Elke Herrmann zur sozialen Lage von Kindern und Jugendlichen in Sachsen

Staatsregierung verweist nur auf Worte – Diese Kluft, die zwischen Worten und Taten klafft, ist groß und schmerzlich
Redebeitrag der Abgeordneten Elke Herrmann zur Großen Anfrage "Soziale Lage von Kindern und Jugendlichen in Sachsen" (SPD) in der 45. Sitzung des Sächsischen Landtages, 24.11., TOP 2
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
die SPD-Fraktion bietet mit Ihrer Großen Anfrage "Zur Sozialen Lage von Kindern und Jugendlichen" eine Grundlage, um Worte und Taten der Staatsregierung gegenüber zu stellen.
Die Bertelsmann Stiftung liefert mit dem Onlineportal  www.wegweiser-kommune.de eine deutschlandweite Datenbasis zur sozialen Lage. Sachsen ist dabei mit einer Kinderarmutsquote von 24.1% nach Sachsen-Anhalt (30%) und Mecklenburg-Vorpommern (28,3%) trauriger Spitzenreiter in Deutschland. Die Daten deutschlandweit aber auch innerhalb von Sachsen zeichnen ein trauriges Bild.
Die UN-Kinderrechtskonvention wurde am 20.11.1989 ratifiziert. 2009 feierten wir deren 20. Geburtstag. Mit der Ratifizierung haben sich die Regierungen verpflichtet, eine kindergerechtere Welt zu schaffen. Heere Worte, doch die Taten lassen zu wünschen übrig.
Auch im 3.Sächsischen Kinder und Jugendbericht von 2009 war in Teil I "Bedingungen des Aufwachsens und ihr Einfluss auf individuelle Bildungschancen junger Menschen in Sachsen" im Kapitel 3 "Zum Zusammenhang von Lebenslage und Bildungschancen" die wirtschaftliche Situation von jungen Menschen und ihren Familien in Sachsen ein Thema. Die Kommission hatte damals festgestellt (Ebd. S. 49), dass sich in Sachsen eine gravierende soziale Spaltung andeutet, die eben gerade weil sie vor allem Kinder betrifft, «deshalb dringend einer angemessenen gesellschaftlichen und politischen Bearbeitung bedarf».
Aufwachsen in öffentlicher Verantwortung «zu sichern, bedeutet auch in Sachsen, die Ursachen von Armut bzw. Armutsgefährdung zu bekämpfen und parallel dazu Rahmenbedingungen zu schaffen, die betroffene Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung unterstützen und beispielsweise nachteilige Auswirkungen auf individuelle Bildungsplanungen von vornherein verhindern.» (Ebd. S. 49)
Kinder- und Jugendberichte werden von einer Stellungnahme der Staatsregierung flankiert. Das Landesjugendhilfegesetz hat dazu festgelegt, dass diese Stellungnahme die «notwendigen eigenen Forderungen» der Staatsregierung «aus dem Bericht» enthalten soll.
Was macht die Staatsregierung, sie verweist auf Worte: (Vgl. S. 8) «Die Staatsregierung hat in ihrer "Konzeption zur Vermeidung von Armutsrisiken und zur Förderung von Teilhabechancen in Sachsen" (Juni 2007) eine Reihe von landespolitischen bzw. administrativen Aufgaben vorgestellt, die weiterhin einer konsequenten Umsetzung bedürfen.»
Frau Clauß welche Taten sind diesen Worten gefolgt?
Diese Kluft, die zwischen Worten und Taten klafft, ist groß und schmerzlich.
Auch in den Antworten auf die Fragen wird das deutlich:
z.B. Gefragt nach den Maßnahmen, mit denen die Staatsregierung den «z.T. ungenügenden Einfluss des Elternhauses auf den Bildungserfolg möglichst klein zu halten» versucht. (vgl. Frage 7.20; S.39) verweist die Staatsregierung zu Recht darauf, die Eltern bei der «Pflege und Erziehung der Kinder» stärken zu wollen.
Das ist richtig – aber was ist, wenn Eltern ihre Rolle als Partner der Kitas und Schulen nicht wahrnehmen können oder wollen. Sie sprechen von Schulkonferenzen und Schulfördervereinen und Klassenlehrern und Beratungslehrern die in Erziehungsfragen helfen oder in Problemsituationen als Ansprechpartner zur Verfügung stehen.
Sie verweisen auf das Modellprojekt "Familienbildung in Kooperation mit Kitas" ein schönes Projekt – aber bei der Umsetzung haperte es dann. Wie kann das ohne zusätzliche Ressourcen für Kitas laufen?
Schon der Bildungsplan sollte in den Kitas aus den vorhandenen Ressourcen umgesetzt werden. Auch bei der Familienbildung wird das erwartet. Und das in einem Bundesland, das keinen Spitzenplatz bei den Betreuungsrelationen einnimmt.
Fazit – gute Worte bei den Taten beschränken sich leider auf ein gutes Modellprojekt, bei dem die Implementierung dem Selbstlauf überlassen wird.
Wir sind gespannt, wie das beim Modellprojekt "Erziehungspartnerschaft – Kooperation von Familienbildung und Schule" (2008-2011) ausgehen wird.
Bei dieser und auch bei vielen anderen Antworten fällt auf, dass sie einfach aufzählen, was ihnen gerade einfällt. Wenn sie wirklich etwas verändern wollten, müssten sie überprüfen, was sie mit den Modellprojekten und Maßnahmen tatsächlich erreicht haben. Das ist mein erster Punkt.
Eine Wirkungsanalyse oder Evaluation fehlt völlig. Sie überschütten uns mit einer Aufzählflut, um zu suggerieren, es passiert doch was. Ganz im Sinne von Tucholskys Gedicht "Worte und Taten":
"Wenn einer bei uns nur etwas sagt,
ist’s gar nicht mehr nötig, dass er was wagt.
Er muss nur reden, verkünden, bullern –
ihr werdet schon alle nach Hause kullern."

Mein zweiter Kritikpunkt bezieht sich auf das, was sie gerade nicht aufzählen. Weshalb fällt Ihnen bei möglichen Maßnahmen, um den Bildungserfolg vom Elternhaus zu entkoppeln nicht die Schulsozialarbeit ein? Ist da ihr Ressortdenken so übermächtig?
Mein dritter Kritikpunkt – wo bleibt bei Ihren Erwägungen das Recht des Kindes und des Jugendlichen auf Bildung?
20 Jahre UN-Kinderrechtskonvention – sind das nur Worte?
Wo bleiben die Taten?