Miro Jennerjahn zur Fachregierungserklärung Arbeitsmarktpolitik

Es reicht nicht, Hr. Morlok, ein Loblied auf den sächsischen Arbeitsmarkt zu singen und die Herausforderungen, wie Niedriglöhne und Leiharbeit, zu vergessen
Redebeitrag des Abgeordneten Miro Jennerjahn zur Fachregierungserklärung "Arbeitsmarktpolitik in Sachsen – zukunftsgerecht und chancenorientiert", 53. Sitzung des Sächsischen Landtages, 3. April 2012, TOP 2
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich muss sagen, ich bin einigermaßen entgeistert über das, was uns hier gerade vom Herrn Staatsminister Morlok geboten wurde. Sie haben uns jetzt über eine halbe Stunde lang einen Haufen Obersätze angeboten, ohne sie zu untersetzen.
Sie haben sich überall bedankt: Bei den Unternehmen, die Arbeits- und Ausbildungsplätze schaffen, bei Frau Cordt und der Bundesagentur für Arbeit, den Jobcentern und den zugelassenen Kommunalen Trägern. Klar: Es ist wichtig, diesen Institutionen und Personen zu danken. Das möchte ich auch tun.
Ich danke Ihnen vor allem dafür, dass Sie diesen Minister kompensieren.
Das, was Sie hier geboten haben, reicht nicht, Herr Morlok. Es reicht nicht, ein Loblied auf den sächsischen Arbeitsmarkt zu singen und die Herausforderungen dabei zu vergessen. Weder sind sie auf aktuelle Probleme eingegangen noch haben Sie hier Lösungsansätze für die grundlegenden Probleme des sächsischen Arbeitsmarktes angeboten.
Seit Wochen sind die Medien voll über die Insolvenz von Schlecker. Sachsen ist einer der Hauptakteure, die zum Scheitern einer bundesweiten Lösung für die betroffenen ArbeitnehmerInnen beigetragen haben. Mehr als halbgare Ankündigungen, Sachsen habe einen "Plan B", waren nicht zu hören. Ich zitiere den Herrn Staatsminister Morlok: "Wir haben in Sachsen eine Lösung mit dem Ziel einer schnellen Vermittlung der Schlecker-Mitarbeiterinnen in neue Arbeit vorbereitet."
Wie die Lösung konkret aussieht, haben Sie uns auch heute wieder nicht verraten. Wird es auf die Schlecker-MitarbeiterInnen zugeschnittene Qualifizierungsmaßnahmen geben, und werden dafür zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt? Welche konkreten Aufgaben übernimmt in diesem Fall der Handelsverband?
Antworten auf diese Fragen sind Sie uns schuldig geblieben und so komme ich zu dem Schluss: Sie haben eine bundesweite Transfergesellschaft nicht verhindert, weil Sie ein besseres Konzept haben, sondern weil sich die FDP um jeden Preis profilieren wollte, koste es was es wolle.
Aber kommen wir zu den grundsätzlichen Herausforderungen des sächsischen Arbeitsmarkts. Wir haben heute viel darüber gehört, wie positiv sich der sächsische Arbeitsmarkt entwickelt hat. Ja, es gibt positive Entwicklungen und es ist legitim, diese darzustellen und sich darüber zu freuen. Aber von einem Staatsminister, der nominell auch für das Thema Arbeit zuständig ist, erwarte ich, dass er nicht nur die lichten Seiten darstellt, sondern dass er auch die bestehenden Probleme benennt und Lösungsansätze skizziert. Herausforderungen gibt es doch genug. Das ist mit der Großen Anfrage meiner Fraktion zum Thema Arbeitsmarkt sehr deutlich geworden.
Die Antworten auf diese Große Anfrage relativieren auch in erheblichen Maße, das soeben von Staatsminister Morlok weich gezeichnete Bild des sächsischen Arbeitsmarktes.
Leiharbeit/Niedriglohn
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Das beginnt beispielsweise bei den Themen Niedriglohn und Leiharbeit. Dieser Teil der ArbeitnehmerInnen macht einen großen Teil des "Morlok’schen Jobwunders" aus. Im Bereich der Leiharbeit liegt der Anteil der Niedriglöhner in Sachsen bei 61,3 Prozent. Im Durchschnitt aller Wirtschaftsbereiche sind es dagegen nur 23 Prozent. Der Anteil der Aufstocker unter den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten beträgt in Sachsen bei Leiharbeitern 10,7 Prozent, bezogen auf alle sächsischen Wirtschaftsbereiche dagegen nur 4 Prozent.
Gerade die selbst ernannten "Wirtschaftsprofis" von der FDP brauchen das nicht schönzureden. Sie müssten so langsam registriert haben, dass das Einkommen maßgeblichen Einfluss auf die sächsische Wirtschaft hat. Allianz-Chefvolkswirt Heise hat erst kürzlich eine gute Binnennachfrage zur Bedingung einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung im laufenden Jahr gemacht, denn der Außenhandel stagniert infolge der schwachen Nachfrage aus den europäischen Krisenländern. Höheren Haushaltseinkommen folgt mehr privater Konsum.
Was geschieht in Sachsen? Hier ist die Zahl derjenigen, die sogenannte Armutslöhne (weniger als 50 Prozent des durchschnittlichen Einkommens) beziehen, in den letzten zehn Jahren weiter gestiegen. Wie Hohn klingt die Aussage der Staatsregierung (Gr. Anfrage), der Lohn bilde sich am Markt aufgrund der Produktivität des Arbeitnehmers. Herr Morlok, dann müssten Sie betteln gehen!
Mindestlohn
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Die Koalition hat bisher nichts unternommen, um der Lohndrückerei Einhalt zu gebieten. Die neue Strategie heißt Lohndumping mit Werkverträgen. Mit diesen Verträgen umgehen manche Unternehmen sogar den niedrigen Mindestlohn in der Leiharbeit, sie umgehen Tarifverträge und Equal-Pay-Regelungen. Die Situation ist absurd: Stammbelegschaften werden durch Leiharbeitskräfte verdrängt, die jetzt wiederum durch Werkvertrags-Beschäftigte ersetzt werden. Die Lohndumpingspirale dreht sich weiter. Diese Entwicklung muss endlich gestoppt werden. Das geht nur mit einem gesetzlichen Mindestlohn.
Fachkräftemangel
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Wie unsere Große Anfrage zum sächsischen Arbeitsmarkt zeigt, hat die Staatsregierung zu den Folgen des Fachkräftemangels für die Entwicklung der sächsischen Wirtschaft keine Informationen. Oder will sie nur die Wahrheit nicht aussprechen? Sachsens Wirtschaft wird aufgrund ihrer Kleinteiligkeit der Verlierer beim Wettbewerb um Fachkräfte sein. Deshalb braucht Sachsen endlich eine Fachkräftestrategie.
Nun haben Sie heute, Herr Morlok, einen Kabinettsbeschluss einer solchen Fachkräftestrategie für die kommenden Wochen angekündigt. Das ist gut. Mir fehlt aber das Vertrauen, wenn Sie uns auch hier heute nur Allgemeinplätze anbieten. "Es beginnt zunächst mit der frühkindlichen und schulischen Erziehung und Bildung." (Zitat Morlok) Noch konkreter ging es wohl nicht?
Bildungsfreistellungsgesetz
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Dann haben Sie bei den spärlichen Eckpunkten Ihrer Fachkräftestrategie zu Recht auf das Thema lebenslanges Lernen abgestellt. Sie haben dabei vor allem die Weiterbildungsschecks im Blick. Eine sinnvolle Maßnahme, sicher. Aber etwas relativieren muss ich Sie schon. Sie haben gerade voller Stolz verkündet, 95 Prozent der über Weiterbildungsschecks geförderten Maßnahmen gingen an Arbeitnehmer mit unterdurchschnittlichen Einkommen, d. h. mit Brutto-Einkommen von weniger als 2.500 Euro.
Herr Morlok, das ist kein Kunststück, wenn man sich vor Augen hält, dass das Durchschnittseinkommen in Sachsen laut Statistischem Landesamt im Jahr 2011 bei 2.600 Euro für Vollzeitbeschäftigte und bei 1.660 Euro für Teilzeitbeschäftigte lag.
Gleichzeitig berauben Sie Ihr Instrument der Weiterbildungsschecks auch der Durchschlagskraft, wenn Sie zwar einerseits Arbeitnehmern einen Zuschuss für Weiterbildung gewähren, Arbeitnehmer aber auf der anderen Seite keinen gesetzlichen Anspruch haben, solche Maßnahmen auch besuchen zu dürfen. Gerade angesichts der unbefriedigenden Weiterbildungsquote insbesondere auch in kleinen Betrieben, besteht hier Handlungsbedarf.
So heißt es bspw. im Sächsischen Technologiebericht 2009: "In diesem Zusammenhang ist auch auf die geringen Weiterbildungsquoten hinzuweisen, die in Deutschland insgesamt deutlich niedriger liegen als in anderen Ländern und in Sachsen nochmals unterdurchschnittlich sind. Nicht nur mit Blick auf verstärkte Innovationsaktivitäten, sondern auch mit Blick auf eine allgemeine Verbesserung liegen hier offenkundig noch unausgeschöpfte Potentiale."
Wie Sie wissen hat meine Fraktion einen Entwurf für ein sächsisches Bildungsfreistellungsgesetz vorgelegt. Wir wollen die nötigen gesetzlichen Voraussetzungen, nämlich einen gesetzlich geregelten Anspruch auf Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen schaffen. Dabei haben wir die Interessen kleiner Unternehmen im Blick. Unternehmen, die weniger als zehn Angestellte haben, sollen einen Lohnkostenzuschuss von bis zu 45 Euro pro Tag erhalten, wenn ein Mitarbeiter Bildungsurlaub in Anspruch nimmt.
Und ich hoffe auch, dass Staatsregierung, CDU und FDP ihre Blockadehaltung gegenüber unserem Gesetzentwurf im Zuge der Beratungen in den Ausschüssen und anschließend hier im Plenum aufgeben. Es passt einfach nicht zusammen, wenn Sie hier auf der einen Seite ihre Weiterbildungsschecks loben, die Arbeitnehmer nicht erreichen und auf der anderen Seite gegen ein, aus ihrer Sicht, wirkungsloses Gesetz polemisieren, das aber zumindest die Arbeitnehmer erreichen würde.
Zuwanderung
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Sie haben auch das Thema Zuwanderung und Ansiedlung von Fachkräften als Herzensthema bezeichnet. Es ist richtig: Das Thema Zuwanderung gehört mit in die Diskussion um die Fachkräftesicherung in Sachsen.
Mit Inkrafttreten der Arbeitnehmerfreizügigkeit zum 1. Mai 2011 ist es nun auch für osteuropäische Fachkräfte möglich, ohne bürokratische Hürden und rechtliche Einschränkungen in Deutschland zu arbeiten. Fachkräfte aus den übrigen Ländern der Welt sehen sich hingegen mit einem restriktiven und hoch ausdifferenzierten Zuwanderungsrecht konfrontiert. Die Vorstöße des Freistaates Sachsen im Bundesrat zur Vereinfachung der Zuwanderungsbedingungen sind ein Schritt in die richtige Richtung, der auf Bundesebene nun auch Gehör zu finden scheint.
In Bezug auf die Anerkennung im Ausland erworbener Abschlüsse wollen wir ein individuelles Recht auf Anerkennungsverfahren, bei dem die Vollanerkennung nur bei wesentlichen Unterschieden verwehrt werden soll. Ziel muss eine Verfahrensdauer von nicht mehr als drei Monaten sein. Begleitend brauchen wir ein flächendeckendes Angebot an Informations- und Beratungsstellen sowie mehrsprachige Publikationen zum Thema Anerkennung. Bei den landesrechtlich geregelten Berufen gibt es noch nicht genügend Angebote für berufliche Anschluss- und Anpassungsmaßnahmen. Auch die Kooperation der Bundesländer ist verbesserungsbedürftig: Anerkennungsbescheide für Berufe in Länderzuständigkeit sollten bundesweit gültig sein. Die Staatsregierung kann hier zur treibenden Kraft werden und wenigstens einmal den Willen zur Gestaltung beweisen.
Der rechtliche Rahmen ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Ausländische Fachkräfte werden sich nur dann für Sachsen als Arbeits- und Lebensort entscheiden, wenn sie attraktive Rahmenbedingungen vorfinden. Dazu gehören die Absicherung von Kita und Schule für die Kinder sowie Arbeitsmöglichkeiten für Partner oder Partnerinnen sowie reale Chancen auf soziale Teilhabe.
Dazu gehört aber auch eine Willkommenskultur. Ich habe Zweifel, dass Sachsen ernsthaft attraktiv ist für ausländische Fachkräfte. Es hat sich herum gesprochen, dass es in Sachsen ein massives Problem mit Rechtsextremismus gibt und es hat sich auch herum gesprochen, dass Sachsen mit diesem Problem bestenfalls halbherzig umgeht.
Es ließen sich viele weitere Problembausteine identifizieren und diskutieren. Die Benachteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt etwa. Auf all diese Herausforderungen haben Sie heute keine Antworten geliefert, Herr Morlok. Ich habe das auch nicht ernsthaft erwartet nach Ihrer bisherigen Leistung als Staatsminister, aber enttäuschend ist es schon. Das haben die Sächsinnen und Sachsen, das hat der Freistaat Sachsen nicht verdient.