Elke Herrmann: Kürzung der Jugendpauschale um ein Drittel zeigt fatale Auswirkungen

Redebeitrag der Abgeordneten Elke Herrmann zur Aktuelle Debatte der Fraktion DIE LINKE zu: ‚Hilfe für die Jugendhilfe! Verantwortung der Sächsischen Staatsregierung bei der Ausstattung der Kinder- und Jugendhilfe in Sachsen‘
92. Sitzung des Sächsischen Landtages, 12. März 2014, TOP 4

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren,
die Kürzung der Jugendpauschale um ein Drittel im Jahr 2010 zeigt mehr und mehr ihre fatalen Auswirkungen in Sachsen. Trotz allem verkündet die Sozialministerin Clauß Anfang Februar die weiterhin „eingefrorene“ Jugendpauschale von 10,40 Euro pro Person als Erfolgsmeldung. Unter der Prämisse, dass die Kommunen eine Kofinanzierung in gleicher Höhe übernehmen. Doch die Kommunen sind im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit längst an den Grenzen ihrer finanziellen Belastbarkeit.
Der Sächsische Landkreistag hat im November 2013 ein „Kinder- und Jugendpolitisches Papier“ veröffentlicht, das voran stellt: „Die Kostenbeteiligung des Landes über Förderrichtlinien ist nicht ausreichend und zielführend.“ Und fordert stattdessen „eine grundlegend, pauschalierte, jährlich anwachsende Beteiligung des Freistaats in Form eines Kinder- und Jugendbudgets außerhalb des FAG. Dieses sollte 30 % der Gesamtkosten der Jugendhilfe abdecken“ (S. 3).
Der ländliche Raum ist in besonders drastischer Weise von den Kürzungen der Jugendpauschale betroffen, denn der Anteil von Kindern und Jugendlichen ist geringer als in den Städten, was es besonders schwer macht, Angebote in der Fläche zu gewährleisten. Auf den Einbruch der Angebote folgt nun ein Einbruch an Fachpersonal. Verschiedene Stellungnahmen sagen aus, dass gerade im ländlichen Raum mittlerweile kaum noch akademische Fachkräfte zur Verfügung stehen. Um eine flächendeckende Kinder- und Jugendarbeit erhalten zu können, sollte die „Sachkostenförderung für Vereine/Initiativen insbesondere im ländlichen Raum und in Gebieten ohne hauptamtliche Jugendarbeit ausgeweitet werden“ (S. 10).
Die Jugendhilfe leidet aber auch unter den jahrelangen und flächendeckenden Kürzungen der Staatsregierung im Sozialbereich. Wenn Suchtpräventions- und Beratungsstellen unzureichend ausgestattet sind, Angebote der Kinder- und Jugendpsychiatrie zurück gefahren werden, keine Schuldnerberatung mehr vor Ort ist, dann hat die Jugendhilfe keine Chance mehr vorsorgend zu agieren, sondern betreibt nur noch Nachsorge und „Erste Hilfe“. Wir brauchen mehr präventive Angebote, mehr offene Kinder- und Jugendarbeit. Das bedeutet, Jugendhilfeangebote bevor Probleme entstehen und bevor die Hilfen zur Erziehung in Anspruch genommen werden müssen (nach § 11 bis 14 KJHG).
Die Staatsregierung zeigt aber auch, dass sie kein Interesse hat, die drängenden Problemlagen im Detail zu kennen. In unserer Kleinen Anfrage "Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen drogenabhängiger Eltern" (Drs. 5/13297) haben wir gefragt, wie viele Kinder und Jugendliche seit 2009 in Obhut genommen wurden, weil deren Eltern oder jeweils ein Elternteil drogenabhängig sind oder waren. Darauf konnte die Staatsregierung auch mit Blick auf Crystalabhängige keine Auskunft geben, denn diese Daten werden von der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik bisher nicht erfasst und müssten demzufolge bei den Jugendämtern in den Landkreisen und kreisfreien Städten abgefragt werden. Den Aufwand der erforderlichen Recherchearbeit bezeichnet die Staatsregierung in ihrer Antwort als "nicht gerechtfertigt"! Dabei geht es in diesem Bereich nicht nur um Hilfe für junge Menschen, die Hilfen in Bezug auf ihre Suchterkrankung brauchen, sondern auch um Kinderschutz.
Die zahlreichen Modellprojekte, Einzelprojekte und -initiativen (flexibles Jugendmanagement, Netzwerke Kinderschutz und Frühe Hilfen, aufsuchende Familienarbeit, Schulsozialarbeit, Kompetenzagenturen, Lokaler Aktionsplan, Jugend Stärken etc.) auf Initiative des Bundes oder Landes helfen nicht, wenn sie kurzzeitig anschubfinanziert sind und zudem nur anteilig gefördert. Es braucht eine gezielte Förderpolitik der Staatsregierung im Bereich Kinder- und Jugendarbeit. Deshalb habe ich mit großem Interesse die Pressemitteilung zur Jugendpauschale von Frau Clauß gelesen, in der betont wird, dass der Freistaat Sachsen „mit der Bindung der Förderung an fachliche Vorgaben, der fachlichen Begleitung durch das Landesjugendamt und der Bestimmung der Leistungsbereiche innerhalb des SGB VIII seine Anregungs- und Steuerfunktion wahrnimmt“. Wie konkret gestaltet sich die fachliche Begleitung durch das Landesjugendamt bei der Vergabe der Jugendpauschale an die Landkreise und die kreisfreien Städte? Wie konkret steuert das Landesjugendamt bei der Vergabe der Jugendpauschale an die Landkreise und kreisfreien Städte? Und wie kontrolliert das Landesjugendamt die Umsetzung der Leistungsbereiche der Kinder- und Jugendhilfe nach SGB VIII? (Kleine Anfrage, eingereicht, bisher ohne Nummer)
Die Staatsregierung nimmt mit ihrer Spar-Politik hin, dass Kinder- und Jugendarbeit ihrem eigentlichen Auftrag nicht mehr gerecht werden kann – bei der Persönlichkeitsentwicklung, der Förderung des sozialen Engagements und letztlich auch der Demokratieförderung. Die kommunale Jugendhilfeplanung bleibt Makulatur, wenn die Gelder gerade so ausreichen den problematischen „Einzelfall“ zu betreuen, aber längst keine offene, präventive Kinder- und Jugendarbeit mehr finanzierbar ist.
Es ist eine alte Forderung der Jugendverbände und der GRÜNEN-Fraktion, dass es eine Grundfinanzierung für die Landkreise und kreisfreien Städte geben sollte. Denn eine ‚Pro-Kopf-Förderung‘ wie die Jugendpauschale führt bei rückläufiger Bevölkerungszahl zwangsläufig zu einer Ausdünnung der Strukturen und das vor allem im ländlichen Raum.

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