Regierungserklärung − Günther: Wir brauchen eine starke Zivilgesellschaft und einen funktionierenden Rechtsstaat! – Es geht darum, Haltung zu vermitteln und durchzusetzen!
Redebausteine des Fraktionsvorsitzenden Wolfram Günther zur Regierungserklärung des Ministerpräsidenten
"Für eine demokratische Gesellschaft und einen starken Staat"
77. Sitzung des Sächsischen Landtags, Mittwoch, 5. September, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe
Kollegen! Sehr geehrte Staatsregierung!
Erst einmal ganz kurz zu Herrn Urban — ich weiß gar nicht, wo er jetzt hingerannt ist:
Sie zeigen ganz deutlich, dass Sie das Grundprinzip einer repräsentativen Demokratie nicht verstanden haben. Überlegen Sie einmal, wo die Gesetze herkommen, wo die Satzungen herkommen, die die Kommunen erlassen, die dann mit den Bürgern zu tun haben. Repräsentative Demokratie — die Bürger bestimmen das mit durch die Wahl und durch viele andere Instrumente, die sie noch haben.
Sie zeichnen hier ein Bild von einem völlig entmündigten Bürger, von einem Untertan. Das mag vielleicht in dem von Ihnen so hochgeschätzten Russland so zutreffen, aber mit Sicherheit nicht für uns. Wenn Sie hier von Kultur sprechen, die wir verteidigen wollen: Unsere Kultur manifestiert sich in unserem Grundgesetz, dort sind unsere Werte niedergelegt, und es sind nicht Sie, die diese Werte verteidigen und hochhalten. Wenn Sie hier mit Begriffen kommen wie >>Wut der Bürger<<, >>es ist bald zu spät<< und von >>Galgenfrist<< sprechen, auch das, was Sie am Anfang Ihrer Rede gesagt haben — das ist eine Wortwahl, das ist finsteres Sprech der 1930er-Jahre!
Wie Sie hier Parteiendemokratie herunterreden, Menschen, die sich engagieren — unsäglich!
Liebe Staatsregietung! Herr Ministerpräsident, Ihre Worte waren notwendig. Sie haben es an unserem Beifall gemerkt: Einen Großteil davon konnten auch wir GRÜNEN unterstützen. Aber ich muss auch klar sagen: Reichlich spät!
Die Ereignisse in Chemnitz liegen nun schon über eine Woche zurück. Ich hätte mir eine so klare Positionierung gleich am Sonntag gewünscht. Ich erwarte von einem Ministerpräsidenten, dass er dazu in
der Lage ist.
Sie haben oft vom >>starken Staat<< gesprochen; auch Kollege Hartmann hat diesen Begriff immer wieder hochgehalten. Ein starker Staat ist genau nicht das, was wir erlebt haben, auch nicht bei den Ereignissen am Sonntag, als Journalisten sich ihrer körperlichen Unversehrtheit nicht mehr sicher sein konnten und Menschen allein wegen ihres Aussehens gejagt wurden. Das hat stattgefunden. Das sind Szenen, die schlichtweg nicht passieren dürfen. Wenn man vom „starken Staat“ redet, dann muss auch bei solchen Ereignissen ein starker Staat da sein, der das Recht durchsetzt.
Ich merke auch überhaupt nichts von einem Einräumen von Fehlern. Die Polizei hat schon nach der ZDF-Geschichte eingeräumt, dass nicht alles gut gelaufen ist. Herr Hartmann hat es hinbekommen. Sie haben sich hier nochmals hingestellt und gesagt, das sei alles wunderbar gelaufen und Sie hätten die Situation im Griff gehabt. Wenn man den Staat wirklich verteidigen will, dann braucht man erst einmal
eine ehrliche Fehleranalyse.
Das hat sich wiederholt im Zusammenhang mit den Ereignissen um das ZDF-Team. Da waten Sie seht schnell mit Ihrer Behauptung, wer sich seriös und wer sich nicht seriös verhalten habe. Wenn Sie den Staat und die Pressefreiheit verteidigen wollen, dann wäre eine schnelle, klare Reaktion wichtig gewesen.
Vor diesem Hintergrund fragen wir uns, ob Sie als Staatsregierung im Moment Ihren Aufgaben gewachsen sind. Wir glauben, dass bei der Aufarbeitung der Ereignisse von Chemnitz auch personelle Konsequenzen gezogen werden müssen. Aber dazu wird mein Kollege Lippmann nachher noch einiges ausführen.
Sie sind auf bundespolitischer Ebene mit der Forderung aufgetreten, die Strafverfolgung besser zu machen. Auch was das angeht, würde ich sagen: Insoweit müssen wir in Sachsen vor der eigenen Haustür kehren. Sie haben ein gutes Beispiel dafür gebracht, dass jetzt ein Hitlergruß schnell abgeurteilt wird.
Aus der Vergangenheit wissen wir, dass solche Anzeigen regelmäßig wegen >>zu geringen öffentlichen Interesses<< eingestellt wurden. Das muss sich in diesem Land dringend ändern. Das kommt hier nämlich regelmäßig vor. Wenn Sie vom >>starken Staat<< reden, dann verweise ich auf eine neuere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die ich schon in meiner Rede in der vergangenen Plenarsitzung zitiert habe, als es um den Haushalt ging. Das Bundesverfassungsgericht hat uns erst im Juni ins Stammbuch geschrieben, dass der Freistaat Sachsen es verabsäumt hat, seine Justiz in einen Zustand zu versetzen, dass sie ihren verfassungsmäßigen Aufgaben nachkommen kann. Das ist Ergebnis einer jahrelangen Sparpolitik, eines Abbaus in der Justiz und bei der Polizei, bei Letzterer nicht nur von der Anzahl her, sondern auch in Bezug auf die Kräfte, die in der Fläche vorhanden sind. Wir GRÜNEN haben in diesen Bereichen regelmäßig Anderungen eingefordert. Jetzt ertönt von Ihnen der Ruf nach dem >>starken Staat<<? Sie selbst haben ihn mit abgebaut!
Zu dem Thema ‚Sachsen-Bashing‘! Wir alle hier wissen, was wir von unserem Freistaat haben. Wir alle hier arbeiten für unseren Freistaat. Wir wissen, welche Menschen sich hier wie engagieren. Dieser Staat und seine Menschen haben es nicht verdient, herabgewürdigt zu werden.
Aber man darf sich nicht über eine schlechte Presse beschweren, wenn man solche Dinge tut wie Sie nach der ZDF-Aktion. Genauso darf man sich nicht beschweren, wenn Sie nach den Ereignissen in Chemnitz so lange schweigen. All das befördert dieses Bild und schadet dem Bild von Sachsen.
Ich möchte zu einem weiteren Punkt etwas ausführen. Sie sprechen oft vom >>starken Staat<<. Auch ich habe diesen Begriff zitiert. Wir GRÜNEN glauben aber: Das ist eigentlich nicht der richtige Begriff. Was wir brauchen, ist eine starke Zivilgesellschaft mit einem funktionierenden, handlungsfähigen Rechtsstaat. Das ist die Basis für unsere Gesellschaft.
Positive Entwicklungen bilden sich gerade auch in der Bewegung ‚Wir sind mehr!‘ ab. Oft wird lamentiert: Warum diese Bewegung? Wo findet sich denn die Mitte der Gesellschaft wieder? Gehört sie dort dazu? Ich
wünsche mir, dass alle aus der Mitte der Gesellschaft, alle aus der CDU genauso wie alle aus der SPD, dort einfach mitgehen und zeigen: Wir alle sind die Mitte der Gesellschaft. Denn alle, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, denen es etwas wert ist, die es verteidigen wollen, müssen gemeinsam Gesicht zeigen.
Schon in der Vergangenheit hat es zahlreiche Aktivitäten gegeben, die in eine ähnliche Richtung gingen wie das ‚Wir-sind-mehr‘-Bündnis. Jetzt brauche ich gar nicht die Aufzählung des Kollegen Gebhard wiederholen. In der Vergangenheit hat die CDU insoweit oft leider nicht klar gestanden, sondern solchen Initiativen tatsächlich Knüppel zwischen die Beine geworfen. Das muss aufhören!
Vieles von dem, was Sie jetzt ankündigen, kommt uns seht bekannt vor. Schon im Jahr 2016 hat nämlich Ihr Amtsvorgänger, Herr Tillich, das Programm ‚Sachsen handelt!‘ angesprochen. Es enthielt sehr viele Punkte, die wir jetzt wieder hören. Wir haben festgestellt: So richtig passiert ist seit 2016 nichts, jedenfalls nicht in der Gänze, wie wir es brauchen. Wir hoffen, dass wir Ihren Worten jetzt glauben können und dass diese Punkte tatsächlich zur Umsetzung kommen. Dazu gehört aber — ich
erinnere auch daran — die klare Haltung.
Bei dieser klaren Haltung hat es mich vorhin ein bisschen gegruselt, als Sie mit Begriffen wie >>Rechtsprechung nach Volksempfinden<< kamen. Das Volksempfinden steckt in der repräsentativen Demokratie schon in dem Gesetz drin. Nur das Gesetz hat die Justiz anzuwenden. Dann muss sie nicht noch einmal schauen, wie die aktuelle Meinung irgendwo ist. Da müssen wir sattelfest sein.
Gleiches gilt für die Pressefreiheit: Wenn man eine Dreiviertelstunde am Berichten gehindert wird, dann ist klar, dass das in einem Rechtsstaat nicht passieren darf. Auch dazu bedarf es einer klaren Haltung und einer klaren Aussage zu jedem Zeitpunkt.
Was mich auch geärgert hat, waren die Klischees, die Sie, Herr Kollege Hartmann, vorhin bedient haben. Sie redeten hier von dem jungen Mann ‚Jasmin‘; so nannten sie ihn. Ich verwahre mich dagegen, dass wir von Ausländern immer nur im Zusammenhang mit Kriminalität oder Abschiebung reden. Der Großteil der
Menschen, die aus anderen Ländern gekommen sind und in diesem Land leben, leben komplett unauffällig.
Ein Großteil von ihnen bringt sich durch Arbeit in unser Sozialsystem ein, und nicht weinige beginnen sich hier auch gesellschaftlich zu engagieren. Das ist ein Reichtum!
Dann gibt es — wie überall — Menschen, denen, weil sie kriminell sind, der Rechtsstaat hart auf die Finger klopfen muss. Der Rechtsstaat muss alles tun, damit sie nicht die Stimmung in diesem Land verderben. Aber die Gewichtung der Aussagen muss stimmen.
Wenn wir Ihren Worten jetzt glauben dürfen, wenn wir uns gemeinsam aufmachen wollen, um eine starke Zivilgeseilschaft zu unterstützen und den Rechtsstaat weiter aufzubauen, dann können Sie sicher sein: Wir GRÜNEN werden dabei an Ihrer Seite stehen.
Wir werden es aber auch einfordern, wenn wir glauben, dass diese Punkte nicht ausreichend umgesetzt werden.
Ich danke Ihnen.