Miro Jennerjahn zur Fachregierungserklärung

Redebeitrag des Abgeordneten Miro Jennerjahn zur Erklärung des Innenministers zum "Sachstand zum ‚Nationalsozialistischen  Untergrund‘ in der 44. Sitzung des Sächsischen Landtages, 23.11., TOP 1
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
so bitter es ist, die schrecklichen Taten der Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" scheinen zum ersten Mal eine fundierte parteiübergreifende politische Diskussion über das Thema Rechtsextremismus zu ermöglichen. Darüber bin ich einerseits erleichtert. Andererseits bin ich aber auch verbittert.
In der Vergangenheit haben wir in der praktischen Arbeit vor Ort oder auch bei Debatten hier im Landtag gegen eine konservative Mauer geredet. Belächelt, Thema nicht ernst genommen, oder im schlimmsten Fall mit der mal mehr, mal weniger offen vorgetragenen Unterstellung konfrontiert, wer sich gegen Rechtsextremismus engagiert, ist vermutlich linksextrem. Ich hoffe, damit ist jetzt ein für alle Mal Schluss!
Ich hoffe, Sie überwinden den Beißreflex, Rechtsextremismus nur in einem Atemzug mit Linksextremismus nennen zu können.
Ich hoffe, wir kommen nun in eine Situation, in der es möglich ist, Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und andere Formen menschenfeindlicher Einstellungen als eigenständige Probleme zu analysieren und zu diskutieren.
Die Liste dessen, was in der Aufarbeitung der Terrorserie zu tun ist, ist lang. Ich maße mir nicht an, jetzt schon die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen, einstweilen geht es vor allem darum, die richtigen Fragen zur Aufarbeitung der Geschehnisse zu stellen.
Mit einiger Sorge betrachte ich es dann, wenn die offizielle Sprachregelung zu lauten scheint, es habe sich um ein Thüringer Terrortrio oder eine Thüringer Terrorzelle gehandelt. Das ist ein nicht gerechtfertigtes Manöver, um von Sachsen abzulenken. Wesentliche Akteure des NSU haben mindestens zehn Jahre lang in Sachsen gewohnt und von hier aus gewirkt. So traurig es ist, das ist die Verantwortung, der wir uns stellen müssen.
Die Frage, die mich vor allem umtreibt: Wie kann es sein, dass von sächsischem Boden aus, eine Terrorzelle unentdeckt und unbehelligt über Jahre hinweg eine Blutspur durch die Bundesrepublik ziehen konnte? Offensichtlich wurden hier Fehler begangen sowohl vom Verfassungsschutz als auch von Polizei und Staatsanwaltschaften.
Wir haben am Montag nach der Sitzung der Parlamentarischen Kontrollkommission gehört, der Verfassungsschutz habe von nichts gewusst. Wie kann das sein? Wir haben bezogen auf die Einwohnerzahl bundesweit das personell und finanziell am besten ausgestattete Landesamt für Verfassungsschutz. 12 Millionen Euro erhält das LfV dieses Jahr, fast 200 Mitarbeiter hat die Behörde.
Ich kann daraus nur zwei Schlussfolgerungen ziehen: Entweder wusste der sächsische Verfassungsschutz tatsächlich nichts, dann stellt sich mir die Frage nach der Sinnhaftigkeit dieser Behörde. Oder, der Verfassungsschutz wusste etwas und verheimlicht es. Aber auch dann bin ich wiederum bei der Frage nach der Sinnhaftigkeit einer solchen Institution.
Sie erinnern sich: In den Verhandlungen zum Doppelhaushalt 2011/2012 hatten wir bereits das Problemfeld Verfassungsschutz aufgemacht. Wir hatten einen Personalabbau beim LfV vorgeschlagen, zu Gunsten von Präventionsarbeit und zur Stärkung von Polizei und Staatsanwaltschaft. Damals sind wir von Herrn Bandmann wüst beschimpft worden. Offenbar waren unsere Überlegungen damals nicht ganz so falsch.
Und damit bin ich auch beim zweiten Punkt. Wir brauchen eine umfassende Fehleranalyse und Aufarbeitung der Frage, warum der NSU so lange morden und rauben konnte, ohne entdeckt zu werden. Aus dem Bund und anderen Ländern sind deutliche Töne zu vernehmen, dass in der Arbeit von Verfassungsschutz und Polizei Fehler gemacht wurden. Ein solches Eingeständnis habe ich aus Sachsen bislang nicht gehört.
Womit wir uns definitiv nicht abfinden werden ist, wenn die nötige Aufarbeitung nun hinter verschlossene Türen in irgendwelche geheim tagenden Gremien verlagert werden soll. Das verlorene Vertrauen gegenüber der Arbeit der Sicherheitsbehörden, der überall spür- und greifbar ist, kann nur wieder gewonnen werden, wenn lückenlos aufgeklärt und das Handeln von Behörden offengelegt wird. Nicht Geheimhaltung, Transparenz ist das Gebot der Stunde. Der Bund und Thüringen sind da in der Diskussion deutlich weiter. Auch hier vermisse ich ein klares Signal der Staatsregierung, dass sie z. B. einen unabhängigen Sonderermittler einsetzt, oder auch eine Kommission, die dies leistet. Ich sage Ihnen auch ganz deutlich, mein Eindruck nach der Sondersitzung des Innenausschusses war nicht, dass die Staatsregierung allzu viel Wert auf diese Form der Aufklärung legt.
Der dritte wichtige Punkt. Rechte Gewalt muss endlich ernst genommen werden. Auch das haben wir schon häufig diskutiert. Es ist nicht hinnehmbar, dass von den mutmaßlich 182 Todesopfern rechter Gewalt seit 1990 nicht einmal 50 auch offiziell anerkannt sind. Hier müssen dringend eine neue Prüfung und eine Anpassung der offiziellen Statistiken her. Anderes Beispiel: Fragen Sie doch mal die im Bunten Bürgerforum Limbach-Oberfrohna engagierten Menschen, wie es sich anfühlt, permanent in der Gefahr rechter Übergriffe zu stehen und dann von der Polizei vor Ort nicht ernst genommen oder sogar massiv verleumdet zu werden.
Ich habe gestern mit einiger Genugtuung die Ankündigung des Innenministers gelesen, dass Landesprogramm Weltoffenes Sachsen ab dem Jahr 2012 um eine Million Euro jährlich aufzustocken. Das ist ein richtiger Schritt. Ich erinnere aber auch daran, dass Sie damit lediglich den status quo des Jahres 2010 wieder herstellen. Damals standen zwei Millionen Euro für das Weltoffene Sachsen zur Verfügung und zwei weitere Millionen Euro für Maßnahmen zur Demokratiestärkung im Einzelplan des Staatsministeriums des Sozialen. Wie gesagt, ich sehe die Ankündigung des Innenministers positiv, hätte mir aber gewünscht, dass wir ohne die Kürzungsschleife 2011 ausgekommen wären.
Ein anderes Problem will die Staatsregierung offenkundig nicht angehen. Die so genannte Demokratieerklärung steht weiter im Raum. Wir werden heute Abend darüber ausführlicher diskutieren. Wir werden gleich einen gemeinsamen Entschließungsantrag aller demokratischen Fraktionen beschließen. Das ist außerordentlich positiv. In dem Antrag steht auch, dass nun alle demokratischen Gruppen gestärkt werden müssen, die sich gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus engagieren und geprüft werden müsse, wo dem Hürden entgegen stehen. Die Demokratieerklärung ist eine solche Hürde. Ich möchte Sie noch einmal dringend bitten bis heute Abend zu prüfen, ob Sie diese Hürde beseitigen möchten. Ich bin gerne bereit auf eine lange Aussprache heute Abend zu verzichten, wenn ich das Signal erhalte, dass Sie unserem Antrag zustimmen.
Zu guter letzt: Der Herr Ministerpräsident ist in seiner dringend gebotenen Erklärung gestern deutlicher geworden, als es in der Vergangenheit der Fall war. Das begrüße ich. Worte allein reichen aber nicht. Dem werden jetzt auch Taten folgen müssen.