Elke Herrmann: Die Staatsregierung hatte nur ein Ziel: Zwangsbehandlungen ermöglichen

Redebeitrag der Abgeordneten Elke Herrmann zum Gesetzentwurf:
"3. Gesetz zur Änderung des Sächsischen Gesetzes über die Hilfen und Unterbringung bei psychischen Krankheiten"
101. Sitzung des Sächsischen Landtages, 10. Juli 2014, TOP 3

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
mehr als ein Jahr nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Februar 2013 zur Nichtigkeit von § 22 Abs. 1 Satz 1 PsychKG legte die Sächsische Staatsregierung dem Landtag im Frühjahr 2014 einen Gesetzentwurf (Drs 5/14180) zur Änderung des SächsPsychKG vor. In der Anhörung vom 6. Mai 2014 zum Gesetzentwurf wurde deutlich, dass der vorgelegte Entwurf einer grundsätzlichen Überarbeitung bedarf. Dem vorgelegten Gesetzentwurf kann meine Fraktion deshalb nicht zustimmen – wenngleich er von den Praktikerinnen und den Praktikern in den Kliniken sehnlich erwartet wird.
Im Februar vergangenen Jahres hat das Bundesverfassungsgericht die Rechtsgrundlage, die eine Behandlung gegen den Willen z. B. die zwangsweise Gabe von Medikamenten in Sachsen ermöglichte, für nichtig erklärt. Warum? Das BVG hielt es für nicht hinnehmbar, dass bei einem derart schwerwiegenden Grundrechtseingriff wichtige Verfahrensgrundsätze nicht rechtlich normiert waren.
Seitdem mussten die psychiatrischen Kliniken und Fachabteilungen neue Wege gehen bzw. schmale Pfade alternativer Methoden oder Verfahren, die es schon gab, zu gangbaren Wegen ausbauen, denn Zwang war fortan nicht mehr erlaubt. Dabei wurden Erfahrungen gemacht, die zusammen mit denen anderer Bundesländer dazu führen können, eine Zwang reduzierende therapeutische Kultur zu entwickeln.
Wenn wir diese Entwicklung aufgreifen würden, könnten wir mit der Novellierung des PsychKG zwei Ziele verfolgen: einmal diese Erfahrungen einer zwangfreien Behandlung und der entsprechenden Verfahren (Behandlungsvereinbarung, gesprächsintensiv) bei der Novellierung des Gesetzes würdigen und die notwendigen Rahmenbedingungen für diesen Weg schaffen und zum anderen Regelungen zu schaffen, die eine Behandlung gegen den Willen als ultima ratio rechtssicher ermöglichen.
Mein Eindruck vom Verfahren war, dass diese beiden Wege nicht wirklich zur Debatte standen. Die Staatsregierung hatte nur ein Ziel: sie wollte Zwangsbehandlungen ermöglichen. Damit wurde eine Chance vertan: nämlich aus den Erfahrungen einer Psychiatrie, die zwangsweise ohne Zwang auskommen musste, zu lernen und das System der psychiatrischen Versorgung entsprechend weiterzuentwickeln. Das kann aber nur dann gelingen, wenn die ambulante psychiatrische Versorgung und die niedrigschwelligen Angebote so ausgebaut werden, dass eine frühzeitige Krisenintervention erfolgen kann. Eine funktionierende Komplementärversorgung hat das Potential, schweren Krisen und Notfällen, die potentiell "zwangsbehandlungsanfällig" sind, vorzubeugen (Leitung der Sozialpsychiatr. Dienste).
In der Anhörung zum Gesetzentwurf wurde mehr als einmal kritisiert, dass sich die Staatsregierung zunehmend aus der psychiatrischen Komplementärversorgung zurückzieht.
Das ist fatal für die Betroffenen!
Leider war das Verfahren nicht so angelegt, dass Betroffene ausreichend einbezogen wurden (Psychiatriebeirat). Das ist ein weiterer Grund für unsere Ablehnung des Gesetzentwurfes. Ich habe große Zweifel, ob der vorgelegte Entwurf im Einklang mit der UN-Behindertenrechtskonvention steht. Im Zusammenhang mit der psychiatrischen Versorgung im Allgemeinen und mit dem SächsPsychKG im Besonderen werden eine Reihe von Menschenrechten im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention tangiert, die es zu berücksichtigen gilt. Das sind vor allem das "Recht auf gleiche Anerkennung vor dem Recht" (Art. 12 UN-BRK), "Zugang zu Recht" (Art. 13 UN-BRK), "Freiheit und Sicherheit" (Art. 14 UN-BRK), "Freiheit vor Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe" (Art. 15 UN-BRK), "Unversehrtheit der Person" (Art. 17 UN-BRK), "Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft" (Art. 19 UN-BRK), "Zugang zu Informationen" (Art. 21 UN-BRK) und das "Recht auf Gesundheit" (Art. 25 UN-BRK). Hinzu treten das Diskriminierungsverbot auf Grund von Behinderung (Art. 5 UN-BRK), einschließlich "angemessener Vorkehrungen" (Art. 2 UN-BRK) sowie die menschenrechtlichen Prinzipien der assistierten Selbstbestimmung, der Partizipation und Inklusion (Art. 3 UN-BRK). Eine systematische Überprüfung dahingehend hat nicht stattgefunden. Vielmehr geht das Sozialministerium, unter dessen Federführung der Gesetzentwurf erarbeitet wurde, ganz lapidar davon aus, dass die UN-BRK beachtet wurde. Durch welche konkreten Regelungen und Verfahren ist dabei überhaupt nicht klar.
Ich halte die Normen im Gesetz für zu unbestimmt. Ein Leitsatz des Bundesverfassungsgerichts lautete: "Die wesentlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung bedürfen klarer und bestimmter gesetzlicher Regelung. Das gilt auch für die Anforderung an das Verfahren."
Praktiker und Praktikerinnen aus den Kliniken kritisieren genau diesen Mangel an Klarheit und Bestimmtheit der Normen zur Zwangsbehandlung, der ihre Arbeit und rechtssichere Entscheidungen im Alltag erschwert.
(Das betrifft z. B. die Frage, wann die Ankündigung der Zwangsbehandlung gem. § 22 Abs. 3 Nr. 4 zu erfolgen hat – vor Genehmigung durch das Betreuungsgericht oder danach? Ebenso unklar erscheint die Regelung, welcher Arzt bzw. welche Ärztin befugt ist, die Entscheidung über eine Zwangsbehandlung zu treffen (§ 22 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 33 "ärztliche Leitung").)
Der Gesetzestext muss insgesamt klarer und bestimmter formuliert werden, sodass alle Rechtsanwendenden – Patienten und Patientinnen, Untergebrachte, Angehörige, Verfahrenspfleger und Verfahrenspflegerinnen, Ärzte und Ärztinnen, Pfleger und Krankenschwestern in den Kliniken -, die in der Regel über keine juristische Ausbildung verfügen, wissen, welche Rechte und Pflichten aus dem PsychKG resultieren, zum Ergreifen welcher (Sicherungs- und Zwangs-)Maßnahmen das Gesetz wen ermächtigt, welcher Voraussetzungen diese jeweils bedürfen und welche Rechtschutzmöglichkeiten mit Hilfe welcher Unterstützung eröffnet werden.
Der vorgelegte Gesetzentwurf formuliert keine ausreichend rechtssicheren und menschenrechtskonformen Lösungen und lässt zentrale Fragen in einem Bereich, der mit massiven Grundrechtseingriffen verbunden ist, unbeantwortet. Vor allem: Die Bemühungen der Staatsregierung, Zwangsmaßnahmen wirklich nur als ultima ratio zuzulassen und stattdessen alternative Methoden und ambulante Angebote zu stärken, ist nicht zu erkennen. Deshalb lehnen wir den Gesetzentwurf ab.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich habe den Eindruck, dass für manche von Ihnen die von mir immer wieder zitierten Menschenrechtskonventionen eher eine Last als eine Errungenschaft sind. Aber: Die Würde des Menschen wird sich nicht automatisch als Grundlage unseres Handelns etablieren. Bedenken Sie bitte: wir sind weder zeitlich noch räumlich weit von Gräueln entfernt. Ich halte es für eine wesentliche Aufgabe der Parlamente und des demokratischen Diskurses, die Menschenwürde immer wieder bewusst als Grundlage unseres Handelns zu zitieren und damit auch weiterzutragen und zu schützen.