Michael Weichert: Politik der Staatsregierung hat den ländlichen Raum in den letzten 20 Jahren als Wohn- und Arbeitsort denkbar unattraktiv gemacht

Redebeitrag des Abgeordneten Michael Weichert zum Antrag "Sicherung des Berufsnachwuchses in Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft" (Drs. 5/5002) in der 36. Sitzung des Sächsischen Landtages, 25.05., TOP 5
Dank Fachkräftemangel haben junge Menschen viele Angebote bei der Berufswahl – Die Politik der Staatsregierung hat den ländlichen Raum in den letzten 20 Jahren als Wohn- und Arbeitsort denkbar unattraktiv gemacht
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
"Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, werd‘ ich nun nicht los!" Meine Damen und Herren, der Koalition geht es beim Thema Fachkräftesicherung in der Land- und Forstwirtschaft ähnlich wie dem hilflosen Zauberlehrling bei Goethe.
In der Stellungnahme der Staatsregierung stehen sie alle drin – die Rede ist von den vielen Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Ausbildung, von all den Projekten, mit denen Jugendliche dazu bewegt werden sollen, einen land- oder forstwirtschaftlichen Beruf zu erlernen. Und trotzdem finden sich zu wenige, die Lust darauf haben, in der Land- und Forstwirtschaft zu arbeiten. Warum ist das so?
Meine Damen und Herren, schauen Sie sich doch mal an, was die Politik in den letzten 20 Jahren aus dem ländlichen Raum Sachsens gemacht hat!
Da eine richtige Entwicklungsstrategie bis heute fehlt und an deren Stelle nur Allgemeinplätze verlautbart werden, dreht sich die Abwärtsspirale im Vogtland, in Nordsachsen oder in der Oberlausitz weiter und weiter.
Unsinnige überdimensionierte Straßenneubauprojekte sind die hilflose Antwort der Staatsregierung auf die Herausforderungen bei der Gestaltung des Freistaates außerhalb der Ballungszentren. Und weil die Politik des "Schneller-Weiter-Höher" zum Grundverständnis der Regierungskoalition gehört, unterstützen CDU und FDP auch die industrialisierte Form der Landwirtschaft mit Massentierhaltung, welche schwer mit den Erwartungen vieler Jugendlicher an das Berufsbild "Landwirt" in Einklang zu bringen ist.
Dazu kommen harte Arbeit bei Niedriglöhnen, die nicht selten zu prekären Beschäftigungsverhältnissen führen, und die monotonen Tätigkeiten in der industrialisierten Landwirtschaft. Die hohe Gefahr, zumindest in den Wintermonaten arbeitslos zu sein, trägt ebenfalls nicht dazu bei, die Attraktivität eines landwirtschaftlichen Berufes zu erhöhen.
Meine Damen und Herren, kommen wir jedoch zurück zum eigentlichen Übel. Stellen Sie sich vor, Sie wären jung und auf der Suche nach einem abwechslungsreichen und spannenden Leben. Der Fachkräfte- bzw. Lehrlingsmangel macht es Ihnen zudem leicht, denn Sie können sich die passende Lehrstelle heraussuchen – Angebote gibt es genug. Würden Sie in den ländlichen Raum ziehen,

  • wo es kaum noch Gleichaltrige gibt,
  • wo das kulturelle Highlight der abendliche Treff an der Tankstelle ist,
  • wo man schon mal sechs Monate auf einen Facharzttermin warten muss, weil es von denen viel zu wenige gibt,
  • wo der ÖPNV so weit ausgedünnt wurde, dass man ohne eigenes Fahrzeug schlicht aufgeschmissen ist,
  • wo junge Männer keine Frauen finden, weil die vor ihnen fortgezogen sind und man es schließlich bei "Bauer sucht Frau" versuchen muss,
  •  und – wenn man doch eine Frau gefunden hat – man keine Schule am Ort hat, in die man die Kinder schicken kann?

Meine Damen und Herren, diese Situation ist eine Folge der Ideenlosigkeit, mit der hier in Sachsen Politik für den ländlichen Raum machen. Seit 20 Jahren höre ich Sätze wie: "Wir müssen die knapper werdenden öffentlichen Mittel so einsetzen, dass sie möglichst zu selbsttragenden Entwicklungen führen".
Nur bisher hat mir keiner gesagt, wie er das konkret machen will. Stattdessen ist die Botschaft: Wir haben weniger Geld, wollen damit aber mehr machen, ohne etwas an den Strukturen zu verändern. Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass es so nicht funktioniert.
Ausbaden müssen es diejenigen, die in unseren ländlichen Regionen leben und arbeiten, so z.B. die Bauern, die sich um den Nachwuchs sorgen müssen, obwohl aus Sicht der Bevölkerung der Beruf des Landwirtes zu den drei Berufen gehört, die für die Gesellschaft am wichtigsten sind. Dies belegt eine Umfrage des renommierten Meinungsforschungsinstitutes emnid vom Frühjahr 2007. Um an diesem Widerspruch etwas zu ändern, ist allerdings auch die Landwirtschaft selbst gefragt. Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner, stellte kürzlich fest:
"In den Grünen Berufen liegt sehr viel Zukunft. Landwirtschaftliche Ausbildungsberufe sind modern, attraktiv und zukunftsorientiert."
Herr Sonnleitner fordert die Bundesagentur für Arbeit im gleichen Atemzug auf, diese Botschaft stärker zu kommunizieren. Die Verantwortung auf andere abwälzen, wird aber nicht reichen. Wann fängt auch der Bauernverband an, mehr für ein positives Image der Landwirtschaft zu tun?
Die Begrenzung von Belastungen zur Erhöhung der Arbeits- und Lebensqualität durch mehr Zeitautonomie und Mitbestimmung wären ein sinnvoller Schritt. Sonst bleibt die Landwirtschaft für viele Jugendliche keine Option. Dabei gibt es hier vielfältige Einstiegsmöglichkeiten für Jugendliche mit Hauptschulabschluss.
Die "grünen Berufe" eignen sich hervorragend als Trainingsfeld für soziale und fachliche Kompetenzen. Jugendliche können körperliche Stärken zeigen, sich austoben und ein Feingefühl für Umgebung, Natur und Menschen entwickeln. Sie können lernen, sich selbst über unmittelbare Rückmeldung der Natur wahrzunehmen. Dafür ist es notwendig, in die Schulen zu gehen.
Es gibt heute Kinder, die kennen die Durchschnittstemperatur im Usambaragebirge, wissen aber nicht, welche Getreidesorten auf dem heimischen Acker stehen. Wie sollen sie Interesse an der Landwirtschaft entwickeln?
Meine Damen und Herren, irgendwo habe ich den schönen Satz gelesen: "Junglandwirte sind der Motor der Zukunft für die ländlichen Räume". Dem stimme ich zu und möchte an dieser Stelle jenen Menschen danken, die vor Ort mit guten Ideen, Kreativität und Engagement – trotz teils widriger Bedingungen – an der Entwicklung der ländlichen Regionen arbeiten.
Die FRAKTION BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird dem Antrag der Koalition zustimmen, auch wenn er die eigentlichen Probleme nicht beim Namen nennt und Punkt 1 von der Staatsregierung bereits weitestgehend beantwortet wurde.
Punkt 2 jedoch ist noch offen und wir sind bereits gespannt auf die darin geforderte Konzeption!