Petra Zais: Die Frage, was gute Schule und guten Unterricht ausmacht, gerät bei den Debatten zum Lehrermangel schnell in den Hintergrund

Redebeitrag der Abgeordneten Petra Zais zum GRÜNEN-Antrag:
"Qualitätssicherung und -entwicklung an sächsischen Schulen“ (Drs. 6/3794)
27. Sitzung des Sächsischen Landtags, 03. Februar 2014, TOP 12

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
das Schulgesetz ist für den Bildungsbereich eine der grundlegenden Rechtsnormen – es trifft Aussagen zu Schulpflicht, Schularten und zur Trägerschaft und regelt Rechte und Pflichten aller an Schule Beteiligten.
In § 59a ist eine solche Verpflichtung, in dem Fall der Schulaufsicht, formuliert. Dort heißt es:
"Das Ergebnis der Erziehungs- und Bildungsarbeit und die Umsetzung des Schulprogramms werden regelmäßig überprüft. Wesentliche Bezugspunkte zur Überprüfung von Schülerleistungen und Unterrichtsqualität sind Bildungsstandards. Schule und Schulaufsichtsbehörden werden dabei durch das Sächsische Bildungsinstitut unterstützt, das Verfahren zur Feststellung der Qualität des schulischen Angebots entwickelt und durchführt."
Verbindlich ist laut Schulgesetz die Erstellung eines Schulprogramms, die Vorlage eines Personalentwicklungs- und Fortbildungskonzepts sowie die Durchführung von interner und externer Evaluation. Gleichzeitig soll das "Unterstützungssystem Schulentwicklung (USYS)", das bei der Sächsischen Bildungsagentur angesiedelt ist, Qualitätsentwicklungsprozesse an sächsischen Schulen befördern.
In Sachsen – wo sonst – ist es scheinbar problem- und widerstandslos möglich, sich über gesetzliche Regelungen hinwegzusetzen.
So war im September 2015 der Presse, und nur der zu entnehmen, dass Kultusministerin Brunhild Kurth entschieden hatte, "vorübergehend" den Bereich Externe Evaluation am Sächsischen Bildungsinstitut aufzulösen. Die verbliebenen Lehrkräfte, die in der externen Evaluation tätig waren, 24 an der Zahl, sollten vor die Klassen zurückgeholt werden, um die Unterrichtsversorgung zu gewährleisten. Jenseits der Frage, wie man zu diesem Instrument steht – dazu komme ich noch -, macht mich das Vorgehen und die Selbstverständlichkeit dieser eigenmächtigen Entscheidung fassungslos. Ob Regelungen des Schulgesetzes "ausgesetzt" werden, kann und sollte die Kultusministerin jedenfalls nicht alleine und ohne Einbeziehung des Landtags entscheiden.
Ich höre es schon, es kommt, was kommen muss, nämlich das Totschlagargument schlechthin: Lehrermangel.
Ja, der Lehrermarkt ist leer gefegt. Ja, der Unterrichtsausfall ist zu hoch. Und ja, die Absicherung des Unterrichts genießt oberste Priorität.
Ich teile diese Einschätzungen und mir ist die Brisanz bewusst. Andererseits lassen wir es zu, dass der Streit um Ressourcen seit Jahren die bildungspolitischen Debatten dominiert. Wir lassen es als Landtag, also als Gesetzgeber, sogar zum wiederholten Maße zu, dass das Schulgesetz in Teilen außer Kraft gesetzt wird.
Die Frage, was gute Schule und guten Unterricht ausmacht, gerät bei diesen Debatten schnell in den Hintergrund. Dabei ist eine Diskussion um Qualitätssicherung und -entwicklung dringend nötig, wenn sich die Staatsregierung weiterhin über beste Platzierungen in nationalen und internationalen Vergleichsstudien freuen will. Wir fordern mit unserem Antrag, dass die Staatsregierung Farbe bekennt und Stellung bezieht. Sie soll berichten, welche Instrumente und Maßnahmen der Qualitätssicherung und -entwicklung dem gesetzlichen Auftrag Genüge tun und wann und in welcher Form die externe Evaluation wiederaufgenommen werden soll.
Dass Schulen für ihre Entwicklung mehr Eigenständigkeit brauchen, ist erfreulicherweise inzwischen Konsens hier im Haus. Wichtig ist uns GRÜNEN, dass dieses Mehr an Eigenverantwortung nicht in einer Verwaltung des Mangels endet. Denn die externe Evaluation ist nicht nur eine gesetzliche Verpflichtung, sondern auch eine Unterstützung für die Schulen. Der Blick von außen kann helfen, Stärken und Schwächen zu erkennen und Entwicklungsziele zu formulieren. Läuft alles, wie es sollte, greifen Angebote aus dem "Unterstützungssystem Schulentwicklung". Es ist eben nicht per se ein Qualitätsmerkmal, dass vor jeder Klasse ein Lehrer steht.
Kultusministerin Brunhild Kurth selbst hat im November 2015 im Rahmen einer Veranstaltung der GEW eine mehrjährige "Durststrecke" angekündigt: wegen des Generationswechsels in den Lehrerzimmern, der wachsenden Zahl von Schülerinnen und Schülern in den Ballungszentren und wegen der Anforderungen zur Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund.
Gerade in dieser Zeit, in dieser "Durststrecke" sieht dann keiner mehr so genau hin, was an den Schulen passiert und wie es etwa um die Prozessqualität steht? Das halte ich nicht nur für falsch, sondern für grob fahrlässig.
Der Entwurf für ein neues Schulgesetz wurde angesprochen, das einen eigenen Paragrafen 3a zum Thema "Qualitätssicherung" enthält. Was dabei verkannt wird: die externe Evaluation, der so wichtige Blick von außen, taucht dort nur noch als Kann-Regelung auf.
Es heißt im Entwurf der Staatsregierung: "Die oberste Schulaufsichtsbehörde kann externe Evaluationen und Untersuchungen zu Schülerleistungen anordnen. Die Schulaufsichtsbehörde bestimmt die teilnehmenden Schulen." Insofern sehe ich keinen Anlass für Optimismus, dass das Thema Qualitätssicherung und -entwicklung einen höheren Stellenwert einnehmen wird als bisher, nur weil mehr darüber geschrieben steht.
Skeptisch bin ich auch, was die geplante Zusammenführung von Bildungsagentur und Bildungsinstitut in einem Landesamt für Schule und Bildung betrifft, also die Zusammenführung von Schulaufsicht und Institut für Qualitätssicherung. Für mich ist dies ein Verlust, von vermeintlichen Synergieeffekten bin ich bisher nicht überzeugt. Das wird in den kommenden Monaten zu diskutieren sein.
Was das Instrument der externen Evaluation selbst betrifft: natürlich müssen die bisherigen Ergebnisberichte und die Rückmeldungen der Schulen ausgewertet werden.
Wenn am Ende das Fazit steht, dass das Verfahren der externen Evaluation Schwächen hat, ist für mich eine Weiterentwicklung die logische Folge, aber nicht die Abwicklung. Der Kriterienkatalog für schulische Qualität im Freistaat Sachsen ist eine gute Grundlage für den Evaluationsprozess. Gleichzeitig darf das "Unterstützungssystem Schulentwicklung" nicht kaputt gespart werden.
Wenn im ganzen Freistaat Sachsen nur noch fünf Prozessmoderatoren vorhanden sind, um die Schulprogrammarbeit zu befördern, wird klar, dass wir hier über mehr sprechen als über ein Instrument, über das man unterschiedlicher Ansicht sein kann.
Ich möchte mit einem Zitat aus den Reihen der Sächsischen Bildungsagentur schließen, dass das Problem trefflich auf den Punkt bringt: "Wir sind bei der externen Evaluation mit einem Mercedes gestartet und haben dann gemerkt, dass wir uns nur einen Trabi leisten können."
Hier wünschen wir uns etwas mehr Weitblick und vor allem Debatte hier im Haus, weshalb ich um Ihre Zustimmung bitte. 
Vielen Dank!
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