Elke Herrmann: Strukturelle Hindernisse, die Menschen davon abhalten, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen, beseitigen!

Redebeitrag der Abgeordneten Elke Herrmann zum Gesetzentwurf der GRÜNEN-Fraktion "Verbesserung des Zugangs zu Wahlen und zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Wahlrecht, Drs. 5/13051, 1. Lesung, 87. Sitzung des Sächsischen Landtages, 28. November 2013, TOP 3

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen,
mit dem Ihnen heute vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir den Zugang zu Wahlen zum Sächsischen Landtag und zu den Kommunalwahlen verbessern und gleichzeitig Artikel 29 der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung umsetzen. Wir wollen strukturelle Hindernisse, die Menschen davon abhalten, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen, beseitigen. Zudem wollen wir Änderungen hinsichtlich der Lage der Wahltermine und des Zugangs von Wählervereinigungen vornehmen.
Wir haben dabei Änderungen in folgenden Gesetzen geplant: im Sächsischen Wahlgesetz, im Kommunalwahlgesetz, in der Gemeindeordnung und in der Landkreisordnung.
Jetzt zu den Regelungen im Einzelnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die derzeitigen wahlrechtlichen Vorschriften, die insbesondere Menschen mit Behinderung die Wahlausübung ermöglichen sollen, greifen zu kurz. Das betrifft zuerst Wahlverfahren und Wahlmaterialien, die derzeit nicht so ausgestaltet sind, dass es allen Menschen möglich ist, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Vor allem strukturelle Hürden hindern Menschen am Gang zur Wahlurne. Dazu zählen zum Beispiel komplizierte Wahlbenachrichtigungen und Briefwahlunterlagen, unübersichtliche Stimmzettel und Hinweisschilder in kleiner Schrift, n den Wahlbenachrichtigungen fehlen außerdem Informationen, ob und welche Hilfestellungen es bei der Wahl gibt, zum Beispiel über die Assistenz, die vor Ort zur Verfügung steht.
Das betrifft dann zum Zweiten die bauliche Barrierefreiheit. Im Vorfeld der Bundestagswahlen haben uns zahlreiche Behindertenverbände darauf aufmerksam gemacht, dass zum Beispiel Wahllokale nicht barrierefrei zugänglich sind und dass die Wahlverfahren insgesamt nicht barrierefrei ausgestaltet sind.
Eine von der Evangelischen Hochschule in Dresden durchgeführte Untersuchung zeigt Ihnen, was wir damit meinen. Diese Untersuchung ermittelte für Sachsen eine Zahl von circa 202.000 funktionalen Analphabeten. Das entspricht etwa 5,45 Prozent der sächsischen Bevölkerung. Diese Betroffenen können nur sehr einfache Texte lesen und sehr schlecht oder sehr fehlerhaft schreiben. Auch älteren Menschen – das wissen wir – fällt es schwer, Informationen in sehr kleiner Schrift zu lesen. Der Anteil der über 65-Jährigen liegt in Sachsen zurzeit bei 25 Prozent.
Mit dem von uns heute vorgelegten Gesetzentwurf wollen wir sicherstellen, dass Wahlverfahren und Wahleinrichtungen und -materialen so ausgestaltet sind, dass sie für alle Menschen geeignet, zugänglich, leicht zu verstehen und zu handhaben sind.
Die bisherigen Vorschriften zur Barrierefreiheit der Wahlräume entfalten keine ausreichende Wirkung, und sie widersprechen schon der Definition von Barrierefreiheit nach Paragraf 3 Sächsisches Integrationsgesetz. Die Wahlräume sind deshalb nach Maßgabe des vorliegenden Gesetzentwurfes so auszuwählen, dass sie mit barrierefrei zugänglichem öffentlichem Personennahverkehr erreichbar und selbst barrierefrei nutzbar sind.
Die gegenwärtigen Vorschriften, die die Unterstützung durch Dritte beim Wahlvorgang vorsehen, sind zu restriktiv formuliert und berücksichtigen vor allem nicht, dass es neben dem Nicht-lesen- und Nicht-schreiben-können auch Verständnisprobleme geben kann, die eine weitergehende Unterstützung an der Wahlurne erforderlich machen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da das Recht zur Briefwahl sehr liberal ausgelegt wird, können wir auch bei Personen, die sich einer Assistenz bedienen wollen, eine entsprechende Liberalisierung gutheißen. Daher haben wir eine Regelung getroffen, die es all jenen, die eine Unterstützung bei einem ganz konkreten Wahlvorgang benötigen, ermöglicht, diese in Anspruch zu nehmen. Dabei ist dem Grundsatz der Freiheit der Wahl zu entsprechen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Sächsische Wahlgesetz und die Gemeindeordnung schließen all jene Menschen pauschal vom aktiven und passiven Wahlrecht aus, für die zur Besorgung all ihrer Angelegenheiten eine Betreuerin oder ein Betreuer bestellt ist. Ebenfalls ausgeschlossen sind Menschen, die eine Straftat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen haben und aufgrund dessen in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind. Zum Stichtag 30. Juli 2013 sind in Sachsen 4.512 Personen deshalb vom Wahlrecht ausgeschlossen. Nach geltenden menschenrechtlichen Standards sind diese Ausschlusstatbestände nicht zu rechtfertigen. Sie stehen auch im Widerspruch zu den Zielen der UN-Konvention, die seit 2009 in Deutschland geltendes Recht ist. Deshalb sollen diese Ausschlusstatbestände mit diesem Gesetz beseitigt werden.
Wir wollen die Erreichbarkeit von Wahllokalen mit dem ÖPNV zur Voraussetzung für die Auswahl von Wahllokalen erheben. Damit soll sichergestellt werden, dass auch Menschen, die kein Kraftfahrzeug haben, in der Lage sind, ein Wahllokal ohne erheblichen Aufwand oder Kosten zu erreichen, um dort von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Das wird zunehmend zu einem Problem, vor allem für ältere Menschen im ländlichen Raum, die kein Fahrzeug haben. Das bedeutet faktisch einen Ausschluss vom Wahlrecht. Die Möglichkeit der Briefwahl heilt das nach unserer Meinung nur unzureichend. Die Möglichkeit der Abgabe der Stimme im Wahllokal muss immer gewahrt bleiben.
Weiterhin – wir hatten heute früh den Versuch, einen zusätzlichen Tagesordnungspunkt aufzunehmen – wollen wir dafür sorgen, dass die Wahltermine außerhalb der Schulferien liegen. Dafür gibt es zwei Begründungen. Innerhalb der Schulferien gibt es eine geringe Wahlbeteiligung durch Abwesenheit. Außerdem sind die Wahlvorbereitungen, die die Kommunen treffen müssen, bei Terminen, die in den Schulferien liegen, deutlich erschwert.
Wir wollen mit dem Gesetzentwurf auch Wählervereinigungen zulassen. Wir wollen das Parteienmonopol bei den Landtagswahlen aufbrechen. Bisher ist die Parteieigenschaft Voraussetzung für das Antreten bei Landtagswahlen. Damit sind insbesondere Wählervereinigungen von der Wahlteilnahme ausgeschlossen. Die Wählervereinigungen spielen aber in der Kommunalpolitik in Sachsen eine große Rolle. Deshalb wollen wir den Ausschluss aufheben.
Damit im Zusammenhang steht auch, dass wir es auch Einzelbewerbern und kleinen Parteien möglich machen wollen, öffentliche Räume in den Kommunen zu nutzen. Die Kommunen sollen zum Zwecke der Wahlinformation Räume zur Verfügung stellen müssen.
Das sind im Groben die lnhalte unseres Gesetzentwurfes. Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss.
Im gestern veröffentlichten Koalitionsvertrag steht unter „Transparenter Staat“: „Wir wollen rechtliche Hemmnisse bei der Ausübung des Wahlrechts für Analphabeten und Betreute abbauen.“ Ich denke, das ist eine gute Grundlage für die Diskussion zu unserem Gesetzentwurf.
Vielen Dank.

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