Petra Zais: Herr Ulbig, es ist ihre Aufgabe, den Rechtsstaat zu verteidigen
Redebeitrag der Abgeordneten Petra Zais zu den Fachregierungserklärungen von Innenminister Markus Ulbig und Integrationsministerin Petra Köpping: "Gesamtaufgabe Asyl – gemeinsam für Unterbringung, Sicherheit und Integration"
18. Sitzung des Sächsischen Landtags, 1. September 2015, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
zunächst, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, möchte ich Ihnen sagen, dass mich ihre Worte des Dankes an die Bürgerinnen und Bürger, die sich für Geflüchtete einsetzen, sehr berührt haben. Ich bin Chemnitzerin und es freut mich, dass sie nach ihrem Besuch in Chemnitz heute erneut meiner Heimatstadt ihren Respekt aussprechen. Den Respekt für das, was die Stadtgesellschaft seit Jahren im menschenwürdigen Umgang mit Geflüchteten leistet. Die mit einer Zeltstadt verbundenen Probleme kennt Chemnitz seit Jahren, mediale Öffentlichkeit und politische Reaktionen in der Landespolitik allerdings gibt es erst, seitdem auch in Dresden Zelte für Flüchtlinge stehen.
Die Staatsregierung will, dass die Frage von Flucht und Asyl als gemeinsame Aufgabe von Politik, Verwaltung und Bevölkerung zu begreifen ist. Ja, natürlich. Eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen.
Allerdings sieht die Realität noch anders aus:
Bis heute erreichen uns aus den Städten und Landkreisen fast täglich Hilferufe, die vor allem das nach wie vor unkoordinierte Handeln der Oberen Unterbringungsbehörde thematisieren.
Wir stehen heute vor einer Situation, in der das nicht vorsorgende Handeln bezüglich der Unterbringungskapazitäten zu extremen Schwierigkeiten in den Kommunen führt, die langfristige Unterbringungs- und Kommunikationskonzepte erarbeitet haben und diese umsetzen wollen.
Vertreter von Immobilienfonds mit leerstehenden Gewerbeflächen (Baumärkte) im Portfolio ziehen durch Städte und Landkreise und bieten ihre Schrottimmobilien an. Wollen die nicht, zieht man weiter zum Land. Und ja, die Chemnitzer Oberbürgermeisterin hat recht: alles, was ein Dach hat, wird zur Zeit vom Freistaat angemietet. So kann keine koordinierte Unterbringung gelingen und auch ihre Erklärung, Herr Staatsminister Ulbig, hat nicht zur Aufhellung der Frage beigetragen, was sie künftig besser machen wollen.
Ich bin viel im Land unterwegs und ich kann Ihnen sagen, um das Vertrauensverhältnis zum Innenminister ist es in den kommunalen Verwaltungen Sachsens nicht gerade gut bestellt. Auch wenn Frau Köpping den Lenkungsausschuss lobt, wirkliche Durchsetzungskraft hat er nicht, von Handlungsvollmacht ganz zu schweigen.
Der kurzfristige Handlungsbedarf ist offensichtlich.
Wir brauchen unbedingt eine Optimierung der Abläufe:
Die katastrophalen Bedingungen in den Zeltstädten, Turnhallen und sonstigen Notunterkünften müssen beendet werden. Ab Oktober brauchen wir winterfeste Unterkünfte. Wo sind diese und wann sind sie bezugsfertig? Sie, Herr Ulbig, nennen Ende Oktober als Termin. Da sind Schneeeinbrüche in Sachsen durchaus möglich.
Doch das allein reicht nicht. Wie schaffen wir es, zu einer Logistik der Abläufe in der Erstaufnahme zu kommen, die einen schnelleren Auszug aus den Unterkünften befördert und wie kann dann die Integration gelingen? Da gebe ich Ihnen recht, Frau Köpping.
Ich habe in Bautzen das Spreehotel besucht. Da warten Flüchtlinge aus Syrien monatelang auf die Bearbeitung ihrer Anträge. Allen ist klar, dass am Ende des Verfahrens ein Bleiberecht stehen wird. Aber ebenso monatelang ist es für diese Flüchtlinge nicht möglich, einen Sprachkurs zu besuchen. Sie können sich keine Wohnung suchen, keiner Arbeit nachgehen und der Familiennachzug verzögert sich weiter. Statt ständig populistisch nach mehr Abschiebung und Leistungskürzung zu rufen, sollte sich Sachsen dafür einsetzen, zunächst diese offensichtlich bürokratischen und lebensfremden Hürden beim Zugang zu Sprachkursen, Arbeit und Wohnung abzubauen.
Die Gesundheitsversorgung während der Zeit der Erstaufnahme muss sichergestellt werden. Vor allem traumatisierte Flüchtlingen brauchen eine angemessene Behandlung. Hier steht auch der Ausländerbeauftragte nach eigenen Ankündigungen in der Pflicht. Warum streuben sie sich weiter, in Sachsen die Gesundheitskarte einzuführen? Warum schaffen wir es nicht, das zusätzliche Engagement von Ärztinnen und Ärzten durch vereinfachte Abrechnungsverfahren mit den Krankenkassen zu erleichtern?
Welche staatsgefährdenden Wirkungen hätte eine unabhängige Asylverfahrensberatung? Bis heute erschließt sich mir nicht, warum die Koalition ablehnt, was in anderen Ländern erfolgreich praktiziert wird und zur Beschleunigung der Abläufe beiträgt. Gleiches trifft auf die Arbeit des Sächsischen Flüchtlingsrates zu. Wenn sie es heute ernst meinen, mit der gesamtgesellschaftlichen Ansprache, sollten sie auch Schluss machen mit der Stigmatisierung und Kriminalisierung der engagierten Arbeit von sächsischen Flüchtlingshilfeorganisationen.
Mittelfristig brauchen wir ein Sächsisches Flüchtlingsaufnahmegesetz, das seinen Namen auch verdient. Darin dürfen nicht wie jetzt, nur Zuständigkeiten und Abrechnungsmodalitäten geregelt werden, sondern darin müssen sich auch Standards der Unterbringung – wie Flüchtlingssozialarbeit, Lage und infrastrukturelle Anbindung oder auch der Umgang mit besonders Schutzbedürftigen wiederfinden. Sie können nicht ernsthaft davon ausgehen, dass die GRÜNE-Fraktion einer Absenkung der derzeit ohnehin schon niedrigen Standards allein wegen der Schaffung von zusätzlichen Kapazitäten zustimmen wird.
Hinsichtlich der Kommunikation in die Bevölkerung brauchen wir auch einen ehrlichen Umgang mit Fakten. Sie, Herr Innenminister, begründen einen Großteil ihrer inakzeptablen Vorschläge bezüglich des Asylrechts mit dem Verweis darauf, dass zwei Drittel aller Asylanträge abgelehnt werden. Aber ich weiß nicht, wo sie diese Zahl herhaben. Die bereinigte Schutzquote liegt derzeit bei 47,8 Prozent, d.h. Jeder Zweite erhält bereits im behördlichen Verfahren eine Aufenthaltserlaubnis. Dazu kommen die abgelehnten Asylsuchenden, z.B. aus Afghanistan, die in Deutschland geduldet werden. Ca. zehn Prozent Erfolgsquote bei Klageverfahren erhöhen die Schutzquote auf über 50 Prozent. Diese Zahlen müssen sie doch zur Kenntnis nehmen. Und die Schutzquote wird sich zu Recht weiter erhöhen. Sie als Innenminister können sich doch nicht die Argumente derer zu Eigen machen, die Abwehr von Flüchtlingen statt der Durchsetzung des Grundrechts auf Asyl und Einhaltung der völkerrechtlichen und humanitären Verpflichtungen Deutschlands wollen. Sie sind dafür da, den Rechtsstaat zu verteidigen, das ist ihr Job und den sollten sie ausfüllen. Die Frage, wer bleiben darf, wird nicht am Stammtisch oder auf der Straße entschieden.
Zu den Forderungen hinsichtlich einer solidarischen, gesamteuropäischen Flüchtlingspolitik sei nur soviel gesagt. Deutschland hat sich bei den Verhandlungen um die Dublin-Verordnungen stringent gegen eine solidarische Quotenregelung ausgesprochen. Das sollten wir nicht vergessen. Heute zeigt sich, dass insbesondere die Dublin-III-Verordnung ein unsolidarisches, untaugliches und menschenfeindliches Instrument der Regulierung von Flucht ist. Die Abschaffung der Dublin-Verordnung ist daher für uns GRÜNE die Voraussetzung für eine wirklich solidarische und humane Flüchtlingspolitik in Europa.
Mit Blick auf die Zunahme rassistischer Ausschreitungen und Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte in Sachsen brauchen wir nicht nur das verbale Bekenntnis, Rechtsextremismus und terroristische Strukturen in Sachsen zu bekämpfen und mit der Härte des Gesetzes bestrafen zu wollen. Die Staatsregierung muss endlich die Tatsache anerkennen, dass wir seit Jahren ein erhebliches Problem mit offenen und latenten demokratie- und menschenfeindlichen Einstellungen in der Bevölkerung haben. Die NPD ist immer nur die Spitze des Eisbergs gewesen. Heute ist Sachsen von einem Netz rassistisch ausgerichteter Gruppierungen überzogen, die beim Thema Asyl auf die Anschlussfähigkeit ihrer Ideologie in der Bevölkerung setzen. Wenn wir das nicht zur Kenntnis nehmen, werden wir auch keine Strategie zur erfolgreichen Bekämpfung dieser Gruppierungen finden. Die Präsenz von Nazis in Heidenau hat deutlich gemacht, wo Mitglieder von verbotenen oder verfassungsfeindlichen Organisationen heute Unterschlupf finden.
Dass es die Auseinandersetzung mit rassistischen Ideologien nicht gerade erleichtert, wenn Vertreter der politischen Klasse immer wieder zu den "Tabu-Brechern" gehören, ist in Sachsen auch keine neue Erfahrung. Allerdings erwarten wir nach den klaren Worten des Ministerpräsidenten auch die Auseinandersetzung mit den Abgeordneten aus den eigenen Reihen, die meinen es sei legitim, Ressentiments aufzugreifen, ein bisschen zu hetzen und so die Grenzen des Sag- und Tolerierbaren hinauszuschieben.
Meine Hoffnung und die Erwartung der GRÜNEN-Fraktion ist, dass von dieser Sondersitzung tatsächlich das von vielen Menschen erwartete Signal zu einer endlich menschenrechtsorientierten, rechtsstaatlichen und koordinierten und ja, Herr Ministerpräsident, auch barmherzigen Flüchtlingspolitik im Freistaat Sachsen ausgeht. Den Fremden aufzunehmen, ihn zu beherbergen, ihn zu kleiden, für Essen und Trinken zu sorgen, ihm bei Krankheit zu helfen, das ist der wesentliche Kern der Barmherzigkeit. Barmherzigkeit, so Graham Greene, sollte man nicht im Voraus überlegen, sie soll wie die Liebe blind sein. Genau diese Werte der christlich-jüdischen Tradition werden in unserem Land immer wieder gern bemüht. Wann, wenn nicht jetzt, ist es geboten, auch danach zu handeln. In der GRÜNEN-Fraktion, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrte Damen und Herren des Kabinetts, hätten Sie dafür alle Stimmen.
Vielen Dank!
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