Petra Zais: Wir brauchen in Sachsen endlich eine ehrliche Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus, auch als salonfähige Einstellung in der Mitte der sächsischen Gesellschaft

Redebeitrag der Abgeordneten Petra Zais zum GRÜNEN-Antrag:
"Entschlossen und effektiv gegen Rassismus und Diskriminierung vorgehen – Die Ereignisse von Hoyerswerda 1991 dürfen sich nicht wiederholen" (Drs. 6/430)
6. Sitzung des 6. Sächsischen Landtags, 28. Januar 2015, TOP 13

– Es gilt das gesprochene Wort –

Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kolegen,
die nicht mehr ganz so Jungen unter uns werden sich daran erinnern, was sich im Zeitraum zwischen dem 17. und dem 23. September 1991 in Hoyerswerda und etwas später, im Jahr 1992, in Rostock-Lichtenhagen zugetragen hat.
Hoyerswerda bildete 1991 den Auftakt zu einer Reihe von gewalttätigen fremdenfeindlichen Ausschreitungen, die im Osten seit 1991 in der Praxis vollzogen, was im Westen des Landes seit den anwachsenden Asylbewerberzahlen Anfang der 1980er Jahre als einseitiger Diskurs von Rechts – und dann aus der Mitte – verbal begonnen hatte. „Das Boot ist voll!", titelten nicht nur die Erzeugnisse der Springer-Presse, sondern viele Politiker.
„Ausländer raus!“, „Deutschland den Deutschen!“ – Neonazis standen Seite an Seite mit Jugendlichen und Beifall klatschenden Anwohnern, die sich darin einig waren, dass im Osten dieses Landes kein Platz für Vietnamesen, Rumänen oder Mosambikaner war. Es war ein Moment des Fremdschämens für mich. Es waren Bilder, die unter die Haut gingen. Der Fakt, dass für unmöglich Gehaltenes tatsächlich passiert, war für viele – auch für mich – das politische Schlüsselerlebnis nach der friedlichen Revolution.
Nie hätte ich für möglich gehalten, mit welcher Gewalt sich ein im Osten latent vorhandener Fremdenhass seine Bahn brechen kann. Und nie hätte ich für möglich gehalten, dass sich die Politik diesem gewalttätigen Votum der Straße beugt. Aber sie hat es getan, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen. Sie hat es getan, indem sie darauf reagiert hat, was der Mob auf der Straße forderte und was ein Jahrzehnt lang auch in intellektuellen und politischen Kreisen diskutiert wurde: Sie hat den Asylartikel im Grundgesetz geändert.
Nicht nur für mich, sondern für viele Menschen, die sich für Asylbewerber, für Migranten, für das Recht auf Asyl als Menschenrecht einsetzen, war dieses Nachgeben der Demokratie gegenüber der Diktatur der Straße eine schlimme, aber auch eine prägende Erfahrung. Einher ging die Änderung des Asylartikels im Grundgesetz mit einer subtilen Aufwertung von Nationalismus, von chauvinistischen Haltungen und vor allem mit einer Politik der Abwehr und Ausgrenzung gegenüber dem Fremden.
Hier in Sachsen folgten mehr als zwei Jahrzehnte politischer Ignoranz gegenüber den Ursachen der fremdenfeindlich und rassistisch motivierten Ausschreitungen von Anfang der 1990er Jahre. Es war auch eine Zeit, die davon geprägt war, dass das politische Handeln der Verantwortlichen beim Thema Asyl und Migration charakterisiert war von Restriktion. Asyl, Migration und Einwanderung wurden nicht als Chance begriffen. Hier in Sachsen hatten wir es 20 Jahre lang mit einer Politik der Abwehr zu tun.
Ich selbst habe viele Jahre lang im Mobilen Beratungsteam gegen Rassismus und Antisemitismus gearbeitet und habe Mitte der 2000er Jahre eine Befragung bei denjenigen durchgeführt, die in den Landkreisen Sachsens für die Unterbringung Asylsuchender zuständig waren. Der Satz, der mir am häufigsten begegnete, lautete: Es ist unser gesetzlicher Auftrag, es den Asylsuchenden hier so ungemütlich wie möglich zu machen, damit sie dieses Land möglichst bald verlassen und erzählen, dass es hier gar nicht so rosig ist, wie man sich das vorstellt.
Demzufolge hatten wir Unterkünfte, die häufig irgendwo am Rande der Stadt lagen oder in Wäldern. Ich denke zum Beispiel an den Erzgebirgskreis, an Schneckenstein — weit ab vom Schuss. Anfang der 1990er Jahre gab es unwürdige Zustände. Ein Bürgermeister, mit dem ich mich über Toiletten und Sanitäranlagen unterhalten habe, sagte mir: Gehen Sie doch mal in die Heimatländer; dort sieht das noch viel schlimmer aus. – Das war politischer Duktus.
Darüber hinaus verweigerte die CDU den notwendigen gesellschaftlichen Diskurs zu Rassismus und Diskriminierung. Man engte das Handeln – wir haben es heute schon gehört – auf die Bespielung junger Rechtsextremisten im Rahmen des Konzepts zur akzeptierenden Jugendarbeit ein. Biedenkopfs Worte von der Immunität der Sachsen trug man wie ein Schild vor sich her, ein Schild, hinter dem sich all diejenigen gut verstecken konnten, bei denen auf den Satz „ich habe nichts gegen Ausländer“, „ich habe nichts gegen Juden“ immer ein „aber“ folgte. Heute setzt sich dieser Satz fort, indem gesagt wird: „Ich habe nichts gegen Muslime, aber …"
Statt sich der Tatsache zu stellen, dass in Sachsen rassistische, antisemitische und islamophobe Vorurteile weit verbreitet sind und dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der Sachsen bereit ist, rechtsextreme oder rechtspopulistische Parteien und Vereinigungen gerade wegen ihres Weltbildes und wegen ihrer Ideologie zu wählen, stigmatisierte die CDU jahrzehntelang Vereine und Initiativen, die wieder und wieder diese Befunde präsentierten. Auch heute könnte man angesichts der Debatten der letzten Wochen fast den Eindruck gewinnen, dass Pegida ein willkommener Anlass zu sein scheint, die eigenen islamophoben Haltungen innerhalb bestimmter Teile der CDU zu präsentieren.
Jahrelang ignoriert wurden auch Langzeitstudien zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, unter anderem erstellt von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Diese Studien wurden als nicht relevant abgetan oder einfach nur ignoriert. In diesem sächsischen Dumpfkreis konnte sich die NPD etablieren und auch der NSU.
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich habe viel Kontakt mit Initiativen, insbesondere solchen, die sich für Asylsuchende einsetzen, unter anderem auch Kirchengemeinden und junge Leute. Die setzen natürlich große Hoffnungen auf Sie. Sie haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass Sie die Extremismusklausel abschaffen wollen. Wir hoffen, dass das bald passiert.
Wenn wir uns die sächsische Landschaft heute anschauen, dann braucht es eben keine Stigmatisierung. Es ist kein erklärungsbedürftiges Handeln, wenn sich jemand für diejenigen einsetzt, die in der Minderheit sind. Da setzen sich Leute schon per se, von vorneherein, dem Verdacht antidemokratischen Handelns aus.
Wir GRÜNE hoffen sehr, dass sich in der Koalition die Vernunft durchsetzen wird. Wir brauchen in Sachsen endlich eine kritische und ehrliche Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus, und zwar nicht nur als Phänomen der extremen Rechten, sondern als salonfähige Einstellung in der Mitte der sächsischen Gesellschaft.
Mit dem Berichtsteil unseres Antrages wollten wir auf den offensichtlichen Umstand einer Zunahme der rassistischen und fremdenfeindlichen Stimmung im Zuge der Pegida-Demonstrationen aufmerksam machen. Die Stellungnahme der Staatsregierung zeigt jedoch, dass bei den politischen Eliten der Regierung nach wie vor ein mangelndes Problembewusstsein zu diagnostizieren ist; denn die Regierung sagt, es gebe keine Problemlagen, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Stimmung entstehe, die gewalttätiges Handeln fördert. Die Realität sieht anders aus.
Seit Wochen melden sich Flüchtlingsorganisationen, Opferberatungsstellen und Migrantenverbände zu Wort, die über genau diese Stimmung und das beängstigende Klima berichten, das mit den Pegida-Demonstrationen entstanden ist. Vermehrt kommt es in unterschiedlichen Formen zu Angriffen auf Asylsuchende und auf Einrichtungen. Dem Ruf „Lügenpresse“ folgte in Leipzig die Jagd auf Journalisten.
„Report Mainz“ hat gestern in einem außerordentlich interessanten Beitrag genau diese Frage, die Teil unseres Antrages ist, aufgegriffen. Man hat recherchiert: In den drei Monaten vor dem Auftreten von Pegida gab es genau 33 Angriffe: in den drei Monaten danach waren es 76 Angriffe. Was meinen Sie, meine Damen und Herren, wie sich Migrantinnen und Migranten fühlen, wenn bei der Pegida-Demo gesagt wird: „Alle ab auf einen Lkw und dorthin, wo sie hergekommen sind!“[…] Frau Präsidentin,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrter Herr Innenminister,
ich nenne Sie mal so – nicht Versammlungsminister; daran müsste ich mich erst noch gewöhnen. Niemanden in Mölln und Solingen regt es auf, dass diese beiden Städte als Synonym für etwas Unfassbares stehen: für Brandanschläge auf Asylsuchende. Es ist tatsächlich eine sächsische Spezialität, dass man das Wort Hoyerswerda eben nicht in Verbindung bringen darf mit den Geschehnissen, weil man sonst diese Stadt stigmatisiere.
Das tun wir natürlich nicht und unser Antrag hat auch nicht das Ziel, die Stadt Hoyerswerda zu stigmatisieren. Auch, liebe Kerstin Köditz, wenn ich deine Auffassung teile, dass die Situation heute in Sachsen zum Glück eine andere ist, dass viele Zehntausende Menschen gegen diesen Hass auf die Straße gehen und sich für das Recht auf Asyl einsetzen, muss man doch sagen, dass, was die Stimmung anbelangt, ein Funken genügt, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. Darauf zielt unser Antrag. Die ganze Debatte — auch noch einmal an Sie, Herr Hartmann – hat eigentlich zum eigentlichen Thema des Antrages wenig gesagt, wie die Staatsregierung die Sicherheit der in Sachsen lebenden Asyl suchenden Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten gewährleisten will. Darauf gibt es keine Antwort und auch die Debatte hat keine Antwort gebracht.
Lieber Henning Homann, es nützt den iranischen Asylsuchenden, die in einem Asytbewerberheim sitzen, vor dessen Fenster sich betrunkene Deutsche mit Bierflasche und einem Messer aufbauen – das konnten Sie gestern Abend im Report aus Mainz sehen –‚ nichts, wenn die SPD ab dem Jahr 2016 einen Sachsenmonitor impliziert, was die Langzeitbefragungen und Beobachtungen anbelangt. Es nützt
nichts. Wir müssen jetzt handeln.
Der Sinn unseres Antrages ist, die Staatsregierung zu fragen – und die SPD gehört nun einmal jetzt dazu –: Was tut ihr, welche langfristige Strategie habt ihr, Menschen, die hier bei uns Schutz suchen, vor Verfolgung, vor Unterdrückung, vor Krieg, zu schützen? Und da kommt nichts. Deshalb muss man doch zu Recht fragen dürfen – auch in Richtung SPD –: Was habt ihr vor?
Ich nenne nur ganz wenige Punkte. Dazu gehört Ermutigung zum Engagement für Minderheiten, Ermutigung, sich gegen Ausgrenzung zu engagieren. Dazu gehört aber auch, die Lebensbedingungen der Asylsuchenden zu verbessern — und nicht eine demokratische Debatte über die Unterscheidung von unterschiedlichen Staaten, von Leuten, die zu uns kommen. Es geht darum, dass das Asylrecht ohne Relativierung als Menschenrecht hier in Sachsen artikuliert werden muss. Ich erwarte von der  Staatsregierung, dass sie das tut und dass sie das tatsächlich auch ohne Relativierung macht.