Petra Zais: Was wir erleben, sind bis tief in die Mitte der Gesellschaft hineinreichende rassistische und antidemokratische Haltungen
Redebausteine der Abgeordneten Petra Zais zur Aktuellen Debatte der GRÜNEN-Fraktion:
"Heidenau ist nur die Spitze des Eisbergs: Rassismus und Rechtsextremismus in Sachsen bekämpfen – Zivilgesellschaft stärken"
20. Sitzung des Sächsischen Landtags, 17. September 2015, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
Herr Präsident, meine Damen und Herren,
die öffentlichen Bilder von Heidenau, Dresden und Freital waren der bisherige Super-GAU in diesem schwarzen Jahr für Sachsen. Gewalttätige Angriffe auf Polizisten, Gegendemonstranten und Helfer, verbale und tätliche Angriffe auf Repräsentanten des demokratischen Staates und ihrer Institutionen und eine erschreckend hohe Zahl von Angriffen auf Asylsuchende und ihre Unterkünfte brachten den Ministerpräsidenten dazu einzugestehen, dass Sachsen ein Problem mit Rassismus hat.
Angesichts der seit 25 Jahren üblichen Verdrängungs- und Relativierungsstrategien innerhalb der sächsischen CDU ein tatsächlich bemerkenswertes Eingeständnis.
Heidenau steht aber vor allem für eine von NPD-Mitgliedern, Neonazis, Kameradschaftsmitgliedern und Hooligans gesteuerte, entfesselte Gewaltbereitschaft und Brutalität der Angriffe, die selbst Szenekenner, die sich seit Jahren mit rassistischen und Neonazistrukturen in Sachsen befassen, überraschte.
Aber Heidenau, Dresden und Freital sind nur die Spitze des Eisbergs. Sie stehen am Ende einer Entwicklung, die sich seit Jahren und auch in aller Öffentlichkeit in Sachsen vollzieht. Und sie sind, wie der Angriff auf die Tagungsstätte des Parteitags der LINKEN und die Gewaltausschreitungen bei der Legida-Demo am Montag zeigten, noch lange nicht das Ende. Sachsen rückt weiter nach rechts.
Was wir in diesem Jahr in Sachsen erleben, ist auch Ausdruck der bis tief in die Mitte der Gesellschaft hineinreichenden rassistischen und antidemokratischen Einstellungen und Haltungen, die im wissenschaftlichen Nachweis als Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bezeichnet werden. Diese anwachsende fragile Mitte ist das Rückgrat, aus dem Rechtsextremisten und Rechtspopulisten ihre Stärke ziehen. Bis heute ist es der seit 25 Jahren regierenden CDU nicht gelungen, sich zu diesem Fakt zu verhalten. Statt nach den Folgen von rassistischen Mobilisierungen für Geflüchtete und andere Betroffene rechtsmotivierter Gewalt zu fragen oder deren Perspektive einzunehmen, werden die umworben, die das Grundrecht auf Asyl ablehnen.
Was in den 1990er Jahren die "Glatzenpflege auf Staatskosten" in eigenen Jugendklubs war, ist heute die organisierte Diskussionsrunde mit besorgten Bürgern und Pegidisten im eigens angemieteten Kongresszentrum.
Heute ist Sachsen überzogen von einem Netz rassistisch ausgerichteter Gruppierungen, die offen unter dem Slogan "Nein zum Heim" beim Thema Asyl auf die Anschlussfähigkeit ihrer völkischen, antidemokratischen und antipluralistischen Ideologie bei der sächsischen Bevölkerung setzen. Der Rückgang der organisierten Neonazis kann nicht wirklich beruhigen. Denn zugleich haben wir es mit einer Zunahme von temporären und klandestinen rechtsextremen Strukturen zu tun, die sich, begünstigt durch soziale Netzwerke, der Beobachtung durch den Verfassungsschutz entziehen.
Parteien wie die "RECHTE" oder "Der Dritte Weg" dienen als Unterschlupf für rechtsextreme Kader, gleiches gilt für Pegida und Legida. Der Dritte Weg kann ungehindert seine Handreichung – "Wie gründe ich eine Bürgerinitiative ‚Kein Asylheim in meiner Nachbarschaft’" verbreiten. Und für die Verbindung zwischen NPD, der Partei "DIE RECHTE", Hooligans und bundesweit agierenden "Autonomen Nationalisten" stehen auch die jährlich stattfindenden rechtsextremen Konzerte im vogtländischen Zobes.
Was macht den Rechtsextremismus in Sachsen so stark?
Was sind Kontexte und Gelegenheitsstrukturen, die die Entwicklung rechtsextremer und rassistischer Strukturen und Einstellungen beeinflussen?
Da ist zum Ersten die Frage:
Wie werden die Möglichkeiten, die Demokratie innerhalb des staatlichen Gewaltmonopols und des rechtsstaatlichen Handelns zu schützen, genutzt? Was hat Sachsen in dieser Hinsicht wirklich aus dem NSU gelernt?
Wir haben erhebliche Zweifel, ob alle Möglichkeiten tatsächlich genutzt werden. Es scheint, als hätte sich mit dem verpassten Wiedereinzug der NPD in den Sächsischen Landtag das Problem Rechtsextremismus für die Staatsregierung erledigt. Aber die Leute sind nach wie vor in den Kommunen verankert, sitzen in den Gemeinde- und Kreistagen.
Über Jahre wurden in Heidenau und andernorts die Strukturen auf kommunaler Ebene ausgebaut. Heidenau ist auch ein Ort, in dem sich heute eine ausdifferenzierte, subkulturelle Naziszene ungehindert versammeln kann. Und diese Strukturen können auf Unterstützer bis in die Geschäftswelt hinein zählen. Das Mobilisierungspotential, auch die Nähe zu Dresden spielt hier eine Rolle, ist enorm und dennoch kam es zu einer völligen Fehleinschätzung des Gefahrenpotentials durch die Sicherheitsbehörden.
Welche Rolle nimmt der Verfassungsschutz in dieser Gemengelage ein? Vielleicht kann diese Frage der Innenminister beantworten. Für uns ist klar, die Stärke des Rechtsextremismus hat auch mit der Schwäche des Rechtsstaates und seiner Institutionen zu tun.
Zum zweiten ist die Frage zu beantworten:
Wie hoch ist die Bereitschaft der Politik, sich für rechte Diskurse zu öffnen?
Asyl, Leitkultur und Patriotismus in den 90er und 2000er Jahren, eine Zeit, in der sich in Sachsen eher nach Links als nach Rechts abgegrenzt wurde.
Dass es die Auseinandersetzung mit rassistischen Ideologien nicht gerade erleichtert, wenn Vertreter der politischen Klasse immer wieder zu den "Tabu-Brechern" gehören, ist in Sachsen keine neue Erfahrung. Allerdings erwarten wir nach den klaren Worten des Ministerpräsidenten auch die Auseinandersetzung mit den Abgeordneten in den eigenen Reihen, die meinen es sei legitim, die Ressentiments aufzugreifen und, ganz im Sinne der Pegida-Strategie, die Grenzen des sag- und tolerierbaren hinauszuschieben.
Das wir in Sachsen eine Verschiebung der Toleranzgrenze zu Ungunsten von Fremden haben (siehe Umfrage gestern), ist auch ein Ergebnis der offenen Artikulation und Präsentation von Vorurteilen durch Pegida auf der Straße und deren Aufwertung durch rechtspopulistische Stimmungsmache in der Politik. Wer am Rechten Rand fischt, erleidet Schiffbruch – auch das ist eine Lehre aus der deutschen Geschichte. Denn was AfD, Pegida und Co. postulieren, sind keine Ängste der Mittelschicht, sondern Verbitterung und Hass. Die daraus resultierende Bedrohungsrhetorik muss entlarvt und nicht hofiert werden. Da gibt es hier in diesem Landtag durchaus noch Spielräume.
Zum dritten ist die Frage zu beantworten, wie die Zivilgesellschaft reagiert.
Hier haben wir tatsächlich Veränderungen in Sachsen. Auch das sieht man in Heidenau, Freital, Dresden und Chemnitz. Die Zivilgesellschaft ist stärker als in den 1990er und 2000er Jahren. Viele Menschen solidarisieren sich mit Geflüchteten. Sie stehen für ein positives Bekenntnis zur Solidarität, zu einer Willkommenskultur und für eine offene Gesellschaft.