Petra Zais zu sicheren Herkunftsstaaten: Die AfD verbindet mit ihrem Antrag die Hoffnung, unliebsamen Flüchtlingsbewegungen Herr zu werden

Redebeitrag der Abgeordneten Petra Zais zum Antrag
"Kosovo, Albanien und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten deklarieren; Vorrang von Geldleistungen einschränken" (AfD)
9. Sitzung des Sächsischen Landtags, am 11. März 2015, TOP 9

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
es verwundert mich ganz und gar nicht, dass die AfD die Wundererwaffe des Innenministers, Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklären lassen zu wollen, aufgreift. Augenscheinlich verbindet sie damit die Hoffnung, nach ihrer Auffassung unliebsamen und problembehafteten Flüchtlingsbewegungen Herr zu werden. Dabei scheint auch völlig egal zu sein, ob sich jeweils die Lage in den betreffenden Ländern grundlegend geändert hat. Was für diesen reflexartigen Ruf reicht, ist, dass nach Ansicht der AfD und wohlgemerkt auch des sächsischen Innenministers Markus Ulbig zu viele Menschen aus bestimmten Ländern nach Deutschland bzw. nach Sachsen kommen.
Aber, sehr geehrte Damen und Herren, die Einstufung bestimmter Länder als sichere Herkunftsstaaten passiert nicht auf Zuruf aus Sachsen, sondern unterliegt einem gesetzlich verankerten Verfahren. Wenn Sie also denken, in Tunesien war ich schon im Urlaub, dort ist es echt schön und bestimmt auch sicher, oder aus Kosovo und Albanien kommen doch ohnehin nur – um mit ihren Worten zu sprechen – ‚Wirtschaftsflüchtlinge‘, dann reicht das nicht aus für die Einstufung als sicheren Herkunftsstaat.
Art. 16 a Abs. 3 Grundgesetz (GG) sieht vor, dass per Gesetz, dem auch noch der Bundesrat zustimmen muss, Staaten bestimmt werden können, bei denen gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung praktiziert werden. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, wird anhand eines Kriterienkatalogs geprüft.
Wir GRÜNE kritisieren grundsätzlich das Konstrukt des sicheren Herkunftsstaates, da es das Recht auf Asyl massiv einschränkt, da es eine auf den Einzelfall bezogene Aufklärung der Fluchtgründe verhindert.
An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass die derzeitige Rechtsgrundlage zur Einstufung als sicheren Herkunftsstaat nicht europarechtskonform ist. Das hat der UNHCR (Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen), der das Konstrukt der sicheren Herkunftsstaaten nicht grundsätzlich ablehnt, in einer Stellungnahme vom 28. Februar 2014 zum Ausdruck gebracht.
Der UNHCR empfiehlt, zunächst die Vorgaben der neuen Fassung der Verfahrensrichtlinie umzusetzen, wenn das Konzept beibehalten und angewandt werden soll. Der UNHCR kritisiert sinngemäß, dass die aktuellen deutschen Kriterien zur Bestimmung eines sicheren Herkunftsstaates zu eng sind: Anknüpfungspunkt ist gegenwärtig allein der Begriff der ‚politischen Verfolgung‘. Nach der Genfer Flüchtlingskonvention sowie Artikel 9 der Qualifikationsrichtlinie gilt als ‚Verfolgung‘ aber jede ’schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte‘ oder eine dem gleich kommende Betroffenheit durch eine ‚Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen‘. Auch die Verletzungen wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte (WSK-Rechte) als Menschenrechtsverletzungen sowie Diskriminierungstatbestände sind zu prüfen. Weiterhin sind Verfolgungshandlungen durch nicht-staatliche Verfolgungsakteure zu berücksichtigen, was im Rahmen des verfassungsrechtlichen Begriffs der ‚politischen Verfolgung‘ allenfalls eingeschränkt gilt. […] Auch die weiteren Voraussetzungen genügen nicht den Richtlinienbestimmungen. Während nach Art. 16 a Abs. 3 GG gefordert wird, dass ‚gewährleistet erscheint‘, dass Staaten ‚auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse‘ als sicher gelten können, sieht die Richtlinie einen anderen – engeren – Maßstab vor; danach gilt ein Staat als sicher, wenn sich dies ’nachweisen lässt‘, und zwar ‚anhand der dortigen Rechtslage, der Anwendung der Rechtsvorschriften in einem demokratischen System und der allgemeinen politischen Lage‘.
Meine Damen und Herren, ich empfehle Ihnen eher den Einsatz für eine europarechtskonforme Ausgestaltung des Verfahrens – das ist doch bekanntermaßen das Steckenpferd Ihrer Partei –, also des Verfahrens zur Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten, als den Ruf nach weiteren sicheren Herkunftsstaaten.
Ich, Petra Zais, Abgeordnete im Sächsischen Landtag, kann jedenfalls nicht einschätzen, ob die in Rede stehenden Staaten den umfangreichen und tiefgründigen Anforderungen sicherer Herkunftsstaaten genügen. Ich zweifle sehr stark daran, dass irgendeine andere Person hier im "Hohen Haus" dazu in der Lage ist. Berichte von Pro Asyl, Amnesty International und anderen Menschenrechtsorganisationen zur Lage beispielsweise von Minderheiten wie Roma in den Balkanländern oder zur Lage von Homo- und transsexuellen Menschen in Tunesien lassen ganz stark vermuten, dass in diesen Ländern Menschenrechtsverletzungen nicht ausgeschlossen sind.
Beim Punkt römisch zwei Ihres Antrags habe ich den Eindruck, dass Sie nicht in unserer Zeit leben. Ihre Forderung kommt mir vor wie eine komplette Rolle rückwärts, wie die Sehnsucht zur Rückkehr in die asylrechtliche Steinzeit. Das können Sie nicht ernst meinen. Wurde gerade vom Bundesgesetzgeber der Vorrang der Geldleistung beschlossen, fordern Sie das ganze Gegenteil. Einen sachlichen Beitrag zu dieser Forderung kann ich, nein, möchte ich nicht liefern. Lassen Sie sich nur so viel gesagt sein: Ich hoffe, dass Sie niemals in die Lage kommen, in einem anderen Land, in dem es politische Kräfte wie die Ihren gibt, um Asyl bitten zu müssen. Dann würden Sie ziemlich alt aussehen. Ihre Haltung gegenüber Asylsuchenden ist arrogant und menschenverachtend.