Petra Zais: Vielfalt als solche begreifen und als Chance verstehen – auch bei schulischer Integration

Redebeitrag der Abgeordneten Petra Zais zum Antrag der GRÜNEN-Fraktion:
"Schulische Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund sicherstellen" (Drs. 6/2558)
24. Sitzung des Sächsischen Landtags, 20. November 2015, TOP 9

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
bevor ich auf einige Aspekte unseres Antrags und der Stellungnahme eingehe, zunächst ein Dank an das Kultusministerium, denn die Stellungnahme lässt erkennen, dass wir hinsichtlich der Zielstellung bei der schulischen Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund zumindest partiell einig sind.
1. DaZ: Sprache als Zugang zur Gesellschaft und Teilhabe
Sowohl hinsichtlich der Lehrerausstattung als auch der Lehrerausbildung sind die bisherigen Anstrengungen nicht ausreichend, um auf die veränderte Situation adäquat reagieren zu können und das sowohl quantitativ als auch qualitativ.
Ich möchte die Anstrengungen nicht geringschätzen. Immerhin ist es gelungen, die Zahl der DaZ-Lehrstellen im Schuldienst nahezu zu verdoppeln auf heute 632.
Waren es im Schuljahr 2014/15 noch 25.671 Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, sind es heute rund 28.000.
Die Zahl der Vorbereitungsklassen stieg innerhalb eines Jahres von 291 auf 340.
Lernten im letzten Schuljahr 3.751 Schülerinnen und Schüler in diesen Vorbereitungsklassen, sind es mittlerweile über 5.000.
Angesichts dieses Anstiegs werden weitere Lehrer-Einstellungen unverzichtbar sein – doch wo sollen die neuen Lehrkräfte herkommen?
Die Ausbildungskapazitäten sind völlig unzureichend
Sachsenweit gibt es bisher lediglich EINEN Studiengang für das Lehramtserweiterungsfach DaZ mit 15 Plätzen an der Universität Leipzig. Ferner bietet Leipzig 40 Plätze für die berufsbegleitende Weiterbildung, je 25 Plätze gibt es seit Neuestem in Dresden und Chemnitz. Das ist ein Anfang, mehr nicht – es muss nachjustiert werden und das kostet Geld.
Die Blockadehaltung des Finanzministers gegenüber weiteren Stellen in einem Asylpaket III ist völlig unverständlich.
Es ist mit Blick auf die gesamtgesellschaftliche Aufgabe Integration nicht nachzuvollziehen und mehr als fahrlässig, den größten Teil der zusätzlichen Ressourcen für die Durchsetzung von Restriktion und Abschreckung Schutzsuchender einzusetzen, statt in schnellen Spracherwerb und gute Bildung der zu uns kommenden schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen zu investieren.
Die Kapazitäten sind das eine, die Inhalte (Qualität) das andere.
Mit Freude habe ich folgenden Satz in der Stellungnahme zu unserem Antrag gelesen: "Die Idee eines Deutsch-als-Zweitsprache-Moduls für alle Lehrämter ist weiter zu diskutieren".
Hier möchte ich auch auf das Interview mit Prof. Axel Gehrmann vom Zentrum für Lehrerbildung der TU Dresden vom 29. Oktober hinweisen
Die Lehrerausbildung, so sagt er deutlich, sei nicht auf das Thema Migration vorbereitet, obwohl dieses "Bestandteil moderner Gesellschaften" sei; es gäbe bisher keine Struktur dafür, DaZ-Lehrkräfte auszubilden.
Wir GRÜNE pflichten dem bei und sind überzeugt: der Migrationsaspekt gehört in die Ausbildung, in die Lehrplänen und in den Unterricht!
2. Chancengerechtigkeit in Bildung und Erziehung setzt eines voraus: Vielfalt als Chance erkennen, nicht als Bedrohung.
Es ärgert mich maßlos, wenn im Bundesfachausschuss Bildung der CDU so getan wird, als gäbe es eine Sprachmittlung außerhalb gesellschaftlicher Kontexte und als müsste man geflüchteten Kindern und Jugendlichen Werte und Normen gesondert beibringen.
Auch Sie, Herr Bienst, stoßen mit Ihrer Pressemitteilung vom 12. Oktober ins gleiche Horn: "Neben der Sprache ist die Vermittlung von Werten ebenso wichtig […]. Flüchtlinge im Kindes- und Jugendalter bedürfen auch der Orientierung: Für eine gelingende Integration ist es von großer Wichtigkeit, dass jungen Flüchtlingen in der Schule auch die Anerkennung und Akzeptanz der auf christlich-abendländischer Tradition beruhenden Rechts- und Gesellschaftsordnung vermittelt wird. Das ist das Fundament für ein friedliches Zusammenleben in Deutschland."
Ich finde, hier wird ein Bild erzeugt, dass bedrohlich wirkt und wohl auch wirken soll, was ich für fatal halte.
Nein – das Fundament für ein friedliches Zusammenleben ist die Anerkennung der Unverletzlichkeit der Würde jedes Menschen, gegenseitiger Respekt und die Anerkennung der Unterschiede.
Zum Umgang mit Vielfalt gehört auch ein umfassend verstandener Inklusionsbegriff, wie wir ihn in Punkt III. des Antrags verwenden.
Hier enttäuscht mich die Stellungnahme der Staatsregierung: es wird weiter fein säuberlich separiert, wer integriert werden soll; hier der Landesaktionsplan Inklusion, dort die Sächsische Konzeption zur Integration von Migranten – diese Trennung ist kurzsichtig.
Inklusion meint die gleichberechtigte und selbstbestimmte gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen, unabhängig von individuellen Merkmalen wie Geschlecht, Alter, Herkunft oder Religion.
Sehen sie dieses Begriffsverständnis als Einladung, Vielfalt als solche zu begreifen und als Chance zu verstehen.
Für die Suche nach Lösungen auf diesem Weg sichere ich Ihnen, Frau Kultusministerin, meine Unterstützung und die meiner Fraktion zu.