Johannes Lichdi: Justizminister Dr. Martens fährt Justiz auf Verschleiß und spielt rhetorisch mit falschen Karten

Redebeitrag des Landtagsabgeordneten Johannes Lichdi zur Fachregierungserklärung zum Thema  „Justiz in Sachsen: Garant für einen modernen Rechtsstaat“
83. Plenarsitzung am Mittwoch, dem 19. September 2013, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrte Damen und Herren,
I. Angebliche Einflussnahme auf Unabhängigkeit der Justiz
Justizminister Martens kritisiert den Versuch der Einflussnahme auf die Justiz. Er spielt damit wohl auf unsere Aktuelle Debatte zum Prozess gegen Pfarrer Lothar König an. Ich sage Ihnen deutlich, diesem Vorwurf lasse ich mir von Ihnen nicht bieten.
Sie bauen mal wieder einen rhetorischen Pappkameraden auf, den Sie dann mit großem Getöse in der Pose des einzig wahren Rechtsstaatsverstehers abschießen. Was haben wir kritisiert und was kritisieren wir? – Dass die sächsische Polizei und Staatsanwaltschaft mit großem öffentlichen Getöse eine Hausdurchsuchung in Diensträumen eines Pfarrers vornehmen lässt, dort als durchschlagendes Beweismittel eine St.-Pauli-Fahne sicherstellt, dann den Prozessbeginn anderthalb Jahre verzögert und dann kommt im Prozess raus, dass die Polizei systematisch entlastende Aufnahmen unterschlagen hat und die Staatsanwaltschaft dies aufgrund schlampiger Arbeit nicht bemerkt hat. Das ist allerdings ein Justizskandal, für den die Minister Ulbig und Martens verantwortlich sind.
Wir dulden es nicht, dass Sie sich und die von Ihnen weisungsabhängige Staatsanwaltschaft hinter der Unabhängigkeit der Justiz verstecken! Herr Dr. Martens, Sie spielen mal wieder rhetorisch mit falschen Karten!
Ich sage Ihnen ganz offen: Ihre Berufung auf die "Unabhängigkeit der Justiz" durch Vertreter dieser schwarz-gelben Koalition und aus Vertretern der Justiz hat in den letzten Jahren einen bitteren Beigeschmack erhalten. Ich erinnere an die unsäglichen und ehrenrührigen Attacken des sächsischen Richtervereins, aber auch des OLG-Präsidenten Hagenloch und des Generalstaatsanwalts Fleischmann auf den Sächsischen Datenschutzbeauftragten, die, wenn vielleicht auch nicht von Ihnen persönlich, Herr Justizminister, so doch offensichtlich aus dem schwarz-gelben Establishment orchestriert wurden. Die genannten Herren irren eben, wenn sie Justizentscheidungen letztlich der öffentlichen Debatte und Kritik entziehen wollen. Das ist keine Majestätsbeleidigung, sondern Ausübung der Meinungsfreiheit und auch notwendiges Korrektiv.
Ein Rechtsstaat braucht die kritische Auseinandersetzung um Rechtspositionen und da lasse ich mir als gewählter Abgeordneter nicht das Recht absprechen, eine öffentliche Debatte zu führen. Ich schreibe keinem Richter in Sachsen die Urteile vor, bin in keiner Dienstherrenstellung, sodass eine Einflussnahme auf konkrete Entscheidungen offensichtlich ausgeschlossen ist. Von der Staatsregierung und Ihnen, Herr Justizminister, kann man das nicht so klar sagen. Ihnen untersteht die Justiz und Ihr Haus entscheidet über Karrieren und Beförderungen. Solange wir nicht endlich die Selbstverwaltung der Justiz einführen, solange stehen Sie im Verdacht der Einflussnahme, nicht die frei gewählten Abgeordneten!
Im Übrigen ist mir als Rechtsanwalt das Agieren der Dresdner Gerichte im Fall der Funkzellenabfrage nun wirklich bekannt. Ich halte es tatsächlich für einen Skandal, dass die Gerichte Anwälten noch nicht einmal Akteneinsicht in die Anordnungen der Funkzellenabfrage gewähren. Ich nenne das eine bewusste rechtsstaatswidrige Vorenthaltung von Justizgewährleistungsrechten. Wir werden sehen, wie das Bundesverfassungsgericht entscheiden wird.
Das Amtsgericht Dresden tut sich ebenfalls keinen Gefallen, wenn es meine Fraktion, die nach Urteilsspruch in einer die Öffentlichkeit wesentlich interessierenden Frage dieses Urteil – wohlgemerkt anonymisiert – erhalten will, erst wochenlang hinhält und dann mit fadenscheinigen Gründen ablehnt.
Und noch eines: Sie betonen, dass die Staatsanwaltschaft gleich gegen rechts und links vorgehe. Dann finde ich es aber verwunderlich, dass bis zum heutigen Tage nach meiner Kenntnis kein einziger Prozess gegen die Neonazis stattgefunden hat, die das Wohnprojekt "Praxis" und die Polizeistation in Dresden-Plauen angegriffen haben. Wieso nur? – Nur Ermittlungsschwierigkeiten oder eine andere Prioritätensetzung? Es ist doch die Wahrheit, dass die Staatsschutzabteilung bei Herrn Schär nicht anlässlich der Verfahren gegen kriminelle Vereinigungen der Neonazis wie etwa Sturm 34 aufgestockt wurde, sondern erst als es darum ging die friedlichen Platzbesetzer des 19. Februar 2011 zu kriminalisieren.
Und schließlich eine Anmerkung in eigener Sache: Was soll ich eigentlich von einer Staatsanwaltschaft halten, die im Januar 2013 meine Immunität aufheben lässt und bis heute nicht Anklage gegen mich erhoben hat? Geht es hier auch nur um Bestrafung durch Einleitung von Ermittlungsverfahren, die dann nicht zu Ende geführt werden?
II. Kritik an anlassloser Überwachung
Sehr geehrter Herr Staatsminister, wir GRÜNE werden Sie unterstützen, wenn Sie sich gegen anlasslose Überwachungen gegen Unverdächtige wenden. Allerdings hätten Sie auch in der Handygate-Affäre deutlichere Worte finden müssen. Ja, Sie haben einen Gesetzentwurf in den Bundesrat eingebracht, Sie vergaßen zu erwähnen, dass unsere GRÜNE-Bundestagsfraktion ebenfalls einen Entwurf eingebracht hat, allerdings einen besseren. Sie vergaßen auch zu erwähnen, dass auch der sächsische Entwurf von den schwarz-gelben Ländern nicht unterstützt wurde. Sagen wir’s mal so: wir haben hier noch eine gemeinsame Aufgabe.
Ihre Bundesratsinitiative entbindet Sie nicht von der Verantwortung, vor Ort eine verfassungsgemäße Praxis durch Strafverfolgungsbehörden sicherzustellen. Wir wissen, dass weder die „Handreichung“ an die Polizei noch die nachträgliche quartalsmäßige Mitteilung der FZA an den sächsischen Datenschutzbeauftragten dazu geführt hat, dass die ’niFZA‘ nicht standardmäßig auch bei Versammlungen und einer hohen Anzahl von Betroffenen durchgeführt wird, die keinerlei Anlass gegeben haben, ins Visier von Polizei und Staatsanwaltschaft zu geraten. Wir wissen, dass auch am 13. Februar 2013 wieder eine FZA in Dresden stattfand; es wurden 137.000 Verkehrsdatensätze erhoben und 236 Anschlussinhaber ermittelt. Auf meine Kleine Anfrage Drucksache 5/11361 erklären Sie mir, dass die Anzahl der unbeteiligten Dritten noch nicht festgestellt werden könne, weil man erst am Ende der Ermittlungen wisse, wer von den 236 Anschlussinhabern Unbeteiligter sei. Ich halte diese Praxis für nicht verfassungskonform.
Wenigstens kann ich in Ihrer Rede Spurenelemente von Kritik am Vorgehen der NSA, an Prism und Tempora erkennen. Sie haben recht, wenn Sie ausführen, dass die Datenschutzgrund-VO, die auf EU-Ebene verhandelt wird, deutlich nachgebessert werden muss, um Grund- und Bürgerrechte zu wahren. Aber warum nennen Sie nicht auch die Datenschutz-RL, die ja für den Bereich der Polizei gilt? Und wissen Sie nicht, dass davon die Geheimdienste gar nicht erfasst werden? Dazu müssen wir erst eine EU-Zuständigkeit begründen. Hier wären Sie als Europaminister glaubwürdiger, wenn Sie sich sachkundiger äußern würden!
III. Stellenabbau ohne Konzept für den demografischen Wandel
Bis zum Jahr 2025 sollen nach dem Willen der CDU/FDP-Koalition 1.125 Stellen in der Justiz wegfallen. 61,5% der in der sächsischen Justiz tätigen Richter und Staatsanwälte gehen bis zum Jahr 2030 in den Ruhestand. Die Zahl der Amtsgerichte ist in Sachsen von 40 im Jahr 1992 auf 25 im Jahr 2013 gesunken. Sie, sehr geehrter Herr Kollege Martens, haben die „Abschaffung“ des Landgerichts Bautzen entgegen verfassungsrechtlicher Bedenken und entgegenstehender Interessen der Sorben zu verantworten.
Jede Diskussion um die Ausstattung der Gerichte und Staatsanwaltschaften hat sich an verfassungsrechtlichen Vorgaben zu orientieren. Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt die staatliche Pflicht zur Justizgewährung. Jeder hat Anspruch auf ein gerechtes, zügiges und öffentliches Verfahren. In Sachsen wartet man immer noch – wir fragen das regelmäßig ab – durchschnittlich ein Jahr und vier Monate auf ein erstinstanzliches Verwaltungsgerichtsurteil; beim OVG sind es sogar 20,5 Monate – so die Antwort auf eine Kleine Anfrage (Drs. 5/11080) für den Berichtszeitraum 2012. Damit belegt Sachsen im Bundesländervergleich immer noch einen hinteren Rang. Gerade dieser Gerichtszweig muss aber leistungsfähig sein und eine zügige Überprüfung von Behördenentscheidungen ermöglichen.
Wir nehmen zur Kenntnis, dass die derzeit 72 Verwaltungsrichter in Sachsen im Jahr 2012 mehr Verfahren erledigten als eingegangen sind, nämlich 7.054 Erledigungen bei 6.889 Neueingängen. Ob dies der Beginn einer neuen Entwicklung ist und von dem Interesse getragen ist, die Leistungsfähigkeit dieses Gerichtszweiges zu stärken, muss sich erst noch zeigen. Wir bleiben skeptisch; aktuell werden die Bedarfszahlen neu berechnet.
Seit Jahren fordert die GRÜNE-Fraktion Gegenmaßnahmen, um der Überlastung der Gerichte abzuhelfen und die Altersstruktur zu verbessern. Herr Dr. Martens verweigert sich, mittel- und langfristig Personalentwicklungskonzepte und Einstellungskorridore zu schaffen und verlagert damit die Probleme auf seine(n) Nachfolger(in). Sie haben jetzt nach unserem langem Drängen endlich auch mal ein paar Worte zur Frage der Altersstruktur der sächsischen Richterschaft gefunden. Sie führen aus:
„Schließlich müssen wir uns schon bei Aufstellung des nächsten Doppelhaushalts darüber Gedanken machen, wie wir die Stellenpläne der Gerichte und Staatsanwaltschaften so ändern, dass über die wenigen Altersabgänge der kommenden Jahre hinaus Nachwuchs im höheren Dienst eingestellt werden kann.“
Ich wünsche einen herzlichen guten Morgen: Das fordern wir seit vier Jahren. Allerdings ist Ihre Aussage so nebulös, dass sie sich einer Bewertung entzieht. Das ist zu wenig, Herr Justizminister!
IV. Zur schwarz-gelben Rechtspolitik
Noch ein paar Sätze zur schwarz-gelben Rechtspolitik:
Erstens: Wir sind froh, dass Ihr Koalitionspartner die im Koalitionsvertrag vereinbarte und von Ihnen als angebliches „Bürokratieabbauprojekt“ forcierte Abschaffung des Widerspruchsverfahrens als außergerichtlichen Rechtsschutz für Bürgerinnen und Bürger verhindert hat.
Zweitens: Wir glauben Ihnen, dass Sie bei der Novellierung des Polizeigesetzes Schlimmeres verhindert haben, Sie haben aber Eingriffsbefugnisse der Polizei erweitert, ohne bürgerrechtlich gebotene Verfahrenssicherungen einzubauen – und das haben sowohl der sächsische Datenschutzbeauftragte in einer Stellungnahme als auch Sachverständige bestätigt.
Drittens: Sie haben mit dem sächsischen Versammlungsgesetz in verfassungswidriger Weise verbotene Orte als versammlungsfreie Zonen eingerichtet. Dies zeigt auch Ihre begrenzte Reichweite als Justizminister und Politiker: Wenn Ihr Oberchef Fidel Zastrow einen populistischen Einfall hat, dann haben auch Sie zu springen.
Viertens: Sie und Herr Biesok haben Ihrer Ankündigung, die Aussagen im Versammlungsgesetz zur Videoüberwachung von Versammlungen an die aktuelle Rechtssprechung anzupassen, bisher keine Taten folgen lassen. Auch ein Armutszeugnis Ihrer begrenzten Reichweite.
Fünftens: Ihre großspurig angekündigte “Staatsmodernisierung“ erschöpft sich im Abbau von Behördenstandorten und der Ausweitung des elektronischen Rechtsverkehrs. Für Letzteres haben Sie durchaus meinen Respekt, aber das bleibt ein verwaltungsorganisatorischer Erfolg, den jede Regierung erzielen würde.
Mein Fazit: ein paar Krümel auf der Habenseite, aber nichts Durchschlagendes – das ist zu wenig, wenn man sich selbst immer noch als Bürgerrechtspartei bezeichnet.
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