Miro Jennerjahn zur Forderung die Demokratieerklärung abzuschaffen

Redebeitrag des Abgeordneten Miro Jennerjahn zum GRÜNEN-Antrag "Sogenannte Demokratieerklärung unverzüglich abschaffen – Konsequenzen aus dem Gutachten des Juristischen Dienstes ziehen" in der 44. Sitzung des Sächsischen Landtages, 23.11., TOP 10
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
einmal mehr ist es notwendig über die so genannte Demokratieerklärung zu debattieren. Seit ziemlich genau einem Jahr diskutieren wir darüber lebhaft und mittlerweile ist es möglich ziemlich genau Resumee zu ziehen über die schädlichen Auswirkungen des Gesinnungs-TÜVs. Auch wenn es bei Antragseinreichung noch nicht zu ahnen war, auch vor dem Hintergrund der rechtsterroristischen Anschlagserie hat die Frage, wie die Staatsregierung mit demokratischer Zivilgesellschaft umgeht, neue Bedeutung gewonnen.
Anlass für die neuerliche Debatte ist das Gutachten des Juristischen Dienstes über die so genannte Demokratieerklärung. Das Gutachten sollte bekannt sein, ich hatte ja im Vorfeld der Plenarsitzung alle Abgeordneten von CDU und FDP angeschrieben und ihnen das Gutachten zur Verfügung gestellt.
Ich sage aber auch vorneweg: Das Thema ist nicht nur ein juristisches, sondern zuallererst ein politisches, das aber eine starke verfassungsrechtliche Dimension hat. Insofern ist es wichtig, beides mit zu denken.
Das Gutachten des Juristischen Dienstes ist in zwei sehr entscheidenden Punkten eindeutig. Es stellt zum einen fest – ich zitiere:
«Durch das Verlangen nach Abgabe eines Bekenntnisses zur freiheitlich demokratischen Grundordnung […] wird in nicht gerechtfertigter Weise in das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung eingegriffen.»
Zum anderen kommt es zu dem Schluss – ich zitiere wiederum:
«Da die Demokratieerklärung mit dem Erfordernis zur Abgabe des FdGO-Bekenntnisses […] gegen Grundrechte von Antragstellern verstößt, stellt die Förderrichtlinie Weltoffenes Sachsen in Verbindung mit dem Haushaltsgesetz 2011/2012 insoweit keine ausreichende Rechtsgrundlage dar.»
Klarer kann nicht formuliert werden, dass das Handeln der Staatsregierung rechtswidrig ist. Noch absurder wird das Ganze, wenn wir uns die Antwort der Staatsregierung auf meine Mündliche Anfrage am 13. Oktober 2011 im Rahmen der 43. Sitzung des Sächsischen Landtags ansehen.
Zur Erinnerung: Ich hatte dort gefragt, in welchen Fördermittelprogrammen des Freistaats Sachsen, die so genannte Demokratieerklärung zum Einsatz kommt und nach welchen objektiven Kriterien sich die Auswahl dieser Programme bemisst.
Seitdem wissen wir, dass die so genannte Demokratieerklärung in sechs Fördermittelprogrammen regelmäßig und in zwei weiteren in Einzelfällen zum Einsatz kommt, darunter auch die Förderung aktiver Teilnehmer am "Tag der Sachsen". Nach Aussage der Staatsregierung komme, die so genannte Demokratieerklärung nur in Programmen zum Einsatz, deren primärer Förderzweck Demokratiestärkung und/oder Extremismusbekämpfung und Prävention seien.
Wenn ich mir jetzt die sechs Förderrichtlinien anschaue, in denen die Erklärung prinzipiell eingesetzt wird, komme ich zu dem Schluss, dass in dreien davon dieser primäre Förderzweck kaum erkennbar ist, allenfalls mal als einer unter vielen Punkten auftaucht.
Betrachte ich jetzt alle acht Förderrichtlinien, dann findet sich nur in der Förderrichtlinie zum Landesprogramm ‚Weltoffenes Sachsen‘ ein Hinweis auf die so genannte Demokratieerklärung. Vor dem Hintergrund, dass eine Förderrichtlinie keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage darstellt, müssen wir hier ganz klar von politischer Willkür sprechen.
Aber werfen wir noch einen Blick auf die konkreten Konsequenzen, welche die so genannte Demokratieerklärung für die Vereine in Sachsen bislang hatte. Noch im Aprilplenum hat der Herr Innenminister erklärt, es habe keine negativen Konsequenzen durch die späte Zustellung der Fördermittelbescheide gegeben. Schauen wir uns also die Praxis an:
Verein A erhielt den Bescheid über den vorzeitigen Maßnahmebeginn am 27. Dezember 2010. Der endgültige Bewilligungsbescheid traf am 1. Juni 2011 ein. Das erste Geld floss dann Ende Juni. In der Zeit hatte der Verein also Personalausgaben und andere Kosten auf eigene Rechnung zu tragen. Der Kontokorrentkredit in Höhe von 20.000 Euro wurde voll ausgeschöpft, der Zinszahlungen in Höhe von 800 Euro nach sich zog, die natürlich nicht ersetzt werden. Hinzu kam ein privates zinsloses Darlehen in Höhe von 6000 Euro, ohne den der Verein gänzlich zahlungsunfähig gewesen wäre.
Verein B erhielt den Bescheid über den vorzeitigen Maßnahmebeginn Anfang des Jahres 2011. Der endgültige Fördermittelbescheid traf am 17. Mai 2011 ein, die erste Abschlagzahlung erfolgte Mitte Juni. Ein bestehender Honorarvertrag konnte über 5 Monate hinweg nicht bedient werden, auch die fälligen Mietzahlungen konnten über 5 Monate nicht geleistet werden. Es ist nur der Kulanz des Vermieters geschuldet, dass dem Verein nicht gekündigt wurde.
Verein C erhielt den Bescheid über den vorläufigen Maßnahmebeginn erst am 5. Januar 2011 und nicht wie angekündigt bereits Ende 2010. Begründung: Der Bundesverein habe eine (nicht bindende) Online-Petition unterzeichnet, die sich gegen die Unterzeichung der so genannten Demokratieerklärung wandte.
Daraus wurde abgeleitet, dass der eigenständige sächsische Verein auch nicht unterzeichnen werde. Dieser unverschuldete Fehlschluss auf Ministeriumsseiten führt zu einem um 5 Tage verkürzten Projektzeitraum, was sich bei Personal- und Mietkosten auch negativ auf die Einnahmesituation des Trägers auswirkt. Der Zuwendungsbescheid traf am 17. Mai 2011 ein, die erste Abschlagzahlung Ende Juni. Nur die Vorfinanzierung in Höhe von 28.000 Euro durch eine Partnerorganisation hat die Zahlungsunfähigkeit verhindert. Konsequenz die eigentliche inhaltliche Projektumsetzung war im ersten Halbjahr so gut wie nicht möglich und muss unter Hochdruck im zweiten Halbjahr nachgeholt werden.
Verein D wiederum war aufgrund der späten Gewährung der Fördermittel im ersten Halbjahr ebenfalls so gut wie nicht arbeitsfähig. Deshalb kam es auch zu keiner Zusammenarbeit mit Partnern. Anfang September 2011 wurde die Zahlung der Fördermittel durch die SAB gestoppt mit der Begründung es sei eine Erklärung der Nichtabgabe der Demokratieerklärung notwendig, wenn keine Demokratieerklärungen eingereicht werden. Dass eine Erklärung der Nichtabgabe der Demokratieerklärung notwendig ist, wurde offenbar vergessen dem Verein mitzuteilen. Konsequenz: Die Fördermittel wurden erst Ende Oktober 2011 ausgezahlt.
Die Beispiele verdeutlichen eins: Das Jahr 2011 ist für die Demokratieförderung ein verlorenes Jahr, weil die Vereine und Projekte systematisch durch die Staatsregierung lahm gelegt wurden. Eine Berechnung des Bürokratieaufwandes, wie viel Zeit der beantragten Projekte nun also für Blödsinn wie die so genannte Demokratieerklärung drauf geht und nicht in die inhaltliche Arbeit fließt, ist da noch gar nicht enthalten.
Gestern hat der Ministerpräsident nach langem Schweigen erklärt: «Wir brauchen einen großen gesellschaftlichen Konsens, um rechtsradikale politische Strömungen an der Wurzel zu bekämpfen. Dies ist eine Aufgabe der Polizei und der Strafverfolgungsbehörden; es ist aber auch Aufgabe der gesamten Gesellschaft.»
Große Worte, nach denen wir nun aber auch Taten erwarten. Sie kommen vor dem Hintergrund der rechtsterroristischen Anschläge in Erklärungsnöte, warum Sie ohne jede Not zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechtsextremismus so massiv behindern.
Die letzten Wochen haben in aller Härte noch einmal deutlich gemacht, was das V-Mann-Unwesen eigentlich ist: Eine direkte staatliche Alimentierung von Neonazi-Strukturen. Es ist doch ein absurdes Bild, das sich ergibt: Der Staat fördert über V-Leute rechtsextreme Strukturen. Demokratischen Strukturen hingegen, die mit ohnehin schon bescheidenen Mitteln versuchen dagegen vorzugehen, wird ein grundrechtswidriges Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung abgenötigt.
Ich werde hier jetzt keine Diskussion über den Sinn oder Unsinn von V-Leuten beginnen. Die Mitglieder der Fraktionen von CDU und FDP werden da vermutlich ohnehin eine andere Meinung haben als ich. Aber wenn Sie schon das V-Leute-Unwesen verteidigen, dann sollten Sie zumindest nicht das fatale Bild, das ich eben beschrieben habe, befördern. Das kann nicht Ihr Interesse sein und ich bin überzeugt davon, das ist nicht ihr Interesse.
Die Staatsregierung hat auch mit der gestrigen Erklärung mit keinem Wort verlauten lassen, dass sie die grundrechtswidrige Praxis des Gesinnungs-TÜVs beenden will. Es muss auch ihr Interesse als Regierungskoalition sein, das schlechte Bild, das die Staatsregierung in dieser Frage seit einem Jahr liefert, nicht länger hin zu nehmen. Sie können bei diesem Thema nicht mehr gewinnen und die Deutungshoheit erlangen. Die Frage lautet nur noch wie lange Sie das dulden wollen. Sie wissen, die ersten Klagen gegen die so genannte Demokratieerklärung sind eingereicht. Natürlich können Sie jetzt sagen, wir warten die Prozesse ab, aber die Chance, dass der Blamagefaktor für Sie steigt, wird größer.
Sie haben es jetzt selbst in der Hand, ob sich das Thema für Sie zu einem Schrecken mit Ende oder zu einem Schrecken ohne Ende entwickelt.
Herzlichen Dank!