Elke Herrmann: Frau Clauß, Hebammen brauchen ein klares Bekenntnis zu ihrem Berufsstand

Redebeitrag der Abgeordneten Elke Herrmann zum Antrag der GRÜNEN-Fraktion "Ambulante Geburtshilfe und Versorgung durch Hebammen absichern – Ergebnisse der IGES-Studie umsetzen" (Drs. 5/9785), 63. Sitzung des Sächsischen Landtages, 27. September 2012, TOP 9

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Herr Präsident, meine Damen und Herren Kollegen,

für Mütter und Väter ist die Geburt des eigenen Kindes eines der bedeutendsten Ereignisse. Die Betreuung und Begleitung werdender Mütter und Väter vor, während und nach der Geburt ist Aufgabe der Hebammen. Die Begleitung der Geburt ist der Kernbereich ihres Berufs.
Dieser Beitrag der Hebammen bei der Geburtshilfe ist heute in Gefahr, denn immer mehr Hebammen ziehen sich aus der Geburtshilfe zurück.

Warum?:
2010 musste eine Hebamme, die in der Geburtshilfe arbeitet, eine Erhöhung ihrer Berufshaftpflicht von 56 Prozent hinnehmen und im Folgejahr einen weiteren Anstieg um 15 Prozent.
Eine Jahreshaftpflichtsumme von 4.250 Euro entspricht bei einer freiberuflichen Hebamme mit durchschnittlichem Jahres-Bruttoverdienst von rd. 24.000 Euro zwei Monatsgehältern. Ist es da verwunderlich, dass von den 3.600 in der IGES-Studie befragten Hebammen 20 Prozent häufig über eine Berufsaufgabe nachdenken und unter den ausschließlich freiberuflich tätigen Hebammen sogar 25 Prozent?
Natürlich, der Hebammenberuf ist einer mit beruflichem Ethos. Soziales Engagement, medizinische Fürsorge für Schwangere und werdende Eltern paaren sich meist mit Idealismus.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Idealismus kann kein auskömmliches Einkommen ersetzen.
Hier muss eine politische Lösung her. Das ist der erste Punkt unseres Antrags:
Entweder können die Hebammen über ihre Vergütung die Haftpflichtprämie bezahlen, dann muss die Vergütung der Hebammen entsprechend erhöht werden, und zwar so, dass unter dem Strich sowohl die Kosten der Haftpflicht, als auch ein auskömmlicher Verdienst stehen bleiben.
Da reicht die bis jetzt erreichte teilweise Übernahme der Prämienerhöhung durch die Krankenkassen nicht, es ist nur ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Gerade, am 12. September 2012 ist das Spitzengespräch zwischen den Hebammenverbänden und dem GKV-Spitzenverband gescheitert. Die Kassen bieten den Hebammen nur eine 10prozentige Vergütungssteigerung, die an "nur vage formulierte Bedingungen" geknüpft sein sollte. Das lehnen die Hebammen ab. Sie fordern 30 Prozent, was für sich betrachtet hoch aussieht. Sieht man es vor dem im IGES-Gutachten ermittelten Nettostundensatz von 7,48 Euro, ist es keinesfalls unmäßig und wird eher der verantwortungsvollen Tätigkeit einer Hebamme gerecht.

Oder wir hinterfragen die tatsächliche Höhe der Haftpflichtprämie und prüfen, welche Lösungen gefunden werden können, damit die Geburt ein bezahlbar zu versicherndes Ereignis bleiben kann.

Dass der Hebammenverband, der die Versicherung für die Hebammen abschließt, nachdem er 2011 europaweit Versicherungsunternehmen angeschrieben hatte, nur noch von einer Versicherung ein Angebot bekam, zeigt, dass es auch sinnvoll und zielführend sein könnte, bei der Versicherungswirtschaft nachzufragen. Denn aktuell gibt es für die Hebammen keinen Wettbewerb zwischen Anbietern oder eine Auswahl. Auch da ist politische Rückendeckung hilfreich.

Zum zweiten Punkt des Antrags:
Frauen haben einen Anspruch auf Hebammenleistung. Wenn meine Recherchen stimmen, gibt es aber keinen Sicherstellungsauftrag. Deshalb erlauben wir es uns, in völliger Unkenntnis darüber zu sein, wo welche Hebamme welche Dienstleistung anbietet und abrechnet und welche Dienstleistungen wo von den Frauen nachgefragt werden. Das passt nicht zusammen.

Deshalb hatte das Bundesgesundheitsministerium die IGES-Studie in Auftrag geben.
Dort wird bemängelt, dass es keine einheitliche und umfassende Statistik zu Anzahl und fachlichem Einsatzgebiet der Hebammen und zwar vor allem der freiberuflichen Hebammen in Deutschland gibt.
Die IGES Studie (s.196) führt die Daten zur Versorgungslage zusammen und identifiziert z.B.: für die Region Bautzen/Görlitz dass das Angebot im außerklinischen bzw. klinischen Bereich sowie die Erreichbarkeit der Krankenhausabteilungen bzw. die Reichweite der Hebammen unterdurchschnittlich war. Allerdings war dabei die an der durchschnittlichen Abrechnungssumme gemessene Leistungsaktivität der Hebammen überdurchschnittlich hoch.

Auch in Sachsen brauchen wir also eine entsprechende Statistik um werdenden Eltern und Neugeborenen einen guten begleiteten Start ins Familienleben zu ermöglichen.
Hier muss auch Sachsen tätig werden. Hebammen brauchen von Ihnen ein klares Bekenntnis zu ihrem Berufsstand, Frau Staatsministerin Clauß.

Wir bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.

Hintergrund:
Zur Geburt und zur Wahl des Geburtsortes durch die Eltern:
Schwangerschaft und Geburt sind keine Krankheiten, trotzdem schreitet ihre Medikalisierung ungebremst voran. Fast drei Viertel der Schwangerschaften in Deutschland sind als Risikoschwangerschaften eingestuft. Dazu genügt es schon, wenn die Schwangere älter als 35 ist. Eine weitere Spitze dieses Eisbergs ist die steigende Zahl der Kaiserschnitte. 98 Prozent der Geburten in Deutschland finden unter ärztlicher Regie statt.

Wenn werdende Eltern sich überlegen, wo und wie sie ihr Kind zur Welt bringen wollen, besuchen sie Krankenhäuser und lassen sich in aufwändigen Videopräsentationen zeigen, was Klinken in der Geburtshilfe anbieten. Die Klinikgeburt bietet das höchste Maß an Sicherheit für eine Geburt, bedeutet aber auch, dass die Gebärende sich dem Schichtbetrieb der Klinik unterwerfen muss und die Entbindung gegebenenfalls ohne eine vertraute medizinische Fachperson stattfinden muss. Diese Lücke schließen Beleghebammen. Daneben gibt es Geburtshäuser oder gynäkologische Praxen in denen ambulant entbunden werden kann und natürlich die klassische Hausgeburt. Dieses Angebotsspektrum setzt im Wesentlichen den Berufsstand der freiberuflichen Hebamme voraus.

Zur Medikalisierung:
Medikalisierung und Medizinierung von der Wiege bis zur Bahre: Schwangerschaft und Geburt als "Hochrisikogeschehen".
Eines der für Frauen wie Männer intensivsten und emotionalsten biografischen Ereignisse ist die Geburt eines Kindes. Erwartungen, Hoffnungen, aber auch Befürchtungen und Ängste bezüglich des "Ergebnisses" und nicht zuletzt auch gesellschaftliche Normen und Druck werden auf die Schwangerschaftszeit und das Geburtsgeschehen konzentriert.
Der Gesundheitszustand von Mutter und Kind spielt dabei eine zentrale Rolle. Kein Wunder, dass sich um das monatelange Geschehen eine Vielzahl von laienhaften, semi- und vollprofessionellen Anbieter vielfältiger Leistungen versammelt hat. Dazu zählen spezialisierte Ärzte, Hebammen, Pädagogen, Ratgeberverfasser und "beste FreundInnen".

Mit einem Teil der Professionalisierung von Geburt oder Geburtshilfe geht aber ein massives und einseitiges Verständnis der natürlichen Geburt als potenziell krankhaftem Hochrisikogeschehen einher, das für ein erfolgreiches Ergebnis vor allem medizintechnischer Kontrolle und ärztlicher Begleitung bedarf.
Dieser Prozess der Medikalisierung, Medizinierung und Risikokommunikation verläuft über eine Vielzahl von Stufen und Dimensionen.
Er beginnt damit, dass durch entsprechende Kriterienkataloge mittlerweile
• drei Viertel der Schwangeren in Deutschland als Risikoschwangere eingestuft werden,
• dass diesen schwangeren Frauen zahlreiche tatsächliche oder auch nur vermeintlich risikomindernde Vorsorgeuntersuchungen angeboten werden,
• schließlich rund 98 Prozent aller Geburten unter ärztlicher Regie und von zahlreichen medizinischen Interventionen (z.B. kontinuierliche Cardiotokographische Untersuchungen [CTG] der Herztöne des ungeborenen Kindes und der Wehen der Mutter sowie der risikobegründeten Intervention des Dammschnitts während der Geburt) bestimmt in Krankenhäusern stattfinden und
• wie die seit Jahren steigende Rate der Kaiserschnittgeburten in Deutschland zeigt, mit oder ohne aktive Unterstützung durch die gebärende Frau, auch immer häufiger medizinisch-chirurgisch gestaltet wird.

Diese Umdeutung eines meist natürlich perfekt verlaufenden Geschehens basiert auf einer Reihe von Nicht-, Fehl- oder Desinformationen zu denen u.a. die folgenden Komplexe gehören:
• Es wird relativ geschickt verborgen, dass für viele der angebotenen oder "zum Wohl von Kind und Mutter" für unbedingt notwendig erklärten diagnostischen und therapeutischen Leistungen oder Interventionen kein oder nur ein sehr begrenzt nachgewiesener empirischer Nutzen existiert.
• Verborgen oder wenig kommuniziert, wird aber gleichzeitig der für Mutter und Kind empirisch evidente Nutzen von bestimmten sozialen Bedingungen der Geburtsvorbereitung und der Geburt wie die so genannte "kontinuierliche Unterstützung" bzw. "continuous support" durch eine völlig unabhängige (deshalb scheiden hier auch in der Regel z.B. im Krankenhaus angestellte Hebammen aus) Person, zu der die Schwangere ein uneingeschränktes Vertrauen besitzt. Auf der verlinkten englischsprachigen Website erhält man nach einer kostenlosen Registrierung den ebenfalls kostenfreien Zugang zu dem entsprechenden Cochrane-Review und einer weiteren Fülle von wissenschaftlich gesicherten Informationen.
• Die in vielerlei Hinsicht alternative Betreuung und Versorgung von Schwangeren und gebärenden Müttern durch Hebammen ist in Deutschland als autonome Form in Gestalt von außerklinischen Hausgeburten oder Geburtshäusern seit vielen Jahren randständig und auch immer noch weitgehend unbekannt. In der klinischen Geburtshilfe sind zwar Hebammen zentral beteiligt, das Geburtsgeschehen wird aber häufig durch Mediziner und medizintechnisch bestimmt, wofür das hohe Niveau der Kaiserschnittentbindungen (vgl. zu den Hintergründen von Kaiserschnittgeburten u.a. die aktuelle Studie von Lutz und Kolip) ohne medizinische Notwendigkeit ein grober Indikator ist.
• Verborgen bleibt auch weitgehend der hohe Qualitätsstandard der primär nichtmedizinischen Geburtshilfe, der in den seit einigen Jahren (zuletzt 2004) erscheinenden "Qualitätsberichten" der "Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe e. V. (QUAG)" nachvollzogen werden kann.

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