Reformstaatsvertrag – Maicher: Wir wollen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk stärken, damit er sich erneuert
Redebeitrag der Abgeordneten Dr. Claudia Maicher (BÜNDNISGRÜNE) zum Gesetzentwurf der Staatsregierung: „Gesetz zum Reformstaatsvertrag“ (Drs 8/2287)
20. Sitzung des 8. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 29.10.2025, TOP 4
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
sind wir ehrlich: Dieser Reform-Staatsvertrag steht in keinem guten Licht. Die Debatte wird immer stärker zum gesellschaftlichen „Kampfgebiet“. Dass Rechtsextremisten die Anstalten unterwerfen oder zerschlagen wollen, das ist klar. Aber gerade in den letzten Wochen hören wir Bedenkliches auch im demokratischen Spektrum.
Was reitet Wolfram Weimer eigentlich, den Kampfbegriff „Zwangsbeitrag“ zu normalisieren? – Was anders ist das noch, als ein Angriff auf den demokratischen Konsens zur Notwendigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks? Als Bundeskulturminister, ernsthaft?
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann spricht mit seiner Empörung über die vermeintlich fehlende Meinungsvielfalt im NDR sicher vielen in der CDU aus dem Herzen. Nur: gehts auch ohne Verfassungsbruch? Das Einfrieren des Rundfunkbeitrags als Hebel für inhaltlichen Einfluss zu nutzen, ist ein absolutes No Go!
Aber was zählen schon Rundfunkfreiheit und journalistische Sorgfaltspflichten, wenn man sich politische Vorteile verschaffen will. Da liegt doch der Grund für den grassierenden Beitragspopulismus, auch in der sächsischen CDU.
Deshalb dürfen wir heute nur über eine halbe Reform entscheiden. Die Finanzierungsreform war Teil des Gesamtpaketes. Die verweigerte Unterzeichnung von Kretschmer, Söder und Haseloff ist nicht irgendein notarieller Akt. Das ist eine politische Blockade.
Die drei bockigen Herren haben den mühsam im Länderkreis gefundenen Kompromiss aufgekündigt, das Paket aufgesprengt, weil es ihnen nicht restriktiv genug ist. Als wäre für unsere Gesellschaft irgendetwas gewonnen, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk stärker begrenzt würde.
Natürlich ist eine Reform notwendig. Die Kritik an der Trägheit der Anstalten ist verständlich: Sie hätten viele Dinge selbst viel eher angehen können. Mehr Effizienz, Qualität statt Quote, Vielfalt und Innovation statt Vervielfältigung.
Auch wir BÜNDNISGRÜNE sehen großen Reformbedarf. Wir wollen aber eine ehrliche und konstruktive Debatte. Die wesentliche Frage ist: Wofür brauchen wir den öffentlich-rechtlichen Rundfunk heute und in Zukunft?
Die Dominanz der Big-Tech-Konzerne wächst. Einige große Plattformen fördern Desinformation und gezielte Steuerung von Information. Algorithmen verstärken Polarisierung und Verunsicherung, und drängen differenzierte Informationen in den Hintergrund. Das zieht der Orientierung der Bürgerinnen und Bürgern den Boden unter den Füßen weg. Wir dürfen das nicht zulassen!
Deshalb brauchen wir öffentlich-rechtliche Medien als gemeinwohlorientiertes Gegengewicht, als verlässliche Grundlage für die demokratische Meinungsbildung. Darüber sollten sich Demokraten klar werden, statt immer wieder zu erzählen, nur ein deutliche Reduktion des öffentlich-rechtlichen Auftrags schaffe Akzeptanz.
Akzeptanz und Vertrauen entsteht, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk die neuen Herausforderungen angeht. Dazu gehören sparsames Wirtschaften ebenso wie konkurrenzfähige Angebote. Da sind die Anstalten noch nicht. Wir BÜNDNISGRÜNE wollen deshalb den öffentlich-rechtlichen Rundfunk stärken, damit er sich erneuert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wenn es nach uns ginge, sähe dieser Staatsvertrag stellenweise anders aus: Eine wesentliche Entwicklungsaufgabe ist die Relevanz im Netz. Die Breite der Gesellschaft online zu erreichen wurde vom Bundesverfassungsgericht klar als zeitgemäßer Auftrag definiert.
Dafür braucht es einen weiten Handlungsspielraum für Audio, Video und auch Text in den eigenen Onlineangeboten der Öffentlich-Rechtlichen. Die Meinungsbildung läuft heute gerade bei den jüngeren Zielgruppen über Social Media. Und da muss man schnell sein, will man relevant sein. Der ÖRR muss auf seinen Seiten eigene Inhalte auch in Textform haben, die sich schnell gut verbreiten.
Jetzt kommt im Staatsvertrag ein rigides Textverbot außer bei engem Sendungsbezug. Also müssen erst Tonaufnahmen oder Videos erstellt werden. Das steht dem Onlineauftrag entgegen, produziert neue Ineffizienz und hilft den Presseverlagen nicht weiter.
Für deren Schwierigkeiten haben wir Verständnis, weil die großen Digitalplattformen Verwertungsmöglichkeiten abziehen. Wesentlich hilfreicher als das Verbot der Presseähnlichkeit wäre es, wenn sich Qualitätsmedien gegenseitig stärken, wenn die Digitalkonzerne über eine Digitalabgabe Qualitätsjournalismus mitfinanzieren und dieser über staatsferne Instrumente gefördert wird.
Strukturoptimierung und Effizienzsteigerung sind zentral in dieser Reform. Das ginge auch, ohne wichtige gesellschaftliche Funktion zu gefährden.
Es ist gut, wenn nicht mehr jede ARD-Anstalt macht was sie will. Durch weniger Mehrfachangebote und mehr Kooperation können Kapazitäten für innovative, non-linerare Angebote frei werden. Die Konsolidierung darf aber nicht regionale Vielfalt abbauen. Verbrauchertipps zu Handyverträgen braucht nicht jede Anstalt machen, Berichte zum Pflegenotstand vor der eigenen Haustür schon.
Gerade auch in Ostdeutschland brauchen wir regional verankerte Angebote und inhaltliche Kompetenz vor Ort. Auch das sorgt für Akzeptanz.
Effizienzsteigerung darf nicht zu lasten von Qualität und Vielfalt gehen. Der vorliegende Entwurf baut lineare Programme ab – und das bei qualitativ hochwertigen und nachgefragten Kultur- und Informationsangebote wie 3sat und phoenix. Ich weiß nicht, ob das die Akzeptanz verbessert. Wir hätten das anders gemacht.
Ich möchte aber auch sinnvolle Modernisierungsschritte im Entwurf erwähnen:
- die gemeinsame digitale Plattform von ARD und ZDF mit dem Ziel eines gemeinsamen „Public Open Space“,
- die Stärkung interaktiver Kommunikation mit verschiedenen Zielgruppen,
- die Kooperation der Anstalten untereinander & mit privaten Anbietern,
- die Deckelung der Intendantengehälter und der Sportausgaben,
- der neue Medienrat, der durch fundierte Analysen zur Auftragserfüllung dazu beitragen kann, die Debatte um Meinungsvielfalt endlich wieder zu versachlichen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
dieser Entwurf enthält wichtige Neuerungen, aber auch Schwächen. Wir können im Sächsischen Landtag den stehenden Kompromiss der Landesregierungen nicht nachschärfen. Wir BÜNDNISGRÜNE haben uns entschlossen, uns dieser Reform dennoch nicht in den Weg zu stellen und werden heute zustimmen.
Uns ist bewusst,
- dass die Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft der Länder in der Medienpolitik aufrechterhalten bleiben muss;
- dass die Reformschritte, die in den Anstalten jetzt laufen, nicht konterkariert werden dürfen;
- dass das Vertrauen in den ÖRR leidet, wenn auch diese jahrelang vorbereitete Reform auf dem letztem Meter scheitert und der Eindruck entsteht, es bleibt alles wie es ist.
Wir BÜNDNISGRÜNE springen heute ein, weil der Minderheitskoalition Verantwortung fehlt. Sie überlassen eine der wichtigsten medienpolitischen Reformen allen Ernstes einer Zufallsmehrheit.
Da drängt sich doch der Verdacht auf, dass die CDU ein Scheitern eigentlich ganz gut fände. Dieser Umgang mit einem so wichtigen Instrument für den Erhalt unserer Demokratie ist gefährlich.
Wir machen Ihr Pokerspiel nicht mit. Wir gießen nicht noch mehr Öl ins Feuer wie Ministerpräsident Kretschmer. Er hat das Reformpaket im Oktober 2024 in Leipzig als MPK-Vorsitzender mit ausgehandelt. Eine Strukturreform in Kombination mit einer planbaren und verlässlichen Finanzierung.
Und dann ist in der sächsischen Staatskanzlei die Entscheidung getroffen worden, den Finanzierungs-Staatsvertrag scheitern zu lassen. Ein unwürdiges Politiktheater, das die medienpolitische Handlungsfähigkeit der Länder untergräbt und die Probleme anheizt, die angeblich gelöst werden sollen. Das zeigt auch, dass der Ministerpräsident und sein Staatskanzleichef ihre Truppen nicht im Griff haben.
Viele in der CDU bundesweit haben verstanden, was verantwortliche Medienpolitik ist. Hier in Sachsen hat ein einzelner CDU-Medienpolitiker freien Lauf, per Zeitungsinterview einen Staatsvertrag von vorneherein zum Scheitern zu verurteilen. Da kann der Ministerpräsident noch so viel von „Inseln der Verlässlichkeit“ schwärmen, wenn er sie zu Hause nicht verteidigt.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen,
Verantwortung zu übernehmen heißt für uns als Oppositionsfraktion auch, dass wir die Kritik nicht AfD und BSW überlassen. Deshalb benennen wir die negativen Konsequenzen einzelner Regelungen klar. Wir erwarten, dass die Auswirkungen von den Ländern geprüft werden. Die Reform wird gelingen, wenn wir wieder zum demokratischen Konsens kommen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in seiner demokratischen Funktion gestärkt wird.
Vielen Dank.