Miro Jennerjahn: Mit Gesetz zur Bildungsfreistellung Rechte der Arbeitnehmer stärken

Redebeitrag des Abgeordneten Miro Jennerjahn zum Gesetzentwurf der GRÜNEN-Fraktion "Gesetz über den Anspruch auf Bildungsfreistellung im Freistaat Sachsen" (Drs. 5/6323), 62. Sitzung des Sächsischen Landtages, 26. September 2012, TOP 6

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Herr Präsident!
Meine Damen und Herren Kollegen!

Der vorliegende Gesetzentwurf zur Bildungsfreistellung hat zu durchaus lebendigen und zum Teil emotionalen Debatten in der Anhörung und den Ausschussbefassungen geführt. Das ist positiv und ich danke allen, die sich daran beteiligt haben.

Ich möchte im Rahmen der 2. Lesung des Gesetzentwurfes nicht mehr so sehr auf die allgemeine Bedeutung lebenslangen Lernens eingehen. Ich denke, darüber sind wir uns einig und haben auch im Rahmen der Anhörung einiges dazu gehört. Ich möchte vielmehr einige Aspekte des Anhörungsverfahrens heraus stellen und beleuchten.

Ich habe Verständnis dafür, wenn auf Arbeitgeberseite zunächst mit Skepsis auf ein solches gesetzgeberisches Vorhaben geblickt wird. Ich glaube aber auch, dass die Anhörung viele der Zweifel insbesondere auch durch die sehr konkreten Erfahrungen aus Rheinland-Pfalz, die uns dort präsentiert wurden, widerlegt hat.

Die Anhörung hat noch einmal ganz deutlich gezeigt, dass sich unser Gesetzentwurf im Spannungsfeld zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen bewegt. Das ist uns bewusst und meine Fraktion hat sich an der Stelle ebenso bewusst dafür entschieden, die Rechte der Arbeitnehmer zu stärken.

Allerdings – und das ist wichtig – ohne dabei die Interessen der Arbeitgeber zu vergessen, insbesondere der Kleinbetriebe in Sachsen, durch die ja die sächsische Wirtschaftslandschaft überwiegend geprägt wird. Mit der Ausgleichszahlung für Unternehmen mit bis zu neun Angestellten haben wir mögliche Herausforderungen solcher Betriebe durch die Bildungsfreistellung im Blick und schaffen eine Kompensation.

Vielfach wurde angemahnt, keinen Rechtsanspruch zu schaffen, sondern auf tarifvertragliche Regelungsmöglichkeiten hingewiesen. Ich glaube für Sachsen ist dies kein erschöpfender Weg, dem steht die Kleinteiligkeit der sächsischen Wirtschaft entgegen. So sind auch nur 16 Prozent der Unternehmen in Sachsen solchermaßen gebunden, 84 Prozent sind über solche Regelungen nicht erfasst.

Mehrfach wurde auch auf die geringe Reichweite von Bildungsfreistellungsgesetzen verwiesen. Lediglich ein bis zwei Prozent der Arbeitnehmer würden von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Das ist richtig, allerdings schafft so ein Gesetz auch keine Verpflichtung an Bildungsfreistellungsmaßnahmen teilzunehmen, sondern gibt das Recht dazu.

Etwas absurd ist es allerdings, wenn, etwa vom Wirtschaftsministerium, ein Bildungsfreistellungsgesetz für Sachsen mit dem Argument der geringen Reichweite abgelehnt wird und im gleichen Atemzug auf die Weiterbildungsschecks der Staatsregierung verwiesen wird, die, wie die Anhörung ergeben hat, von etwa 0,2 Prozent der Anspruchsberechtigten genutzt werden.

Ich bin auch davon überzeugt, dass Bildungsfreistellungsgesetz und Weiterbildungsschecks keine einander ausschließenden Instrumente sind, sondern sich im Gegenteil sinnvoll ergänzen und eine stärkere Inanspruchnahme mit sich bringen werden.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen und insbesondere noch einmal auf zwei Stellungnahmen eingehen, die uns lediglich schriftlich zugegangen sind und die zeigen, dass von Seiten der Gegner eines solchen Gesetzes bisweilen sehr schräg argumentiert wird. Gekommen sind diese Stellungnahmen allerdings nicht von Seiten der sächsischen Unternehmen, wo ich noch ein gewisses Verständnis für die Ablehnung hätte, sondern von Seiten des Sächsischen Städte- und Gemeindetags und des Sächsischen Landkreistags.

Der Sächsische Städte- und Gemeindetag malt ein wahres Horrorgemälde an die Wand und schmeißt dafür den Taschenrechner an, um eine nicht gerechtfertigte zusätzliche Belastung der kommunalen Arbeitgeber darzustellen. Und das geht so, ich zitiere:
"Würde von den 60.000 kommunalen Beschäftigten tatsächlich ein Drittel, also 20.000 Beschäftigte, den Bildungsurlaub in Höhe von fünf Tagen, wie in beiden Gesetzentwürfen vorgesehen, in Anspruch nehmen, entspräche dies einem Arbeitsausfall von 100.000 Tagen pro Jahr. Dies entspricht bei ca. 220 Arbeitstagen jährlich etwa 450 Stellen."

Nun ist es ja legitim, auf mögliche Belastungen hinzuweisen, man sollte dann allerdings auch bei der Realität bleiben. Die Nutzungsquote von Bildungsfreistellungsgesetzen habe ich zuvor schon genannt, es ist also keinesfalls zu befürchten, dass unser Gesetz zum Zusammenbruch der kommunalen Verwaltungen führen wird.

Weiter geht es dann allerdings in der Stellungnahme des SSG mit folgendem Satz: "Dabei sieht der Entwurf der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN noch nicht einmal eine Beschränkung auf ein Drittel der Beschäftigten vor."

Ich weiß nicht, welchen Gesetzentwurf der SSG dort gelesen zu haben glaubt, aber wirft man einen Blick auf unseren Gesetzentwurf in §3 Absatz 3, dann findet sich dort folgende Formulierung: "Die Bildungsfreistellung kann abgelehnt werden, wenn ihr in dem beantragten Zeitraum dringende betriebliche oder dienstliche Belange entgegenstehen. Dringende betriebliche oder dienstliche Belange liegen auch dann vor, wenn im laufenden Kalenderjahr mehr als ein Drittel der Beschäftigten eine Bildungsfreistellung in Anspruch genommen hat."
Ich hätte mir gewünscht, dass der SSG, wenn er Stellung zu unserem Gesetzentwurf nimmt, ihn dann auch richtig liest.

Aber kommen wir zum Sächsischen Landkreistag und eine Aussage, die bei mir zu einer gewissen Fassungslosigkeit geführt hat. Dort steht: "Es ist nicht einzusehen, dass der Arbeitgeber die Lasten für eine allgemeine oder politische Weiterbildung seiner Arbeitnehmer tragen soll, die letztendlich dem privaten Lebensbereich zuzurechnen sind und der Selbstentfaltung der Arbeitnehmer dienen."

Zunächst einmal hat das Bundesverfassungsgericht 1987 ganz klar geurteilt, dass es unter dem Aspekt des Gemeinwohls keinerlei Bedenken begegne, wenn Bildungsfreistellung nicht nur für berufsbildende, sondern auch für politisch bildende Veranstaltungen genutzt werde. Der technische und soziale Wandel führe zu vielschichtigen Verflechtungen zwischen Arbeits- und Berufssphäre einerseits, und Familie, Gesellschaft und Politik andererseits, somit ergäben sich zwangsläufig Verbindungen zwischen beruflicher und politischer Bildung.

Zitat aus dem BVG-Urteil: "Es liegt daher im Gemeinwohl, neben dem erforderlichen Sachwissen für die Berufsausübung auch das Verständnis der Arbeitnehmer für gesellschaftliche, soziale und politische Zusammenhänge zu verbessern, um damit die in einem demokratischen Gemeinwesen anzustrebende Mitsprache und Mitverantwortung in Staat, Gesellschaft und Beruf zu fördern."

Mich ärgert der Satz des Landkreistages umso mehr, wenn ich mir vor Augen halte, dass es sich dabei nicht um ein privatrechtliches Unternehmen handelt, sondern um eine Verwaltungsstruktur in einem demokratisch organisierten Staat. Das weist auf ein erhebliches Demokratiedefizit hin und ich finde es nicht akzeptabel, wenn der Landkreistag eine Stellungnahme nach dem Motto abliefert: Die politischen Systeme kommen und gehen, die Verwaltung bleibt.

Abschließend möchte ich noch einmal betonen: Meine Fraktion betrachtet diesen Gesetzentwurf nicht als allumfassende Lösung, um allen Herausforderungen gerecht zu werden, die mit dem Thema lebenslanges Lernen verbunden sind, sondern als einen Mosaikstein dazu.
Der Gesetzentwurf ist Teil einer Ermöglichungsstruktur. Als solches bitten wir ihn zu verstehen.
Ich bitte um Ihre Zustimmung.

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