Petra Zais: Wir sind froh, dass es wieder jüdisches Leben in Sachsen gibt. Es ist unser fester Wille, dass das so bleibt.
Redebausteine der Abgeordneten Petra Zais zum Gesetzentwurf von CDU/SPD "Gesetz zum Vertrag zur Änderung des Vertrages des Freistaates Sachsen mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden" (6 Drs 4436)
30. Sitzung des Sächsischen Landtags, 16. März 2016, TOP 5
– Es gilt das gesprochene Wort –
Herr Präsident, meine Damen und Herren,
die heutige Beschlussfassung zur Anpassung des Staatsvertrages mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden ist ein Höhepunkt in der parlamentarischen Arbeit der laufenden Legislatur und sollte deshalb im Rahmen der Aussprache zum Gesetz entsprechend gewürdigt und – der Aufgabe des Parlaments entsprechend – auch kritisch betrachtet werden.
Festzuhalten ist, dass der Freistaat Sachsen mit dem 1994 abgeschlossenen und 2006 geänderten Staatsvertrag entsprechend Artikel 109 der Sächsischen Verfassung seine Verantwortung für den Erhalt des kulturellen Erbes des Judentums im Freistaat angenommen hat und der Freiheit, den jüdischen Glauben zu bekennen und auszuüben den gesetzlichen Schutz gewährt hat.
Die Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN bekennt sich ganz ausdrücklich zu den Grundintentionen des Staatsvertrages – jüdisches Leben in Sachsen ist Teil unserer Gesellschaft, deshalb müssen wir dafür sorgen, dass sich jüdisches Leben in Sachsen auch in Zukunft frei entfalten kann. Heute sind die jüdischen Gemeinden lebendige Zentren jüdischer Religion, Kultur, Bildung und Begegnung mit Ausstrahlung weit über den jeweiligen Standort hinaus. Wir sind froh, dass es wieder jüdisches Leben in Sachsen gibt. Es ist unser fester Wille, dass das so bleibt. Und ja, Wir wollen selbstbewusste, starke jüdische Gemeinden in Sachsen.
Seit Anfang der 1990er Jahre haben die Jüdischen Gemeinden in Sachsen erhebliche soziale Leistungen für die Integration von eingewanderten Juden aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion sowohl in die Gemeinden und als auch in die deutsche Gesellschaft erbracht. Angesichts der heutigen Altersstruktur wird dies soziale Aufgabe der Betreuung und Beratung an Bedeutung und Umfang zunehmen.
Die Jüdischen Gemeinden tragen mit einer vielfältigen Kultur- und Bildungsarbeit dazu bei, Verständnis für jüdische Religion und Kultur in der sächsischen Bevölkerung zu verstetigen und Begegnungen zu ermöglichen. Gemeinsam mit Schulen, Universitäten, Hochschulen und Volkshochschulen sowie vielen freien Trägern werden in einer Vielzahl von Projekten und Veranstaltungen wichtige Beiträge für die Ausprägung von Akzeptanz gegenüber anderen Religionen und Kulturen erbracht (z. B. 25. Tage der Jüdischen Kultur in Chemnitz). Die Jüdischen Gemeinden in Sachsen sind heute auch ein wichtiger Akteur der politischen Bildung und Teil des gesellschaftlichen Diskurses, insbesondere in der präventiven Auseinandersetzung mit Antisemitismus, Rassismus und Fremdenhass.
Angesichts der Herausforderungen vor denen die Jüdischen Gemeinden als Teil unserer Gesellschaft in Sachsen stehen, haben wir erwartet, dass von der Änderung des Staatsvertrages ein deutlich artikulierter, politischer Wille pro starke und selbstbewusste Jüdische Gemeinden in Sachsen ausgeht.
Dieses Signal ist leider ausgeblieben.
Da ist zunächst der Zeitpunkt der Vertragsänderung. Bereits seit 2010 versucht der Landesverband auf der Grundlage des Artikel 7 eine Anpassung des Vertrages an die veränderten Kostenstrukturen der Gemeinden zu erreichen. Trotz vieler Lippenbekenntnisse ging nichts. Der Landesverband blieb Bittsteller ohne gehört zu werden. Auch die heutige Abstimmung über den Gesetzentwurf kommt ein reichliches Jahr zu spät. Die Nachzahlung für 2015 in Höhe von 225.000 Euro ist bisher nicht in den Haushalt 2016 eingestellt.
Während in anderen Bundesländern (Thüringen, BaWü) analog der Regelungen in den Staatsverträgen mit den Kirchen jährliche Dynamisierungen vorgesehen sind, fehlt eine solche Regelung – trotz des ausdrücklichen Wunsches des Landesverbandes auch im neuen Änderungsgesetz. Seit Jahren leben die Gemeinden mit einer Unterfinanzierung des Verwaltungsapparates und steigenden Kosten für die Instandsetzung und Erhaltung der Synagogen, Gemeindehäuser, Friedhofsgebäude und Friedhöfe. Das geht zu Lasten des Personals und der baulichen Substanz wichtiger religiöser und kultureller Bauten.
Schaut man sich die Summe der Dotation an und vergleicht sie mit den Verträgen in anderen Bundesländern wird auch hier deutlich: trotz lang anhaltender guter Einnahmesituation in Sachsen, gibt der Freistaat deutlich weniger Geld pro Gemeindemitglied aus, als andere Bundesländer. Weniger als Sachsen-Anhalt, weniger als Thüringen und Brandenburg. Das ist kein Ruhmesblatt für Sachsen.
Mann kann zu Horst Seehofer stehen wie man will. Aber mit Blick auf den klaren politischen Willen zur Stärkung der Jüdischen Gemeinden, die in Bayern nie Bittsteller sind, kann sich Sachsen mehr als eine Scheibe abschneiden. Ja, es geht auch anders als nur mit ein paar dürren Worten zur Bewahrung und Pflege jüdischer Tradition und Religionsvielfalt ….
„In Bayern sind wir stolz auf unser jüdisches Kulturerbe. Wir unterstützen die jüdischen Gemeinden im ganzen Land. Dafür erhöhen wir die jährlichen vertraglichen Leistungen auf 11 Millionen Euro. Wir wollen die Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern stärken, denn sie gehören in die Mitte unserer Gesellschaft. Jüdisches Leben soll bei uns auch in Zukunft blühen und gedeihen.“ (Anpassungen 2003, 2008, 2011, 2012, 2015)
Mit den staatlichen Leistungen können die Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern laufende Aufwendungen für die Sicherheit ihrer Einrichtungen finanzieren und Aufgaben im Bereich der Kinder-, Jugend- und Familienbetreuung, der Integration neuer Zuwanderer jüdischen Glaubens oder der Kultur- und Bildungsarbeit noch besser erfüllen.“
Davon sind wir in Sachsen noch ein Stück entfernt.
Da der Vertrag trotz seiner Defizite eine Verbesserung des bisherigen Zustandes darstellt und Änderungen nicht möglich sind, wird unsere Fraktion zustimmen.
Vielen Dank!
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