerechnet von diesen Menschen, die täglich für die demokratischen Grundwerte einstehen und dafür in permanenter Bedrohung leben, wollen Sie ein Bekenntnis zur Demokratie verlangen?
Nach wie vor führen Sie, meine Damen und Herren von der CDU, die Debatte unter einem völlig falschen Blickwinkel. Ihre Logik lautet: Wer sich gegen Rechtsextremismus engagiert, ist links höchstwahrscheinlich sogar linksextrem und muss bekämpft werden. Sie haben nach wie vor nicht verstanden, dass der Kern rechtsextremer Ideologie aus einer Ideologie menschlicher Ungleichwertigkeit besteht, die biologisch begründet wird. Daraus abgeleitet werden die allgemeinen Menschenrechte in Frage gestellt.
Der Gegenpart rechtsextremer Ideologie besteht somit in einer Betonung und Stärkung von Menschenrechten und der Stärkung des Gedankens, dass alle Menschen gleich an Rechten sind. Das sind Werte die sowohl konstitutiv für das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sind, als auch für die Verfassung des Freistaats Sachsen. Das Gegenteil von Rechtsextremismus lautet somit nicht Linksextremismus, sondern Demokratie.
Offenbar hat die Staatsregierung Bedenken gegenüber einzelnen der vom Freistaat geförderten Projekte gegen Rechtsextremismus. Es ist zutiefst bezeichnend, dass die Staatsregierung jedoch nicht bereit ist, die Karten auf den Tisch zu legen und deutlich zu machen, um welche Projekte es ihr geht. Dann müsste sie nämlich die Belastbarkeit ihrer Vorbehalte zum Gegenstand einer transparenten Diskussion machen. Stattdessen arbeitet sie durch die Erklärung mit der Methode des Verdachts. Einem Verdacht, gegen den sich die Betroffenen nicht wehren können. Damit wird das Rechtsstaatsprinzip ausgehebelt.
Ihre Übersetzung des Begriffs Rechtsstaat ist offenbar: Der Staat hat immer Recht. Das ist falsch! Das Rechtsstaatsprinzip basiert auf zwei zentralen Elementen: Der Unschuldsvermutung und der Gewaltenteilung. Nicht ich als Bürger habe nachzuweisen, dass ich unschuldig bin, sondern derjenige, der mir etwas vorwirft, muss Beweise vorlegen. Ob ich dann tatsächlich schuldig bin, klärt ein unabhängiges Gericht.
Herr Innenminister Ulbig: Pirna war in Ihrer Zeit als Oberbürgermeister eines der positiven Beispiel, wo auch die Stadtverantwortlichen das Problem Neonazismus nicht verharmlost haben, sondern in einer guten Partnerschaft mit zivilgesellschaftlichen Akteuren das Problem bearbeitet haben.
In Ihren Pressemitteilungen der letzten Wochen habe ich Sie nicht mehr wieder erkannt. Es ist bedauerlich, dass Sie nicht wie vorgesehen am Landestreffen des Netzwerks Tolerantes Sachsen teilnehmen konnten. Hätten Sie die Diskussion dort über die ‚Anti-Extremismuserklärung‘ mitbekommen, wären sämtliche Zweifel an der Demokratietauglichkeit der vom Freistaat Sachsen geförderten Projekte zerstreut worden. Ich möchte einige Sätze aus dem dort verfassten ‚Limbach-Oberfrohnaer-Appell‘ zitieren:
«Lassen Sie uns auf Augenhöhe miteinander reden und gemeinsam mit allen demokratischen Kräften den Alltag gestalten. Statt Erklärungen von uns zu verlangen, laden wir alle ein, uns zu besuchen. Lernen Sie unsere Arbeit kennen und messen Sie uns daran.»
Herr Innenminister, stellen Sie nicht ein formales Lippenbekenntnis über die Qualität der Arbeit der Projekte. Diese Qualität wurde in den letzten Jahren mehrfach durch wissenschaftliche Evaluationen nachgewiesen. Verzichten Sie auch künftig auf jedwede „Anti-Extremismuserklärung“. Eine falsche Politik zu korrigieren, ist kein Gesichtsverlust, sondern ein Zeichen von Größe.