Johannes Lichdi: CDU und FDP wollen die Bestandsdatenabfrage zur Standardmaßnahme machen

Redebeitrag des Abgeordneten Johannes Lichdi zum Gesetzentwurf "Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes des Freistaates Sachsen, zur Änderung des Sächsischen Verfassungsschutzgesetzes und zur Änderung des Sächsischen Versammlungsgesetzes sowie zur Änderung weiterer Gesetze", (Drs. 5/12799), 88. Sitzung des Sächsischen Landtages, 17. Dezember 2013, TOP 4

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich muss es am Anfang noch einmal sagen: In Zeiten von NSA, in denen wir wissen, dass nicht nur der amerikanische Geheimdienst, sondern auch der deutsche und andere europäische Geheimdienste im Grunde den gesamten elektronischen Kommunikationsverkehr aufzeichnen und auswerten, ist es geradezu niedlich, wenn wir uns hier im Sächsischen Landtag über die Bestandsdatenabfrage unterhalten und rechtsstaatliche Grundsätze austauschen und uns dann wechselseitig um die Ohren hauen, dass der eine oder andere Paragraf vielleicht so oder so hätte gestaltet werden müssen. Wir vollziehen hier ein etwas jämmerliches Schauspiel, und es passiert genau das, was ich in diesem Hause schon einmal so genannt habe: Es geht im Grunde darum, dass wir so etwas wie eine Rechtsstaatsattrappe aufführen, aber eigentlich in der Sache nichts ändern können.
Nichtsdestotrotz müssen wir bei der Feinarbeit bleiben und auch dieses Gesetz kritisch prüfen; aber wir dürfen die zentralen Baustellen nicht vergessen. Wenn es um eine Bestandsdatenabfrage in Sachsen geht, dann horchen wir natürlich auf; denn wir alle erinnern uns,1Ie an die größte Bestandsdatenabfrage, die bekanntermaßen außerhalb der NSA, außerhalb des BND usw. stattgefunden hat, nämlich die vom 19. Februar 2011.
Es ist bezeichnend für Ihr Rechtsstaatsverständnis sowie für das Rechtsstaatsverständnis der Kollegen von Herrn Biesok, der hier wieder den Rechtsstaatsverteidiger gemimt hat, dass ihm das keine Reaktion, noch nicht mal ein Wort wert ist. Deshalb sage ich es noch mal: Über 55.000 Personen wurden hier mit Bestandsdatenabfragen überzogen, um sie zu identifizieren. Bei ihnen war von Anfang an klar, dass sie eben keiner Straftat verdächtig sind und auch keine Gefahren verursacht haben.
Also, was Sie hier wollen – und das beschreiben Sie hier —‚ ist im Grunde die Legalisierung einer Praxis einer Standardmaßnahme, die die Polizei nach Belieben ausführen soll, und im Grunde ist das dem überhaupt nicht angemessen.
Herr Kollege Biesok, ich gebe Ihnen recht, dass die Staatsanwaltschaft Dresden, das Amtsgericht Dresden und leider auch das Landgericht Dresden der Meinung waren, dass dieser Vorwand, es handle sich um eine strafprozessuale Bestandsdatenabfrage, gebilligt wird. Allein das führt nicht dazu, dass das tatsächlich richtig interpretiert wird, und es zeigt vor allem die Mentalität der sächsischen Staatsanwaltschaft, die auch eine Strafermittlungsbehörde ist, und der sächsischen Gerichte, denen grundsätzlich die Dimension dessen, was bei der Bestandsdatenabfrage passiert, nicht bekannt ist.
Genau diesen Behörden wollen wir – sei es auch zur Gefahrenabwehr – dieses Instrument nicht in so weitem Maße, wie Sie es wollen, zur Hand geben. Darum geht es einfach.
Ich habe eine Kleine Anfrage gestellt. Sie haben im Jahre 2013 in einem Vierteljahr allein 380 Bestandsdatenabfragen gemacht. Das heißt, wir müssen damit rechnen, dass wir ohnehin in Sachsen bis 1.500 bzw. 2.000 polizeiliche Bestandsdatenabfragen im Jahr haben. Das zeigt für mich ganz deutlich, dass es sich in der Praxis tatsächlich um eine Bestandsdatenabfrage handelt.
Wenn Sie darauf verweisen, dass Sie ja im Grunde eigentlich nur die bisherige Rechtslage auf der Grundlage des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 24.01 .2012 novellieren wollen, dann unterschlagen Sie gezielt, dass das Bundesgesetz, in Kraft seit 01.07.2013, die Bestandsdatenabfrage wesentlich erweitert hat, und Sie nehmen diese Erweiterung gleich mit. Aber über diese Erweiterung hat das Bundesverfassungsgericht eben gerade noch nicht entschieden, und Sie wissen wahrscheinlich auch, dass der von uns benannte Sachverständige Starostik dort gerade eine erneute Verfassungsbeschwerde eingereicht hat, und wir wünschen ihr viel Erfolg.
Zum Begriff der Bestandsdaten. Herr Kollege Biesok, ich habe es auch schon im Ausschuss angesprochen; Sie haben es gerade wieder zitiert. Sie irren, die Begründung irrt. Natürlich stehen im Paragraf 95 die von Ihnen zitierten Daten. Allerdings verweist Paragraf 95 auf den Paragrafen 3 Nr. 3 des Kommunikationsgesetzes, und danach sind alle Daten, die auf der Grundlage des privatrechtlichen Verhältnisses zwischen Provider und beispielsweise dem Inhaber eines Mobilfunkgerätes gespeichert sind, Bestandsdaten, und wir haben die Sorge, dass es sich alles andere als um harmlose Registerdaten handelt, wie das Verfassungsgericht – ich denke, nicht ganz zu Recht 2012 angenommen hat, sondern dass es wesentlich weiter geht. Es handelt sich hier um Daten, die durchaus in Kernbereichsnähe sind, Beispiel: Erfassung von IP Adressen. Wenn eine IP-Adresse identifiziert wird, wird natürlich zugleich auch die Seite identifiziert oder bekannt bzw. ist in diesem Zusammenhang enthalten, sodass zwangsläufig auch immer Kommunikationsinhalte betroffen sind.
Das gleiche Problem haben wir bei den Zugangscodes, bei PIN und PUK. Sie haben hier im Plenum gesagt: Wir wollen an die Schlüssel heran. Aber warum wollen Sie an die Schlüssel heran? Ich nehme Ihnen nicht ab, dass Sie nicht deshalb an die Schlüssel heran wollen, weil Sie eigentlich an die Inhalte heranwollen. Ich konzediere, dass Sie hier auf Anraten der Sachverständigen nachgebessert und eine hohe Eingriffsschwelle für die Kommunikationsinhalte eingebaut haben.
Im Übrigen betrachten wir das als Erfolg der Arbeit unserer Fraktion, da wir erst die Anhörung beantragt haben, die Sie von der Koalition überhaupt nicht durchführen wollten. Hier hat es also etwas gebracht. Aber ich bleibe dabei: Es ist viel mehr beabsichtigt – wenn nicht bei Ihnen, Herr Biesok, so doch bei Ihrem Kollegen Herrn Hartmann und den Kollegen von der CDU und der Polizei.
Nein, meine Damen und Herren, Sie wollen die Bestandsdatenabfrage zur Standardmaßnahme machen, und, wie die Kolleg(inn)en Bartl und Friedel gesagt haben, schon für eine einfache Gefahr für Sicherheit und Ordnung. Das heißt, schon bei einer Gefahr einer Ordnungswidrigkeit soll die Polizei die Bestandsdaten abfragen dürfen. Das ist überhaupt keine Eingriffsschwelle. Das heißt auf Deutsch: Immer wenn die Polizei es für richtig hält, kann man das machen. Und dass Sie das dann auch so handhaben werden, wissen wir.
Kurz zur Benachrichtigung. Es ist einfach, an die rechtsstaatlichen Grundsätze und Maßstäbe zu erinnern: Überwachungsmaßnahmen müssen grundsätzlich offen und dürfen nicht heimlich erfolgen.

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