Datum: 15. Juli 2020

EU-Ratspräsidentschaft – Hammecke: Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft muss eine Klimaratspräsidentschaft werden

Redebeitrag der Abgeordneten Lucie Hammecke (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktion DIE LINKE
"Die bundesdeutsche EU-Ratspräsidentschaft 2020 für die Gestaltung eines sozialen, gerechten und solidarischen Europas nutzen!" (Drs 7/2680)
12. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 15.07.2020, TOP 11

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

der 01. Juli 2020 war tatsächlich ein historischer Tag. Das letzte Mal, dass Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat, ist der 01. Januar 2007 gewesen und mehr als 13 Jahre her! Damit übernimmt Deutschland eine große Verantwortung. Eine Verantwortung zuallererst die Tagungen des Rates zu planen und zu leiten, stellvertretend für den Rat mit den anderen EU-Organen zu verhandeln und auch die Europäische Union nach außen zu vertreten.
 
Aber – und hier liegt die eigentliche Verantwortung und Chance – Deutschland hat eben auch die Möglichkeit, durch Agenda-Setting Einfluss auf die Debatten innerhalb der Europäischen Union zu nehmen. Welche Themen in dieser Zeit gesetzt, aber auch ausgelassen werden, hat einen enormen Einfluss auf die gesamteuropäische Debatte.
 
Dabei geht es bei einer Ratspräsidentschaft nie darum eigene nationalstaatliche Interessen zu stärken, sondern gemeinsame, europäische zu navigieren!
Deshalb bin ich sehr dankbar für diesen Antrag und die Möglichkeit dieses aktuelle Thema hier und heute im Plenum des Sächsischen Landtages diskutieren zu können! Denn die Europäische Union steht vor einer Menge an großen Herausforderungen, nicht zuletzt natürlich die, die vor kürzester Zeit über uns hereingebrochen ist: die Corona-Pandemie und ihre Folgen!
 
Aber auch in ihrer schieren Größe bleibt die Frage der Bewältigung der Corona-Krise eben auch nicht die einzige, große, europapolitische Aufgabe: Die Reform des EU Asyl- und Migrationspakts wartet mittlerweile seit vier Jahren auf eine dringend notwendige Einigung unter den Mitgliedsstaaten.
 
Es ist noch nie hinnehmbar gewesen, dass das Mittelmeer zum Grab für Menschen auf der Flucht wird. Der Verlust von viel zu vielen Menschenleben ist zu beklagen. Zudem sind auch noch die Zustände in den Aufnahmelagern für die Menschen in Griechenland eine humanitäre Ausnahmesituation und es sind überwiegend die NGOs, die sie notgedrungen mit Spenden und auch im Ehrenamt am Laufen halten! Das liegt auch daran, dass wir die Länder an den Außengrenzen der Europäischen Union alleine lassen! Es ist längst an der Zeit, dass sich etwas bewegt! Und dazu gehören natürlich eine solidarische Verteilung sowie ein faires und schnelles Asylverfahren für jene, die an den europäischen Außengrenzen ankommen – aber dazu gehören auch Konzepte, wie Resettlement-Programme, die die legale Einreise ermöglichen!
 
Corona hat wie eine Lupe gewirkt, welche die bereits bestehenden, gravierenden soziale Probleme innerhalb der Europäischen Mitgliedsstaaten endlich in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Debatte gebracht hat. Ich möchte an diesem Punkt einige Aspekte benennen, die zwar bereits in der sozialen Säule der Europäischen Rechte auf dem Göteborger Sozialgipfel beschlossen wurden, aber die jetzt umso dringender umgesetzt werden müssen!
 
Ich möchte dafür meinen Fokus auf vier Teilaspekte legen, angefangen bei einer europäischen Gleichstellungsstrategie. Denn wenn Corona eines überdeutlich gezeigt hat, dann dass in der Krise Frauen noch einmal überproportional mehr an Care-Arbeit übernommen haben. Erhebungen zeigen, dass sich die Zeit, die Frauen mit Kinderbetreuung verbracht haben, massiv erhöht hat, während sie bei Männern quasi gleichbleibend wenig blieb.
 
Und woran liegt das zum Teil? Dass Frauen eben meistens weniger verdienen als ihre Partner! Dieses Problem muss endlich konsequent angegangen werden. Deshalb braucht es jetzt endlich wirksame Maßnahmen, die geschlechterstereotypischen Vorstellungen in der Jobauswahl entgegenwirken und es braucht endlich Lohntransparenz!
 
Der zweite Aspekt, der auch in der sozialen Säule der europäischen Rechte eine wichtige Rolle spielt und der während der Pandemiebedingten Schulschließungen sehr sichtbar geworden ist, ist die Frage der Bildungsgerechtigkeit und der Chancengleichheit für alle Kinder! Auch hier wurde eine Schieflage sichtbar: Zwischen denen, die Zuhause Zeit, einen Computer und einen Raum für Home Schooling haben! Und auf der anderen Seite denen, die versuchen, die Aufgaben auf dem eigenem Handy zu lösen und sich außerdem noch um die kleinen Geschwister kümmern müssen? Wir müssen jedes Kind mitnehmen, von Anfang an! Das ist unsere gesamteuropäische Verpflichtung!
 
Auch die Frage nach europäischen Mindestlöhnen ist eine der Entscheidenden in der momentanen Situation! Es geht um faire Arbeitsbedingungen, gerade in Zeiten von Corona, wo wir als Gesellschaft übrigens nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa viel über sogenannte systemrelevante Berufe gesprochen haben, und damit unteranderem Menschen im Einzelhandel oder Menschen in der Pflege gemeint haben! Es geht auch, um das Problem der Ausbeutung europäischer Arbeitskräfte in deutschen Schlachthöfen, wie bei Tönnies geschehen!
 
All diese von mir beschriebenen Herausforderungen sind nur einzelne Facetten der sozialen Säule der Europäischen Rechte, die exemplarisch für weitere Herausforderungen, wie die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, der Kinderarmut, aber auch der alternden Gesellschaft im ländlichen Raum, stehen. Corona hat gezeigt: diese Maßnahmen müssen dringend gemeinsam diskutiert und Lösungen gefunden werden!
 
Liebe Kolleg*innen,
 
Sie sehen, viele Ziele, die in diesem Antrag stehen, teilen wir! Die beschriebenen Probleme sehen wir als einige der großen Herausforderungen an, die die Europäische Union in der nächsten Zeit anzugehen hat! Diesen Antrag annehmen werden wir aber trotzdem nicht und das hat verschiedene Gründe:
 
Wie ich bereits am Anfang ausgeführt habe, begann die deutsche EU-Ratspräsidentschaft am 01. Juli – und sie geht nur bis zum 31.12. dieses Jahres, danach wird sie weiter an Portugal gegeben. Wie DIE LINKE in Ihrem Antrag selbst geschrieben hat, legt die Bundesregierung im Rahmen des Vorsitzes am Beginn ihrer Amtszeit einen Arbeitsplan für die kommenden sechs Monate vor, über deren Umsetzung und die dabei erreichten Ziele sie dem Europäischen Parlament am Ende der Ratspräsidentschaft Bericht zu erstatten hat.
 
Damit dieser Antrag hier also Einfluss auf das Arbeitsprogramm haben könnte, ist es leider viel zu spät. Dieses Arbeitsprogramm – ebenso wie das gemeinsame Trio-Arbeitsprogramm Deutschlands-Portugals-Sloweniens, liegt bereits seit einiger Zeit vor und beinhaltet zum Beispiel die hier benannte Umsetzung der Grundsätze der europäischen Säule der sozialen Rechte.

Wir sind uns einig: die weitere Gestaltung eines sozialen, eines gerechten, eines solidarischen Europas muss vorangebracht werden! Aber eben auch nicht nur: auch in diesem Antrag bleibt Klimaschutz ein Thema neben Weiteren – dabei sind die Auswirkungen der Klimakrise am verheerendsten für die Schwächsten in unserer Gesellschaft. Es sind arme Menschen, die – obwohl sie am wenigsten zur Klimakrise beitragen – am härtesten von ihr betroffen sein werden. Gerade, dass die Klimakrise keine Grenzen kennt – nationalstaatliche und wenn wir so weiter machen auch, was die Auswirkungen angeht – muss Auftrag genug sein, das Thema auf der größeren Bühne für die gesamte Union zu priorisieren! Für meine Fraktion ist deshalb klar: die deutsche EU-Ratspräsidentschaft muss eine KLIMARATSPRÄSIDENTSCHAFT werden!
 
Die Corona-Pandemie hätte es uns eigentlich lehren müssen, wie wichtig die Vorbereitung auf eine Krise ist. Das war jetzt bei dieser weltweiten Pandemie schwieriger möglich, aber auch hier lernen wir momentan unsere präventiven Strukturen zu stärken – bei der Klimakrise kann aber tatsächlich niemand mehr behaupten, man hätte es nicht gewusst.
 
Die Warnungen der Wissenschaftler*innen sind eindringlich, sie warnen schon seit vor meiner Geburt, und im Jahr 2019 haben junge Menschen durch ihren Protest auf der Straße das Thema endlich endlich endlich wieder in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Debatte gerückt!
 
Gerade am jetzigen Zeitpunkt, an dem über den Mehrjährigen Finanzrahmen diskutiert wird, ist es eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, das Geld, was jetzt ausgegeben wird, in nachhaltige, in generationengerechte, in klimafreundliche Projekte zu stecken! Das sind wir den kommenden Generationen schuldig! Und wenn wir über Finanzierungsmöglichkeiten sprechen, müssen wir eben auch über die Reform des europäischen CO2-Emissionshandel sprechen und nicht nur über eine Vermögensabgabe.

Die europäische Union hat über 500 Millionen Einwohner*innen und ist ein großer Player in der Welt. Deutschland hat mit der Ratspräsidentschaft eine signifikante Verantwortung und muss sich bewusst mit aller Kraft für ein sozialeres aber eben auch für ein nachhaltigeres und klimafreundliches Europa einsetzen!
 
Vielen herzlichen Dank! 
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